Formel-1-Rennen in Le Castellet:Ein Außenseiter glänzt im Mittelklasseauto

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Wieder Anlass zum Jubeln: Auch beim letzten Rennen in Aserbaidschan fuhr Pierre Gasly als Dritter aufs Podium, seine Team-Mitarbeiter der Scuderia AlphaTauri feiern ihn. (Foto: Mark Thompson/Getty)

Die Förderoffensive des französischen Automobilverbands macht sich nun bezahlt: Der 25 Jahre alte Pierre Gasly hat sich dabei zum Vorzeige-Piloten seines Heimatlandes entwickelt.

Von Elmar Brümmer, Le Castellet

Es ist nicht so, dass französische Rennfahrer im vergangenen Vierteljahrhundert besonders aufgefallen wären in der Formel 1. Die Zeiten, in denen eine Handvoll von ihnen bei Grands Prix unter der Trikolore rasten, waren eher jene, in denen die Pole Position und die Position am Pool oft gleich wichtig erschienen. Den letzten Grand-Prix-Sieg hatte Olivier Panis 1996 bei einem Lotterierennen in Monte Carlo holen können, Alain Prosts vier Titel sind noch etwas länger verblasst. Bis zum vergangenen Herbst, als in der Corona-Saison Pierre Gasly beim Großen Preis von Italien mit dem Außenseiter-Rennwagen des Red-Bull-Talentschuppens AlphaTauri triumphieren konnte. Die weltweit größere Beachtung aber fand der spektakuläre Unfall von Romain Grosjean in Bahrain, bei dem sich der Pilot selbst aus der Flammenhölle befreien konnte. Heldengeschichten, die an diesem Wochenende beim Großen Preis von Frankreich wieder prima hätten aufgewärmt werden können.

Mercedes hatte befunden, dass Grosjeans Karriere nicht mit einem Unfallbericht zu Ende gehen dürfe. Nachdem er sich mit 35 einen neuen Job in der nordamerikanischen Indycar-Serie suchen musste, sollte er in Le Castellet ein besonderes Abschiedsgeschenk bekommen: einmal eine Fahrt in einem Weltmeisterauto. Doch die Pandemie und die strengen britischen Reiseregeln zwangen den Rennstall dazu, das Schaulaufen zu verschieben. Gute Nachrichten für die Gastgeber-Nation und 15 000 zugelassene Fans kommen dafür von Esteban Ocon. Der 24-Jährige, der aus dem Nachwuchs-Pool von Mercedes stammt, wird bis 2024 Fahrer im Konzern-Rennstall von Renault bleiben. Er gilt als Mann der Zukunft, liegt im aktuellen Klassement nur einen Zähler hinter seinem renommierten Teamkollegen Fernando Alonso und hat aus Sicht der Renault-Marketingabteilung natürlich die perfekte Staatsangehörigkeit.

Höhepunkt: Beim Formel-1-Rennen 2020 in Monza feierte Pierre Gasly seinen ersten Sieg. (Foto: Peter Fox/Getty)

Damit beginnt sich die vor etwas mehr als einem Jahrzehnt vom französischen Automobilverband mit Blick auf die in der Formel 1 überproportional erfolgreichen Deutschen und die traditionell dominierenden Briten begonnene Förder-Offensive auszuzahlen. Zu der muss auch Ferrari-Pilot Charles Leclerc gerechnet werden, obwohl der für Monaco startet. Der Vorzeigeathlet aber ist Pierre Gasly. Er reist als Drittplatzierter von Baku an die Cote d'Azur, außer beim Auftakt in Bahrain hat er bislang in jedem Rennen der Saison gepunktet. Ein Außenseiter glänzt in einem Mittelklasseauto. Es ist mehr als eine Plattitüde, wenn der 25-Jährige sagt: "Es ist etwas ganz Besonderes, als Formel-1-Sieger nach Hause zurückzukehren."

Alpha-Tauri-Teamchef Franz Tost, ein kantiger Tiroler, der nicht für überschwängliches Lob, wohl aber für sehr gute Führung in der Rennfahrerausbildung bekannt ist, gibt sich beinahe euphorisch: "Pierre ist für mich jetzt einer der absoluten Spitzenfahrer, weil er alles aus dem Auto herausholt, keine Fehler macht und Punkte mit nach Hause bringt. Der dritte Platz von Baku war sehr wichtig für ihn und für sein Selbstvertrauen." Gasly ist sensibel, das kann Stärke und Schwäche zugleich sein in diesem Sport. In der letzten regulären Formel-1-Saison 2019 war er nicht bloß ins Taumeln geraten, er war am Boden.

Es dauerte ein Jahr, bis er den Unfalltod Antoine Huberts verarbeitet hatte

Zu Saisonbeginn 2019 war Gasly aus dem Red-Bull-Talentschuppen, der damals noch nicht AlphaTauri, sondern Toro Rosso hieß, ins A-Team befördert worden, an die Seite von Max Verstappen. an die Seite von Max Verstappen. Gegen den aktuellen WM-Tabellenführer aus den Niederlanden kann jeder verlieren, sogar Lewis Hamilton passierte das. Aber Teamchef Christian Horner und Konzernberater Helmut Marko sind nicht gerade für Geduld und Herzenswärme bekannt. Der Neuling wurde nach der Hälfte der Saison wieder zurückgeschickt, Marko teilte ihm das telefonisch im Sommerurlaub mit. Gasly war am Nullpunkt, bis eine Textnachricht von seinem Freund Antoine Hubert auf seinem Telefon erschien: "Sei stark, Bruder, zeig's ihnen!" Das tat er, beim vorletzten WM-Lauf des Jahres stand Gasly überraschend als Zweiter auf dem Podium - er wollte den Red-Bull-Managern beweisen, dass sie einen Fehler gemacht hatten.

Mit Hubert hatte er früh den Traum von der Formel 1 geteilt, fern der Familie in einem dunklen, zugigen Internat gebüttelt, bezahlt vom französischen Verband, um die verpassten Schulstunden während der Kart-Saison nachzuholen. Die beiden begannen als größte Rivalen - und wurden allerbeste Kumpel. Beim ersten Auftritt nach seiner Rückstufung sah Gasly deshalb nach der Formel-1-Qualifikation noch dem Rennen der Formel 2 zu, und erlebte den Unfalltod Antoine Huberts mit.

Es sollte mehr als ein Jahr dauern, bis Gasly dieses Trauma verarbeiten konnte. "Es war der traurigste Tag in meinem Leben. Doch ich habe das Kapitel jetzt abgeschlossen, und ich bin froh, dass ich mich vorwärts bewege. All das hat mich zu dem gemacht, der ich heute bin." Verarbeitet hat Gasly die Erlebnisse durch eine Art Schreibtherapie: "Ich habe meine Traurigkeit in Leidenschaft verwandelt." Er fokussiere sich jetzt auf sich selbst, wolle zeigen, was er kann, wenn er das richtige Werkzeug in den Händen habe.

Alpha-Tauri-Teamchef Tost will ihn unbedingt über die Saison behalten, er braucht einen erfahrenen Mann im Team, wenn 2022 der große Reglementwechsel ansteht: "Wir brauchen dazu einen Maßstab." Einen, der Pierre Gasly heißt.

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