Frauenfußball:Abschied vom Feldwebel

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US-Stürmerin Abby Wambach hat den Frauenfußball Offenheit und Wettkampfhärte gelehrt.

Von Kathrin Steinbichler, New Orleans/München

Der Superdome am Sugar Bowl Drive im Stadtzentrum von New Orleans hat schon viele denkwürdige Momente erlebt. Siebenmal schon fand in der bis zu 75 000 Zuschauer fassenden Halle das jährliche Football-Endspiel um den Super Bowl statt. Nachdem 2005 der Hurrikan Katrina die Südstaatenmetropole verwüstet hatte, spielten sich unter der zur Notunterkunft umfunktionierten Megakuppel dramatische Szenen ab. Abby Wambach ist ein politischer Mensch, sie weiß um die Bedeutung, die der Superdome von New Orleans im nationalen Gedächtnis der USA hat. Die US-Rekordstürmerin weiß auch, dass ihr Verband ganz bewusst New Orleans gewählt hat als letzte Station der Siegertour nach dem Gewinn der Frauenfußball-Weltmeisterschaft im Sommer. Die 35-Jährige hatte deshalb zunächst vor, niemandem etwas von ihrem Entschluss zu sagen. Wambach wollte mit diesem letzten Länderspiel des Jahres gegen China am Donnerstag, dem Schlusspunkt der Siegertour, still abtreten und New Orleans und ihrer Mannschaft nicht die Show stehlen. Der Plan hat nicht hingehauen, und "das ist jetzt auch in Ordnung so", sagt Wambach. Zu gehen, ohne Abschied zu nehmen und die Gelegenheit zum Abschiednehmen zu geben, ist dann doch nicht ihre Art. Eine Abby Wambach stellt sich. Allerdings nicht auf Kosten anderer.

Wambach wartete also ab, bis der Besuch ihrer Mannschaft bei Präsident Obama im Weißen Haus vorbei war und die Berichte darüber in den Medien gesendet waren. Dann verkündete sie ihren Rücktritt vom Sport zum Ende des Jahres.

Die Entscheidung kam nicht überraschend, schließlich hatte sie schon bei der WM im Sommer fußballerisch keine große Rolle mehr gespielt im US-Team. Umso bedeutsamer, erzählen ihre Mitspielerinnen, war rund um diese Weltmeisterschaft ihre Rolle innerhalb der Mannschaft. Denn in 13 der 14 Jahre, die Wambach im US-Trikot auflief, war sie die heimliche Anführerin im Spiel gewesen. "Ich war die Kapitänin, aber Abby war unser Feldwebel. War sie schon immer", schildert Christie Rampone es in einem Beitrag der Player's Tribune, einer Internetplattform von US-Leistungssportlern. Mochten andere die taktischen Vorgaben ins Spiel tragen - Wambach war diejenige, die die Mannschaft in den Kampf führte. Fair, aber furchtlos. Und das in einer Zeit, als körperliche Dynamik und eine fast schon schmerzhafte Wucht nicht selbstverständlich waren im Frauensport.

"Ein Teil von Abbys Brillanz war ihre Bereitschaft und ihr Wille, sich für die Mannschaft aufzuopfern und sich in den größten Momenten alles abzuverlangen", erklärt Mittelfeldspielerin Megan Rapinoe. So wie bei der WM 2011 in Deutschland, als die USA im Viertelfinale gegen Brasilien in der zweiten Minute der Nachspielzeit 1:2 zurücklagen. Wambach rannte ein letztes Mal nach vorne und warf sich mit dem Kopf voraus in eine letzte Flanke von Rapinoe, obwohl die Torhüterin mit beiden Fäusten voraus aus dem Tor sprang. Wambach bekam die Fäuste ab und fiel zu Boden, einen Sekundenbruchteil davor aber hatte sie den Ball getroffen - 2:2, das Elfmeterschießen gewannen die USA.

184 Länderspieltore - kein Mann und keine Frau trafen öfter

"Es gibt da eine tief verwurzelte Furchtlosigkeit im amerikanischen Frauenfußball", sagt Rapinoe, "die wir alle Abby Wambach verdanken. Wir alle haben das von ihr gelernt." Wambach war sogar so furchtlos, dass sie 2013 als erste aus der mit etlichen hochdotierten Sponsorverträgen ausgestatteten US-Mannschaft damit an die Öffentlichkeit ging, eine Frau zu lieben und sie auch zu heiraten.

Das verlorene WM-Endspiel 2011 gegen Japan trieb Wambach allerdings um. 184 Länderspieltore hat sie erzielt, das hat keine andere Frau und auch kein Mann geschafft, doch das und zwei olympische Goldmedaillen wogen nicht auf, was fehlte: der WM-Titel. 2015 in Kanada sollte es soweit sein, Wambach nahm sich das halbe Jahr davor extra aus dem Ligabetrieb, um fit zu sein für das Turnier - und fand sich auf der Bank wieder. US-Trainer Ellis hatte ein Spielsystem entwickelt, in dem die alternde Anführerin keinen Platz mehr fand. Gleichzeitig wusste sie: "Die Mannschaft braucht Abby für ihr Selbstverständnis." In vielen Gesprächen schaffte es Ellis, der entthronten Anführerin zu vermitteln, dass ihre Zeit als Feldwebel vorbei, ihre Qualität als Anführerin aber umso wichtiger ist.

"Ich stand immer in vorderster Front", sagte Wambach in Montréal nach dem Finaleinzug über Deutschland, bei dem sie nur die letzten zehn Minuten spielte. "Wenn ich es jetzt schaffe, auch von der Bank aus für die Mannschaft da zu sein, macht mich das stolzer als je zuvor. Es ist schön, festzustellen, was ich dem Fußball außer meiner Physis geben kann."

Abby Wambach will jetzt endgültig Platz machen für die nächste Generation. Sie überlegt eine Familie zu gründen und in die Sportpolitik zu gehen. "Der Frauenfußball heute ist ein anderer als der, in dem ich angefangen habe", sagt sie. "Aber es gibt noch eine Menge zu tun. Ich freue mich darauf."

© SZ vom 16.12.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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