Frauen:Scheuklappen helfen auch nicht

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Knapper erster, klar verlorener zweiter Satz: Johanna Konta verabschiedet sich nach der Niederlage gegen Barbora Strycova. (Foto: Laurence Griffiths/Getty Images)

Seit 1977 sehnt sich das Publikum nach einer britischen Siegerin - Johanna Konta hätte das Talent, scheitert aber wohl wieder an den Nerven.

Von Barbara Klimke, London

Es gab Zeiten, da hob spätestens in der zweiten Wimbledonwoche in Großbritannien eine inselweite Klage an. Die Zeitungen des Landes rieten den Sportfreunden, die Wimpelketten im Vorgarten wieder abzunehmen und sich, statt an den heimischen Tenniscracks, lieber an den Erdbeeren zu erfreuen. Erst als Andy Murray 2013, ein damals noch recht schmaler Mann aus Dunblane in Schottland, der Erste seit Fred Perry wurde, der den Einzel-Titel gewann, wurde das Mutterland des Rasentennis von seinem 77 Jahre alten Filzballtrauma erlöst. 2016 wiederholte Murray den Triumph, und seitdem lautet die Frage nur, an welchem Platz der All England Club ihm die längst versprochene Statue zwischen den Hortensien errichtet.

Bis eine Tennisspielerin in Erz gegossen wird, wird noch ein Weilchen vergehen. Johanna Konta, 28, die die besten Chancen im diesjährigen Turnier hatte, verlor im Viertelfinale. Danach wurde wieder daran erinnert, dass seit Virginia Wade keine Engländerin mehr das Turnier gewonnen hat. Seit 1977 also, dem Jahr des silbernen Thronjubiläums von Elizabeth II., als die Queen - eher Pferde- als Tennisliebhaberin - dem Centre Court einen seltenen Besuch abstattete und der Siegerin, die eine rosafarbene Strickjacke trug, den großen Präsentierteller überreichte. Das Jäckchen übrigens ist heute ein Museumsstück.

Konta, Nummer 18 der Weltrangliste, verfügt ohne Zweifel über ein Schlagrepertoire, das sie befähigen würde, den Mythos zu beleben. Stattdessen hat sie bei ihrem Abgang für dicke Luft im vornehmen All England Club gesorgt. Dass eine Spielerin, sonst für tadellose Manieren bekannt, laut fluchte bei ihrer Niederlage gegen Barbora Strycova aus Tschechien (6:7, 1:6), wurde ihr in der Hitze des Gefechts verziehen. Aber als sie auf der Pressekonferenz gefragt wurde, ob ihre 34 vermeidbaren Fehler, die in der offiziellen Match-Statistik verzeichnet waren, möglicherweise tatsächlich vermeidbar gewesen wären, platzte ihr der Kragen. "Ist das Ihre professionelle Tennismeinung?", fragte sie spitz ins Plenum zurück. Danach verbat sie sich jede weitere "Bevormundung", wie sie sagte.

Vor zwei Jahren hatte Britanniens Beste bereits das Halbfinale in Wimbledon erreicht, vor einem Monat kam sie bei den French Open wieder unter die letzten Vier. Sie ist die einzige Spielerin der Insel, die ihren Platz unter den besten 100 in der Weltrangliste behauptet. Aber bei den Championships auf dem angeblich heiligen Rasen, wo die Nation Wundertaten erwartet, sind schon anderen beim Schlägerschwingen die Handgelenke eingeknickt. Murray hatte vor seinen großen Erfolgen berichtet, wie er versuchte, alle Außenwirkungen durch unsichtbare Scheuklappen auszublenden. An den spielerischen Mitteln habe es bei Konta jedenfalls nicht gelegen, erläuterte Chris Evert, 64, die dreimal die Trophäe in London erobert hat und heute für die BBC kommentiert: Stattdessen sei Konta, als sie der 33-jährigen Strycova gegenüberstand, "zur Säule erstarrt". Anstelle von Konta wird sich Strycova nun mit Serena Williams, 37, aus den USA duellieren.

Andy Murray wurde 2013 für den Sieg in Wimbledon gefeiert - nun für den über die Schmerze

Auch das halbe Dutzend der besten männlichen Solisten des britischen Verbandes LTA um Kyle Edmund, Nummer 31, hat sich längst aus dem Wettbewerb verabschiedet. Und so hat wieder einmal Andy Murray, 32 Jahre alt, dafür sorgen müssen, dass die Wimpelketten bei den Tennis-Parties nicht auf Halbmast hängen. Im Einzel hat der dreimalige Grand-Slam-Sieger sich diesmal gar nicht angemeldet nach einer chronischen Hüftverletzung. Denn noch zu Jahresbeginn hatte er in Melbourne befürchten müssen, dass die Arthritis seine Karriere beendet. Seit er sich zwei Metallplatten in die Hüfte operieren ließ, ist er nun wieder schmerzfrei. Und deshalb hat sich "Bionik-Murray", wie die britische Boulevard-Presse ihn jetzt liebevoll nennt, nach der langen Spielpause Mitstreiter gesucht, um zumindest im Doppel ein paar Bälle übers Netz zu schlagen.

Im Männer-Duo mit dem Franzosen Pierre-Hugues Herbert kam das Aus schon in Runde zwei. Dafür hat er im Mixed mit Partnerin Serena Williams das Publikum prächtig unterhalten: Nach dem Auftaktsieg über Andreas Mies/Alexa Guarachi fertigten die beiden früheren Weltranglisten-Ersten Fabrice Martin/Raquel Atawo ab.

"Seit Jahren haben die Leute nicht mehr so viel übers Mixed geredet", staunte Altmeister John McEnroe - vermutlich nahm er Bezug auf das Duo, das er im Sommer 1999 mit Steffi Graf gebildet hatte. Tatsächlich war das Mixed früh im Gesellschaftsleben der englischen Mittelklasse verankert: In viktorianischer Zeit vergnügten sich die jungen Leute im Garten beim Filzballspiel, während sie unter Aufsicht ihrer Mütter blieben, die auf dem Rasen saßen und Tee tranken. Nun hat Serena Williams die Zuschauer verzückt, indem sie mächtige Schmetterbälle zwischen die Gegner feuerte. Nach dem Matchball in Runde zwei drehte sie noch eine Pirouette und bedankte sich bei Murray mit Küsschen. Am Mittwochabend, in der nächsten Runde, zog Laura Siegemund (Stuttgart) mit ihrem neuseeländischen Partner Artem Sitak ins Viertelfinale ein. Murray und Willams gaben sich dem Duo Soares/Melichar aus Brasilien geschlagen. Aber sie haben den Briten diesmal zumindest ein bisschen die Party gerettet.

© SZ vom 11.07.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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