Frauen in der Formel 1:Zur Seite, Machos

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Testfahrerin bei Williams: Susie Wolff (Foto: AFP)

Grid Girls in knappen Kleidchen, Frauen als schmückendes Beiwerk für schnelle Autos: Das Frauenbild in der Formel 1 war lange Zeit eindeutig. Gerade zeigt die Rennserie aber einen erfreulichen Trend: Es gibt so viele Frauen in wichtigen Rollen wie noch nie.

Von René Hofmann

Neulich in Barcelona. Normalerweise tut sich freitags nicht viel bei Formel-1-Rennen, schon gar nicht bei einem Rennstall wie dem Schweizer Sauber-Team. Null Punkte im ersten Saisondrittel, so schlecht ist die Équipe lange nicht mehr gestartet. Es braucht schon einiges, um unter diesen Umständen einen Medienauflauf hinzubekommen. Aber es glückt: Fast 30 Berichterstatter aus aller Welt sind im ersten Stock des zeltartigen Motorhomes zusammengekommen, die Plätze an den Lautsprechern sind besonders begehrt, auch wenn sie unter einer Treppe liegen.

Um den Andrang in Bahnen zu lenken, sind sogar Absperrbänder aufgestellt. Fotografen wurden erst gar nicht zugelassen. Es geht ein wenig zu wie im Zoo, wenn Eisbär-Jungen zum ersten Mal an die Öffentlichkeit dürfen. Dabei wirkt die neue Attraktion, die an diesem Tag präsentiert wird, alles andere als schutzbedürftig.

Simona de Silvestro hat ein breites Kreuz, eine feste Stimme und offenbar ein eindeutiges Ziel. "Das Ziel ist es, nächstes Jahr in der Formel 1 an den Start zu gehen", sagt die Schweizerin in tadellosem Englisch in das Mikrofon, das sie fest in einer Hand hält. Es klingt nicht, als habe ihr das jemand vorgesagt. Es sieht nicht so aus, als bräuchte sie jemanden, der sie auf dem Weg zu ihrem Ziel an die Hand nimmt.

Modeshootings? Dafür steht sie nicht bereit

Eine Frau, die aus eigener Kraft in die Formel 1 strebt: Das ist eine große Geschichte, trotz aller Quoten-Debatten. Vielleicht aber auch wegen all der Quoten-Debatten. Welche Welt wirkt heute noch ähnlich Männer-dominiert wie die höchste Kategorie des Motorsports? Grid Girls in knappen Kleidchen, Frauen als schmückendes Beiwerk für schnelle Autos und waghalsige Männer - das sind die Bilder, die sich festgesetzt haben. Der Mann denkt und lenkt, die Frau, die bestenfalls ein Fähnchen schwenkt. Mehr Anachronismus geht kaum. Weshalb diese Welt nun das beste Beispiel dafür liefern könnte, dass es eben doch auch anders geht. Die Formel 1 als New York im Sinatra'schen Sinne: If you can make it there, you can make it anywhere! Wenn Frauen sich hier durchsetzen können, dann überall. Oder?

Wer die Homepage von Simona de Silvestro aufruft, der bekommt gleich einen Schriftzug zu lesen: "Die Zukunft kommt bald. Bis du bereit?" De Silvestro ist 25. Für Mode-Shootings steht sie nicht bereit, hat sie klargestellt. Sie will auf andere Art als Vorbild wirken: Mädchen sollen sehen, dass sie es mit harter Arbeit geschafft haben, sich ihren Formel-1-Traum zu erfüllen. "So, wie es für moderne Frauen laufen sollte", sagt de Silvestro, und je länger sie redet, desto deutlicher wird, dass das Männer-Frauen-Thema für sie eigentlich gar nicht das zentrale ist.

Simona de Silvestro wurde in Thun geboren. Ihr Vater hatte einen Autohandel. Als sie vier Jahre alt war, richtete er eine Go-Kart-Vorführung in seinem Laden aus. Obwohl sie die Pedale nicht erreichen konnte, war die Tochter nicht von den Flitzern wegzubekommen. Nach einem tränenreichen Tag gab der Vater nach und kaufte eines der schnellen Spielzeuge. Das war der Startpunkt. Jeden Mittwoch stand fortan ein Ausflug zu einer Kartbahn in Frankreich an. Mit 17 ging Simona de Silvestro in die USA, in die Indy Racing League. Sie schlug sich ordentlich in den Einsitzern, die ebenfalls Flügel und frei stehende Räder haben, aber weit nicht so viele Einstellungsmöglichkeiten wie die Formel-1-Wagen. Nach vier Jahren beschloss de Silvestro: Genug! Nun sei es an der Zeit, ihren ursprünglichen Traum anzusteuern: die Formel 1.

