Formel 1:Er ist zu gut

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Eine kuriose Situation erlebt derzeit Formel-1-Pilot Sebastian Vettel: Er fährt so gut, dass er bald wechseln muss - allerdings zu einem Team, das derzeit schlechter ist als sein aktueller Rennstall.

René Hofmann

Allmählich bekommt Sebastian Vettel ein Problem: Er ist zu gut. Das klingt zunächst nach einer Luxussorge, mit Blick aufs kommende Jahr aber könnte sich das zu einem echten Dilemma auswachsen. Doch der Reihe nach. Als die Formel-1-Saison im März in Melbourne begann, war Vettel 20 Jahre alt. Damit war er einer der Jüngsten im Fahrerfeld, und die Jüngsten gelten immer auch als die größten Talente. Für das Auto, in dem er saß, galt genau das Gegenteil. Vettel fährt für Toro Rosso. Toro ist das italienische Wort für "Bulle", Rosso heißt "rot". Den Rennstall hat sich der österreichische Red-Bull-Erfinder Dietrich Mateschitz vor einigen Jahren als zweite Formel-1-Dependance zugelegt, weil er mehr Nachwuchsfahrer förderte, als er in seinem ersten Team unterbringen konnte. Als Partner und 50-Prozent-Teilhaber ist der ehemalige Formel-1-Pilot Gerhard Berger dabei. Weil Berger und Mateschitz recht gut rechnen können, haben sie sich überlegt: Ein Auto zu bauen kostet viel Geld. Lassen wir Toro Rosso doch einfach mit denen von Red Bull antreten. Weil es aber auch recht kompliziert ist, einen Formel-1-Boliden zu bauen, hat der Plan einen Haken: Zu Beginn der Saison sind selten vier Rennwagen fertig. Als es im März in Melbourne losging, mussten sich Sebastian Vettel und sein Teamkollege Sébastien Bourdais erst einmal mit einem Jahreswagen begnügen. Junger Fahrer, altes Auto - so ging es los.

(Foto: Foto: Getty)

Die Formel 1 ist eine geordnete Welt. Alles wird geplant, in Konzepte gepackt. Das Konzept von Toro Rosso sah so aus: Die anderen haben vielleicht neue Autos, aber wir haben eines, das wir gut kennen und das zuverlässig funktioniert. Wenn die anderen ausfallen, sind wir da und stauben Punkte ab. Gleich beim ersten Grand Prix ging das schon einmal grandios schief. Weil einige ausfielen, lag Sébastien Bourdais drei Runden vor dem Ziel zwar überraschend auf dem vierten Platz.

Auch Talente haben Nerven

Dann aber streikte sein Motor. Vettel hatte schon am Start Probleme gehabt und war anschließend in der ersten Runde mit einer Kollision ausgeschieden. In dem Stil ging es weiter: Malaysia - Ausfall wegen eines Lecks im Hydrauliksystem. Bahrain - Aus nach Unfall mit einem unbekannten Gegner in Runde eins. Spanien - Crash mit Adrian Sutil in Runde eins. "Mein Saisonauftakt war wirklich nicht gut", sagt Vettel. Jetzt kann er darüber lachen, aber in Barcelona hatte er Sutil noch angeblafft: "Ein hirnloses Manöver!" Auch Talente haben Nerven.

Die Wende kam im Mai, als Red Bull endlich so viele neue Autos gebaut hatte, dass auch das Schwesterteam mit dem italienischen Namen zwei abbekam. Dass Vettel damit in Monte Carlo gleich Fünfter wurde, ließ sich noch als Ausrutscher abtun; schließlich hatte der Regen einiges durcheinandergebracht. Als Vettel bei der Wettfahrt darauf in Kanada aber ebenfalls auf einem Punkterang landete, ließ das aufhorchen. Noch stimmten die Kräfteverhältnisse allerdings: Toro Rosso hatte in der Teamwertung sieben Zähler eingefahren, Red Bull dreimal so viele - 21. Was folgte, ist die überraschendste Geschichte der Saison, sie geht bloß ein wenig unter, weil es an der Spitze so turbulent ist.

Vettel und Toro Rosso wurden besser. Und besser. Und besser. Am deutlichsten ist das im Vergleich zum Bruderteam zu erkennen. Seit dem England-Grand-Prix haben die kleinen Bullen zehn WM-Punkte geholt, die großen einen. Zuletzt in Belgien wurde Vettel Fünfter und Bourdais Siebter. Der größte Coup glückte aber in der Qualifikation: Im ersten Durchgang fuhr Bourdais Bestzeit, was er mit einem lauten Jauchzen am Funk quittierte.

"Er steigert sich von Rennen zu Rennen"

Die Stimmung ist inzwischen so gut, dass Vettel Mühe hat, sie zu dämpfen. "Das darf man nicht so scharf sehen", sagt er, wenn er auf die Verschiebung der Machtverhältnisse angesprochen wird. Aber das muss er sagen. Seit Juli ist er 21, und seitdem ist bekannt, wo er im kommenden Jahr fahren darf: bei Red Bull. Ursprünglich war es als Beförderung gedacht, inzwischen sieht es eher nach einer Zurückversetzung aus.

Was hinter der Schwäche des großen und der Stärke des kleinen Teams steckt, ist schwer zu ergründen. Der Motor spielt sicher eine Rolle. Den Red Bull treibt ein Renault-Triebwerk an, den Toro Rosso ein Ferrari-Aggregat. Während die Franzosen die Entwicklungsarbeit eingestellt haben, tüfteln die Italiener munter weiter an ihrem Werk. Ein zweiter Faktor ist das Auto: Während Red Bull immer wieder neue Teile ins Spiel bringt, konzentrieren sich die Toro-Rosso-Ingenieure darauf, die Konstruktion zu verstehen. Das bringt offenbar mehr. Der größte Unterschied aber sitzt am Steuer: Vettel. "Er lernt permanent und steigert sich von Rennen zu Rennen", schwärmt Team-Organisator Franz Tost.

Demnächst darf Vettel den Red Bull schon mal Probe fahren. Gerüchte, seine Strafversetzung könnte schon auf die letzten Rennen 2008 vorgezogen werden, wehrt er allerdings ab: "Red Bull hat doch zwei Fahrer." Dass es ihn im Moment nicht wirklich an seinen neuen Arbeitsplatz zieht, ist auch an etwas anderem zu erkennen: Nach dem Red-Bull-Test, das hat Vettel ausgehandelt, darf er auch noch einmal einen Tag zum Üben in den Toro Rosso klettern.

© SZ vom 12.09.2008/mb - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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