Frankfurt - Darmstadt (17.30 Uhr):Der am Gras zieht

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Als Fredi Bobic zur Eintracht kam, war der Klub ein Abstiegskandidat - nun ist er ein Europapokal-Anwärter. Über einen Manager, der das Mittelmaß verabscheut.

Von Frank Hellmann, Frankfurt

Kein Frankfurter Anhänger hat ihn vergessen, den 6. Dezember 2015. Es war ein ungemütlicher Sonntagabend, und die Malaise bei der Eintracht hatte mal wieder einen Tiefpunkt erreicht. Gerade war das brisante Derby gegen den SV Darmstadt 98 mit 0:1 verloren gegangen, als die Ultras in der Nordwestkurve auf die Barrikaden gingen. Im Block brannten Darmstädter Fahnen, Polizisten rückten im Innenraum an, draußen kam es zu Jagdszenen. Die Mannschaft, Verlierer im ersten Derby seit 33 Jahren, musste sich vor der Fankurve erst wüst beschimpfen lassen, bevor sie in die Kabine gehen konnte.

Fredi Bobic hat all das in Frankfurt damals nur aus der Ferne miterlebt, aber aus seiner Zeit als Sportdirektor beim VfB Stuttgart kennt er die Stimmungsschwankungen, denen sensible Gebilde wie Bundesligavereine mit großer Erwartungshaltung unterliegen. Er weiß, wie es sich anfühlt, wenn die Verantwortlichen sich rechtfertigen müssen. Doch seit Bobic in Frankfurt den Kurs vorgibt, musste er sich eher selten rechtfertigen. Und ungemütlich war es auch kaum. Wenn am Sonntag (17.30 Uhr) in der Arena das nächste Hessenderby steigt, steckt Darmstadt als Letzter tief im Schlamassel, und Frankfurt ist Teil der Spitzengruppe.

"Da ist keine Zufriedenheit, kein Stillstand. Alle wollen weiterkommen"

"Ich gebe mich mit Durchschnitt nicht zufrieden. Das bedeutet nicht, dass wir uns morgen in der Spitze festgesetzt haben müssen. Es bedeutet, dass wir immer den Anspruch haben müssen, besser zu werden", hat Bobic im Wintertrainingslager in Abu Dhabi beteuert. Es gab nicht wenige, die sagten der Eintracht für 2017 das Ende der Erfolgsserie voraus, weil das Jahr mit Auswärtsspielen bei RB Leipzig und beim FC Schalke 04 begann.

Im ersten Spiel (0:3 in Leipzig) ging mit dem Platzverweis gegen Lukas Hradecky auch schief, was schiefgehen konnte. Doch im zweiten (1:0 in Schalke) verblüffte die Eintracht wieder als geschlossenes Ensemble. Bobic konnte sich bestätigt fühlen, in dem was der 45-Jährige als Markenkern der Vorbereitung ausgemacht hatte: "Da ist keine Zufriedenheit, kein Stillstand. Alle wollen weiterkommen." Lieber heute als morgen.

Die im Fußball oft zitierte Weisheit, das Gras wachse nicht schnell, wenn man daran ziehe, scheint in Frankfurt außer Kraft gesetzt. Dem Treiber Bobic, dem mit Axel Hellmann und Oliver Frankenbach auf Vorstandsebene zwei Kollegen derselben Generation zur Seite stehen, scheint es gar nicht schnell genug zu gehen, das Image der Mittelmäßigkeit abstreifen zu können.

Bobic holte Spieler, die niemand sonst auf dem Zettel hatte

Gelänge an diesem Sonntag der nächste Sieg, würden nur noch fünf Zähler zur 40-Punkte-Grenze fehlen, ab der der Sportvorstand seine Bereitschaft angekündigt hat, über andere Ziele als den Klassenerhalt zu sprechen. Bisher hat dieser Schutzmantel gut funktioniert, um allen Beteiligten Bodenhaftung beizubringen, vom redseligen Präsidenten Peter Fischer über das sehnsüchtige Publikum bis hin zu den Lokaljournalisten.

Einem Kader, dem vor Saisonbeginn fast nur billige oder weniger bekannte Akteure aus dem Ausland zugefügt wurden, hatte Europapokal-Ambitionen niemand zugetraut. Auch Bobic nicht, so ehrlich ist er: "Wir haben uns selbst überholt." Über sein weit verzweigtes Netzwerk ("als ich beim VfB Stuttgart aus dem operativen Geschäfts raus bin, habe ich ja nicht nur zu Hause rumgelegen") streckte er die Fühler nach Spielern aus, die der Rest der Konkurrenz nicht zwangsläufig auf dem Zettel hatte. Die Spanier Jesus Vallejo und Omar Mascarell, der eine von Real Madrid geliehen, der andere gekauft, sind dabei die wichtigsten Zugewinne geworden. Beide reiften auf Anhieb zu Leistungsträgern.

Bobic pflegt, obwohl bei Spielerverpflichtungen stets noch der oft unterschätzte Sportdirektor Bruno Hübner zwischengeschaltet ist, in sportlichen Fragen einen engen Austausch mit Cheftrainer Niko Kovac. Und es ist gewiss kein Nachteil, dass sich der im slowenischen Maribor geborene Bobic und der in Berlin-Wedding sozialisierte Deutsch-Kroate Kovac in gemeinsamen Profi-Zeiten bei Hertha BSC schätzen gelernt haben.

Bobic ist nicht überall beliebt

Dabei wurde der Nachfolger von Heribert Bruchhagen von außen anfangs skeptisch beäugt. Nicht alle Maßnahmen, wie die vielen für die Öffentlichkeit geschlossenen Trainingseinheiten oder die stärker reglementierte Medienarbeit, finden ungeteilten Beifall. Aber ihm ist nicht abzusprechen, dass er optimale Arbeitsbedingungen für die Frankfurter Fußballer geschaffen hat. Vergangenen Sommer wurde das Team hinter dem Team fast komplett neu aufgestellt. In diesem Winter steht ganz oben auf der Agenda, bald ein neues Trainingszentrum mitsamt Geschäftsstelle auf dem Stadiongelände bauen zu können. Dafür muss eine wenig genutzte Tennislage weichen, auf der einst Steffi Graf vorgespielt hat.

Zu Wochenanfang erteilte Stadtrat Markus Frank grünes Licht für das Großprojekt, an dem Baumeister Bobic erheblich mitgewirkt hat. Der Neubau sei eine Grundvoraussetzung für eine nachhaltig positive Entwicklung, wurde Bobic in einer Pressemitteilung zitiert. "Deshalb ist die Entscheidung essentiell für die Eintracht und den Bundesligastandort Frankfurt." Er könne es sich ja einfach machen und sagen, ihn interessiere nur die Bundesligatabelle, erklärte er kürzlich. "Aber Eintracht Frankfurt soll es auch in den nächsten 20 Jahren gut gehen." Und am besten soll nie wieder ein Hessenderby verloren gehen, falls es überhaupt so schnell wieder zu einem kommt.

© SZ vom 05.02.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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