Ihr Werdegang unterscheidet sich kein bisschen von dem vieler junger Rennfahrer. Nur: Von denen gibt es eben viel mehr. "Bei einem Go-Kart-Rennen sind drei oder vier Mädchen am Start und hundert Jungs. Um es ganz an die Spitze zu schaffen, ist es für uns deshalb anders", sagt Simona de Silvestro und klingt recht routiniert dabei: Sie kennt es ja seit zwei Jahrzehnten nicht anders. Im Prinzip sei das Spiel ganz einfach: "Der Schlüssel ist, dass du genauso schnell bist." Die reine Leistung als Aufstiegskriterium - auch da könnte die Formel 1 beispielhaft sein. Aber ganz so einfach ist es dann doch nicht.

Ende April hat Simona de Silvestro zum ersten Mal ein Formel-1-Auto fahren dürfen. In einem zwei Jahre alten Sauber drehte sie auf der Ferrari-Teststrecke in Fiorano 112 Runden. Ihre Zeiten hält der Rennstall geheim. Aber daraus, dass de Silvestro später im Jahr eine zweite Ausfahrt bewilligt wurde, lässt sich lesen, dass sie sich nicht ungeschickt angestellt haben dürfte.

Und: Sie ist nicht die einzige Frau, die sich warmläuft. Das traditionsreiche britische Williams-Team hat ebenfalls eine Testfahrerin in seinen Reihen: Susie Wolff, geborene Stoddart. Die 31 Jahre alte Britin, Frau des Mercedes-Sportchefs und Williams-Teilhabers Toto Wolff, absolvierte jüngst ihre zweite Übungsfahrt. Nach 55 Runden auf dem Circuit de Catalunya wurde sie am 14. Mai vor Weltmeister Sebastian Vettel geführt, was den zu einem süffisanten Spruch animierte. Jetzt sei es wohl an der Zeit, übers Karriereende nachzudenken, meinte der 26-Jährige, als er mit der Zeitenliste konfrontiert wurde. Susie Wolff hat der Macho-Spitze freundlich entgegengesetzt: "Das hat er wohl lustig gemeint." Sie habe ein super Verhältnis zu ihren Teamkollegen, das sei das einzig wichtige. "Ansonsten ist es mir eh egal, was andere Fahrer sagen."

Eines fällt auf: Die Frauen wirken alles andere als nervös. Aber vermutlich lässt sich das leicht erklären: Sie haben ja auch wenig zu verlieren. Sie sind die Angreiferinnen, sie wollen neues Land erobern. Räumen müssen dies die Männer. Die Plätze in der Formel 1 sind begehrt. Es gibt 22 Autos, siegfähig sind nicht einmal die Hälfte davon. Es ist ein Verteilungskampf.

Die Formel 1 ist ein fahrender Zirkus. Neben der Manege gibt es zwei Tummelplätze: das Fahrerlager, in dem die Motorhomes stehen, und die Boxengasse, in der die Autos vorbereitet werden. Wer beide hinunterschlendert, der merkt: In den vergangenen Jahren ist in dem Zirkus etwas in Bewegung gekommen. Es gibt keineswegs mehr Frauen als früher, aber die Rollen wandeln sich. Es gibt weniger Models, die als schmückender Zierrat geladen werden, weniger Groupies. Aber es gibt deutlich mehr Pressesprecherinnen als vor zehn Jahren. Und mehr Managerinnen. Und es gibt mehr Ingenieurinnen.

Und manchmal fällt das sogar auf, wie beim Großen Preis von Bahrain im vergangenen Jahr, als Sebastian Vettel als Sieger Gill Jones mit aufs Siegertreppchen nahm, die beim Red-Bull-Rennstall die Gruppe leitet, die alle Sensoren überwacht, die an den Autos angebracht sind. Oder wenn sich die Regelhüter, wie vor zwei Jahren beim Wüsten-Grand-Prix in Abu Dhabi, ernsthaft mit der Frage beschäftigen müssen, ob das eigentlich erlaubt ist - in der Boxengasse offene Schuhe zu tragen. Denn ja, auch das gibt es inzwischen: Zwei Teamchefinnen, die selbstverständlich an die Kommandostände an der Boxenmauer streben.

Leistungsprinzip statt Nächstenliebe

Claire Williams, 37, ist beim gleichnamigen Rennstall die Nummer zwei hinter ihrem Vater Frank, der allerdings lange nichts unternommen hat, damit das so kommt. Die kleine Claire sollte lieber mit Puppen spielen, Autochen und alles andere technische Spielzeug wurde zunächst den zwei Brüdern angeboten. Nach der Schule studierte sie Politikwissenschaften. Ihren ersten Job ergatterte sie in der Pressestelle der Rennstrecke in Silverstone. Von dort war es nur ein kleiner Schritt in die Pressestelle des elterlichen Rennstalls. Dann ging es in wenigen, großen Schritten bis an die Spitze. Ihre Brüder hat sie bei dem Aufstieg abgehängt. Und wer Frank Williams kennt, der weiß: Aus reiner Nächstenliebe ist das nicht geschehen. Bei Williams gilt das Leistungsprinzip.

