Frauenfußball-EM:Kampf gegen die Dämonen

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Seit 1995 wartet die schwedische Frauenfußball-Nationalmannschaft auf einen Sieg im Klassiker gegen Deutschland. Doch vor dem EM-Auftaktspiel sind sich die Schwedinnen sicher wie lange nicht: Sie haben sogar einen Plan.

Von Anna Dreher, Sint-Michielsgestel

Drei Minuten nach Beginn der zweiten Halbzeit war das Finale eigentlich schon vorbei. Das sagte zwar niemand, und natürlich spielten auch alle pflichtgemäß weiter, es hätte ja schon noch etwas passieren können. Ein kleines Fußballwunder zum Beispiel. Aber so sehr sich Schwedens Frauen-Nationalmannschaft nach dem Tor zum 1:0 durch Dzsenifer Marozsán bemühte, doch noch gegen Deutschland zu gewinnen - es klappte nicht. Mal wieder. Die bisher letzte Begegnung der beiden Dauerrivalen bei den Olympischen Spielen in Rio fügte sich mit dem 2:1-Sieg der Deutschen in den Lauf der Geschichte des Frauenfußballs ein.

Die Geschichte geht so: Trifft Deutschland auf Schweden, wird der Fußball hochklassig, und am Ende gewinnen die Deutschen.

Das scheint inzwischen schon beinahe eine Regel zu sein. Schweden würde diese Regel gerne endlich brechen, am liebsten an diesem Montag. Zum Auftakt der Europameisterschaft in den Niederlanden treffen Deutschland und Schweden in Breda (20.45 Uhr/ARD und Eurosport) aufeinander. "Irgendwann muss Deutschland verlieren. Wir sind einfach dran mit einem Sieg gegen sie, und sie sind dran mit einer Niederlage", sagt die schwedische Nationaltrainerin Pia Sundhage. "Wir sind gut vorbereitet und haben schon darüber nachgedacht, wie wir die Deutschen schlagen können."

Mit dem Golden Goal von Nia Künzer entstand 2003 in Schweden ein Trauma

Als Schweden 1984 zum einzigen Mal die EM gewann, war Sundhage Nationalspielerin und Deutschland nicht qualifiziert. Sundhage, 57, wird nach diesem Turnier ihre Karriere beenden, sie nimmt seit 35 Jahren an Europameisterschaften teil, sie gehört zu den erfolgreichsten Trainerinnen im Frauenfußball. 2012 wurde sie Welttrainerin, gewann mit den USA 2008 und 2012 Olympia-Gold. Aber mit Schweden in bedeutenden Spielen gegen Deutschland zu gewinnen, das ist selbst ihr bislang nicht gelungen, seit sie 2012 das Team ihres Heimatlandes übernahm.

Schweden-Erfahrung: Die heutige Bundestrainer Steffi Jones 2001 bei einem Länderspiel gegen Malin Moström (unten). (Foto: imago)

Seit 1995 hat Schweden bei keinem großen Turnier gegen den Rekord-Europameister gewonnen. In 13 Pflichtspielen verlor Schweden elfmal, darunter waren bittere Niederlagen wie das Olympiafinale 2016 (1:2), das WM-Achtelfinale 2015 (1:4) und das Halbfinale der EM 2013 (0:1) - in Schweden. "Wir haben schon häufig gegeneinander gespielt. Leider haben wir immer verloren, auch wenn es meistens knappe Spiele waren", sagte Stürmerin Lotta Schelin, Teamkollegin der DFB-Angreiferin Anja Mittag beim schwedischen Rekordmeister FC Rosengård, vor dem Spiel dem ZDF. Dieses Mal soll alles anders werden: "Wir wollen die Dämonen vertreiben."

Ein Sieg gegen den Titelverteidiger soll für die Schwedinnen der erste Schritt auf dem Weg zum EM-Pokal sein. Die Elf um Rekordschützin Schelin (180 Länderspiele/86 Tore), Caroline Seger (171 Länderspiele), Nilla Fischer vom VfL Wolfsburg (160), Lisa Dahlquist (130) und die fürs Team so wichtige Torhüterin Hedvig Lindahl (127) gehört zu den erfahrensten der EM.

Als noch keine der heutigen Spielerinnen wusste, wie sich Spiele gegen Deutschland anfühlen, versuchte Frieda Östberg bereits, sie zu gewinnen. Die 39-Jährige war elf Jahre lang Nationalspielerin, heute ist sie als Expertin für den schwedischen Fernsehsender SVT in Holland. "Wenn ich an die Spiele gegen Deutschland denke, kommen so viele Gefühle in mir hoch, das war immer etwas Besonderes", sagt sie. "Das waren immer die Spiele, bei denen ich mein Allerbestes geben wollte." Ihr blieb auch gar nichts anderes übrig.

Silvia Neid (re.) feierte 2016 Olympia-Gold in Rio nach dem Finale gegen Schweden. (Foto: Moritz Müller/Imago)

Deutschland und Schweden haben sich in den vergangenen Jahren mit ihrer Physis, Schnelligkeit und taktischem Können stets zu Höchstleistungen getrieben, sie haben Standards gesetzt im Frauenfußball. "In Schweden haben diese Duelle einen hohen Stellenwert, es gibt weltweit nicht so viele außergewöhnliche Mannschaften", sagt Östberg. "Wir haben immer daran geglaubt, dass wir Deutschland schlagen können - es hat nur noch nicht oft geklappt."

2003 verlor Östberg mit Schweden das WM-Finale gegen Deutschland, Nia Künzer erzielte das Golden Goal per Kopf. Es war eine der bittersten Niederlagen in Östbergs Karriere, eine der bittersten Niederlagen überhaupt für Schweden. Ein Trauma begann. "Ich erinnere mich auch noch sehr genau an die Olympischen Spiele 2004", erzählt Östberg. "Deutschland holte Bronze gegen uns. Das Spiel hätten wir gewinnen müssen." Immerhin gelang ihr die Revanche in der Champions League gegen die heutige Bundestrainerin Steffi Jones: 2002 hatte Östberg das Finale mit Umeå IK gegen Jones und den 1. FFC Frankfurt verloren, 2004 gewann Umeå. Sie hat den Fluch zumindest ein bisschen besiegt. Und ihre Nachfolgerinnen?

Die schwedische Nationalmannschaft, die sie nun beobachtet und analysiert, sei durch das verlorene Olympia-Finale zusätzlich motiviert, meint Östberg: "Ich glaube, sie haben extra hart gearbeitet und sind als Team noch enger zusammengewachsen." Taktisch dürften die Skandinavierinnen, robust in der Verteidigung und schnell im Angriff, in einem 4-4-2-System starten, genau wie Deutschland.

DFB-Kapitänin Dzsenifer Marozsán, die in Rio zuletzt mit ihrem Tor die Dämonen weckte, spielt bei Olympique Lyon mit Schwedens Caroline Seger zusammen. Marozsán erzählte vor ihrem Turnierauftakt, Seger hätte sie angewiesen, das mit den Toren gegen Schweden doch mal sein zu lassen. Marozsán hat dabei gelacht. Sie kennt ja die Regel.

© SZ vom 17.07.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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