Frauenfußball:Richtungswechsel

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Für Verena Faißt ist der Transfer zu Bayern München ein Neustart, der sie zurück in die Nationalmannschaft gebracht hat.

Von Anna Dreher

Diese Momente hatte sie schon oft erlebt, eigentlich kannte Verena Faißt das alles. Und doch war etwas anders bei den Spielen gegen Freiburg und Jena mit ihrem neuen Verein FC Bayern München und bei den Spielen mit der Nationalmannschaft gegen Russland und Ungarn - als sie in der Kabine war, als sie ins Stadion lief, als sie den Ball passte, schoss und schlenzte. Für Außenstehende war das schwer erkennbar, selbst aufmerksame Beobachter konnten wahrscheinlich nicht dechiffrieren, was das Besondere an diesen Momenten war - niemand außer Verena Faißt.

Für sie waren ihre vergangenen vier Spiele nicht einfach nur vier Spiele. Sie waren die Bestätigung, dass sie immer noch zu den besten Fußballerinnen Deutschlands gehört, eine, mit der noch zu rechnen ist, die Mannschaften weiterbringen kann. "Ich nehme das jetzt alles anders wahr, das sind besondere Momente, die man nicht immer erleben kann", sagt Faißt. "Ich genieße das sehr, weil ich inzwischen weiß, dass es auch in die andere Richtung gehen kann."

Die andere Richtung bedeutet in diesem Fall: nach unten. 2010 war die 27-Jährige in der Frauenfußball-Bundesliga vom SC Freiburg zum VfL Wolfsburg gewechselt. In sechs Jahren gewann sie die Champions League (2013, 2014), die Deutsche Meisterschaft (2013, 2014) und den DFB-Pokal (2013, 2015, 2016) und wurde 2010 Nationalspielerin. Das letzte halbe Jahr ihrer Zeit beim VfL Wolfsburg aber bekam sie keine Einsätze mehr in der erfolgreichen ersten Mannschaft, sondern wurde ins zweite Team geschoben, in die zweite Bundesliga. "Ich habe keine Erklärung dafür, vielleicht fand mich der Trainer einfach nicht mehr gut genug", sagt Faißt. "Aber diese Zeit hat mich als Person geprägt und gestärkt."

Die gebürtige Badenerin machte auch in der zweiten Liga Vereine auf sich aufmerksam und entschied sich aus allen Angeboten am Ende für den derzeit größten Konkurrenten ihres alten Arbeitgebers: München. Am Sonntag (14 Uhr) wird sie im Grünwalder Stadion zum ersten Mal seit ihrem Wechsel auf Wolfsburg treffen. Wieder so ein besonderer Moment: "Das wird sehr spannend für mich und sicher ein gutes Spiel. Es wird auf die Tagesform ankommen und ich hoffe, wir erwischen die bessere."

Thomas Wörle, Trainer der Bayern-Frauen, hatte nach dem enttäuschenden Erstrunden-Aus in der vergangenen Champions-League-Saison gegen Twente Enschede und dem unerwarteten Ausscheiden im DFB-Pokal-Halbfinale bei Außenseiter SC Sand schnell die Ursache dafür gefunden: "Wir brauchen noch mehr Persönlichkeiten, die den Unterschied machen. Spielerinnen, die absolut von sich überzeugt sind und es lieben, in großen Spielen Verantwortung zu übernehmen" - Spielerinnen wie Verena Faißt.

Wörle hatte sie zum Saisonauftakt gegen den SC Freiburg von Beginn an spielen lassen. Faißt war in der taktisch guten, flexibel agierenden Mannschaft so präsent, als spiele sie schon jahrelang für den amtierenden deutschen Meister. Das einzige, was ihr zum perfekten Comeback fehlte, war ein Tor. "Ich wusste, wenn ich wieder Vertrauen bekomme und mich wohlfühle, läuft es wieder bei mir", sagt Faißt, die einen Zwei-Jahres-Vertrag bis zum 30. Juni 2018 unterschrieben hat. "Hier hat gleich alles direkt gepasst, ich fühle mich wohl und verstehe mich super mit den anderen. Dieser Teamspirit ist schon etwas Besonderes."

Faißts neue alte Stärke blieb auch Bundestrainerin Steffi Jones nicht verborgen, sie nominierte Faißt Mitte September für die verbleibenden Qualifikationsspiele für die Europameisterschaft in den Niederlanden (16. Juli bis 6. August 2017). Faißt war ohne große Erwartungen in ihr erstes Spiel mit der Nationalelf seit März 2015 gegangen und auch die EM will sie sich noch nicht als Ziel setzen. Sie weiß, wie es sich anfühlt, so ein Turnier zu verpassen. 2013 litt sie zwei Monate an Pfeifferschem Drüsenfieber, die EM in Schweden fiel für sie aus. Jetzt, nach eineinhalb Jahren Pause, wollte sie einfach schauen, wie es zurück in der DFB-Auswahl läuft - es lief auch hier sehr gut: Gegen Russland gab die Mittelfeldspielerin die Vorlage zum 2:0 und stand 90 Minuten auf dem Platz, gegen Ungarn waren es 18 Minuten.

Noch vor ein paar Monaten hatte Faißt ein Karriereende nicht ausgeschlossen, so wie in Wolfsburg wollte die ehrgeizige Spielerin am Ende nicht weitermachen. "Aber ich habe gemerkt, dass ich noch nicht ohne Fußball leben kann, dass meine Leidenschaft noch da ist", sagt sie. "Ich weiß ja, was ich kann und will mir das selbst noch mal beweisen und Titel gewinnen." Vielleicht, denkt Verena Faißt heute, hätte sie einfach früher wechseln sollen. Womöglich wäre dann alles einfacher für sie geworden. Aber eben auch: weniger besonders.

© SZ vom 24.09.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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