Claire Williams ist eine Seiteneinsteigerin. Zu ihren Aufgaben gehört die Sponsorenpflege. Ob sie je erlebt hat, dass es ein Nachteil war, dass sie eine Frau ist? Claire Williams verneint. Wenn Gespräche in Kulturkreisen anstanden, in denen es ungewöhnlich ist, dass Frauen mit am Verhandlungstisch sitzen, "habe ich einfach die Jungs geschickt", erzählt sie.

Ebenfalls als Seiteneinsteigerin hat es Monisha Kaltenborn an eine herausragende Stelle geschafft. Die 43-Jährige wurde in Indien geboren. Als Kind kam sie nach Österreich. In Wien und in London studierte sie Jura. Als Anwältin eines Investors, der Partner des Sauber-Rennstalls war, kam sie mit der Formel 1 in Kontakt. Firmengründer Peter Sauber entdeckte, förderte und beförderte sie, bis Kaltenborn im Oktober 2012 die erste Frau an der Spitze eines Formel-1-Teams wurde. Sie ist nicht nur Chefin, sondern auch Teilhaberin. Und Mitglied der Gruppe, die Jean Todt nach seiner Wahl zum Präsidenten des Automobilweltverbandes im Herbst 2009 eilig ins Leben rief und die unter der Leitung der ehemaligen Rallye-Fahrerin Michèle Mouton Frauen im Motorsport generell stärken soll. Das Thema ist inzwischen auch ein sportpolitisches.

Kaltenborn ist sich ihrer symbolträchtigen Rolle bewusst. Aber sie füllt sie nicht offensiv. "Es hat sich doch nur der Titel geändert", äußerte sie, als sie als Erste die gläserne Decke durchstieß. Im Februar dieses Jahres hat sie Simona de Silvestro ins Team geholt - und seitdem hat Kaltenborn manches beobachtet, das viel erzählt über das Verhältnis von Rennfahrern und Rennfahrerinnen, aber auch über das von ehrgeizigen Männern und ehrgeizigen Frauen in der heutigen Zeit allgemein.

Im Team gibt es neben den Stammfahrern Adrian Sutil und Esteban Gutiérrez noch zwei Fahrer, die Hoffnungen hegen: den Russen Sergei Sirotkin und den Niederländer Giedo van der Garde. Kaltenborn ist aufgefallen, dass die Männer untereinander anders agieren, als wenn de Silvestro im Raum ist. Es sind Kleinigkeiten, aber die können viel sagen. Die Kleinigkeiten der Männer sagen: Sie wissen die Konkurrenz nicht so recht einzuschätzen.

Aufmerksamkeit als Währung

Die Rundenzeiten sind die härteste Währung, die es in der Formel 1 gibt. Aber sie sind nicht das Einzige, was zählt. Der Zirkus ist auch eine Verkaufsshow. Wie bei jeder Messe gilt: Alles, was Aufmerksamkeit bringt, ist willkommen. Und eine Frau im Cockpit bringt eine gewaltige Aufmerksamkeit. Dabei wäre das gar nichts Neues, fünf Fahrerinnen gab es schon: Maria Teresa de Filippis (1958/59), Lella Lombardi (1974-76), Divina Galica (1976 und 1978), Desiré Wilson (1980) und Giovanna Amati (1992), meist blieben sie in der Qualifikation hängen, die es damals noch gab.

So exotisch, wie es klingt, wäre eine Frau am Steuer eines Formel-1-Autos also gar nicht. Der Reiz des Ungewöhnlichen entfaltet sich trotzdem - und er wirkt ein wenig, wie die Aussicht auf eine Frauen-Quote in der normalen Wirtschaft wirkt. Die ehrgeizigen Männer fragen sich bang: Sind wir im Zweifel jetzt im Nachteil, weil wir Männer sind?

Ein Thema hat Simona de Silvestro kurz abgehandelt, neulich in Barcelona. Die Frage, ob Frauen physisch in der Lage sind, ein Formel-1-Auto über eine Renndistanz zu bringen. Dank Servolenkung sei das kein Problem, hat de Silvestro versichert. Und die Muskulatur ließe sich auch bei Frauen so trainieren, dass sie den Fliehkräften standhält. Es sieht so aus, als könnte die Rennstrecke wirklich ein Sportplatz sein, auf dem Männer und Frauen sich bald auf Augenhöhe messen.

© SZ vom 31.05.2014 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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