Footballer unter Mordverdacht:Liga der Straftaten

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Vor Gericht: Aaron Hernandez Ende Juni in Attleboro, Massachusetts. (Foto: REUTERS)

Es gehört inzwischen fast schon zum Aufnahmeritual in die US-Football-Liga NFL, zumindest für einen kleinen Skandal zu sorgen. Aaron Hernandez von den New England Patriots steht nun sogar unter Mordverdacht. Der Fall bietet Einblicke in das Leben von Profisportlern und den Umgang mit prominenten Beschuldigten in den USA.

Von Jürgen Schmieder, Los Angeles

Aaron Hernandez hat am 17. Juni seinen Kumpel Odin Lloyd erschossen - sagt der Mitangeklagte Carlos Ortiz. Oder besser: Ortiz behauptet, dass er vom dritten Verdächtigen, Ernest Wallace, mitgeteilt bekommen habe, dass Hernandez ihm gestanden habe, Lloyd erschossen zu haben. Klingt verwirrend? Das ist es auch. Nichts ist einfach beim Fall um den Footballspieler Aaron Hernandez, der derzeit im Gefängnis von Bristol County in Untersuchungshaft sitzt und dem neben Mord noch fünf weitere Straftaten vorgeworfen werden.

Deshalb hier die Fakten: Odin Lloyd war ein 27 Jahre alter semiprofessioneller Footballspieler und ein guter Freund von Hernandez, 23. Hernandez stand bei den New England Patriots als Tight End unter Vertrag und galt als einer der vielversprechendsten Akteure in der National Football League (NFL). Am Morgen des 17. Juni wurde Llyod in einem Gewerbegebiet in der Nähe von Hernandez' Villa mit mehreren Schüssen getötet, ein Jogger fand die Leiche um 17.30 Uhr und informierte die Polizei. Die Mordwaffe wurde bis heute nicht gefunden.

Am 28. Juni wurde Hernandez wegen Mordverdachts verhaftet und sogleich von den Patriots entlassen. Zwei Tage später nahm die Polizei die möglichen Komplizen Carlos Ortiz und Ernest Wallace in Gewahrsam. Hernandez erklärte seine Unschuld - sowohl, was den Mord an Lloyd angeht als auch die anderen fünf ihm vorgeworfenen Straftaten wegen Waffenbesitzes. Hernandez wurde angeklagt. Im schlimmsten Fall müsste er den Rest seines Lebens im Gefängnis verbringen - im Bundesstaat Massachusetts gib es keine Todesstrafe.

Es wird ermittelt, es wird spekuliert

Seitdem ermitteln die Behörden, seitdem wird aber auch spekuliert: Hat Hernandez geschossen oder war er nur der Kopf der Bande und hat seine Komplizen angestiftet? Hatte er womöglich ein Drogenproblem oder andere Geheimnisse? Hätten die Patriots nicht wissen müssen, wenn es sich bei Hernandez um eine tickende Zeitbombe gehandelt hat? Warum verhalten sich Hernandez' Anwälte so arrogant? Könnte es sich um einen ähnlich Fall handeln wie bei O.J. Simpson, der im Jahr 1994 seine Exfrau Nicole Brown Simpson ermordet haben soll und dessen Prozesse sich jahrelang hinzogen?

"Bislang haben wir Aaron Hernandez des Mordes angeklagt, mehr haben wir nicht getan", sagt Bezirksstaatsanwalt Samuel Better, "es ist noch zu früh, zu sagen, wer der Schütze gewesen ist, ob er möglichweise Komplizen hatte und wer diese Komplizen gewesen sein könnten. Die Ermittlungen dauern noch immer an."

Am Dienstag veröffentlichte das Bezirksgericht von Attleboro im Bundesstaat Massachusetts 156 Seiten an Akten, die mit dem Mordfall zu tun haben. Die bringen ein wenig Licht in den Fall - und bieten interessante Einblicke in das Leben von Profisportlern, den öffentlichen Umgang mit Beschuldigten und das Rechtssystem in den Vereinigten Staaten.

Bei Lloyds Leiche fanden die Ermittler neben Bargeld ein Handy, das sie aufgrund der gespeicherten Textnachrichten direkt zu Hernandez führte. Sie entdeckten auch die Schlüssel zu einem Auto, das Hernandez gemietet und dann Lloyd überlassen hatte. Bei einer ersten Befragung habe sich Hernandez äußerst unkooperativ gezeigt: "Herr Hernandez fragte nicht, um wessen Tod es sich handelt. Sein Verhalten zeigte keinerlei Besorgnis darüber, dass jemand gestorben sein könnte", heißt es im veröffentlichten Polizeibericht. Hernandez habe den Beamten die Tür vor der Nase zugeschlagen und sich dann in seinem Haus eingesperrt.

Aaron Hernandez spielte für die New England Patriots (Foto: AFP)

Gemeinsam mit Wallace hatte er eine Drei-Zimmer-Absteige gemietet, in der er sich regelmäßig aufhielt. Wallace wurde von Hernandez' Verlobter Shayanna Jenkins als Drogendealer bezeichnet, in Hernandez' Haus wurden diverse Drogenutensilien gefunden. Hernandez hatte bereits zuvor Schwierigkeiten mit dem Gesetz: Im Jahr 2012 wurde er mit einem Doppelmord in Boston in Verbindung gebracht, ein Jahr später behauptete sein Freund Alexander Bradley, Hernandez habe ihn in Florida angeschossen. Die Ermittler stießen nun auf ein weiteres von Hernandez gemietetes Auto, das mit dem Doppelmord im Jahr 2012 in Verbindung gebracht werden kann. Dies könnte ein Motiv für Hernandez gewesen sein, wenn Lloyd detaillierte Informationen zu diesen Morden gehabt hätte.

Hernandez ist das bislang letzte Beispiel einer langen Liste von Footballspielern, die an Straftaten beteiligt gewesen sein sollen. Ohne allen gesetzestreuen NFL-Profis zu Nahe treten zu wollen: Es gehört beinahe schon zu den Aufnahmeritualen in dieser Liga, zumindest für einen kleinen Skandal zu sorgen - meistens geht es dabei um Waffen, Drogen oder Stripperinnen.

Viele Promis kommen ohne Strafe davon

Nur die prominenten Fälle sorgen international für Schlagzeilen: O.J. Simpson etwa. Oder Michael Vick, der jahrelang Kampfhunde züchtete, zu grausamen Duellen schickte und dafür 21 Monate ins Gefängnis musste. Oder Ray Lewis, dem vorgeworfen wurde, nach einer Super-Bowl-Party im Jahr 2000 zwei Männer erstochen zu haben - der jedoch ohne Strafe davonkam und sich zivilrechtlich ohne Verhandlung mit den Familien der Opfer einigte. Das ist das Interessante an den prominenten Fällen: Alle drei kamen recht glimpflich davon. Simpson sitzt mittlerweile wegen anderer Straftaten im Gefängnis. Vick spielt für die Philadelphia Eagles und verdient etwa 16 Millionen Dollar pro Saison. Lewis gewann in der vergangenen Spielzeit mit den Baltimore Ravens die Meisterschaft und trat danach vom Profisport zurück.

Die Hernandez-Akten lesen sich für den unbedarften Unbeteiligten so: Er und Lloyd haben in der Nacht zum 17. Juni getroffen, sie haben sich offensichtlich gestritten, danach sind Hernandez, Lloyd, Wallace und Ortiz in den Gewerbepark gefahren - nur Hernandez, Wallace und Ortiz kamen zurück. Nur: Der unbedarfte Unbeteilgte hat bei Gericht nicht viel zu melden.

Das wissen auch die Anwälte von Hernandez, sie schlachten die Veröffentlichung der Ermittlungsakten genüsslich aus. Diese würden dazu führen, dass ihr Mandant vorschnell verurteilt werde und die Öffentlichkeit falsche Schlüsse ziehen würde. Die Anwälte haben nicht ganz Unrecht.

Viele Fernsehsender und Zeitungen haben ausführlich über das Privatleben von Hernandez berichtet. Sie fuhren sogar nach Franklin zu der von Hernandez gemieteten Wohnung und nervten die Bewohner, um an Informationen zu kommen - bis Carol Baily, einer der Nachbarinnen von Hernandez, den Reportern zurief: "Wir wollen wieder Ruhe haben!" Mittlerweile sind die Berichterstatter vorsichtiger geworden, viele Experten sprechen gar davon, dass es nur schwache Argumente gegen Hernandez geben würde, sollte die Mordwaffe nicht gefunden werden.

Die Aussage von Wallace sei, so Hernandez' Anwälte, vollkommen irrelevant für den Fall. Es seien Informationen durch Hörensagen, nicht mehr. Wenn also die Waffe nicht gefunden wird und sich die drei Verdächtigen nicht konkret äußern, könnte es wieder einmal einen Fall um einen prominenten Footballspieler geben, der sich jahrelang hinzieht und bei dem am Ende immer noch unklar ist, wer denn nun der Mörder ist.

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