Fifa:Beben in Zürich

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Die Ethikkommission des Weltverbandes sperrt Fifa-Boss Blatter, Uefa-Chef Platini und den Südkoreaner Chung Mong-Joon. Der Präsidentschaftskampf ist wieder völlig offen.

Von Johannes Aumüller und Thomas Kistner, Zürich/München

Am Donnerstagfrüh, um sieben Uhr, kam Sepp Blatter in sein Büro auf dem Zürichberg. Das haben zumindest seine PR-Berater erzählt. Früh morgens antreten, im Andachtsraum ein herzhaftes "Großer Gott, wir loben dich" singen - und dann den lieben langen Tag über den Weltfußball regieren: So hat der Schweizer das gern gehalten, nachdem er 1998 an die Spitze der Fifa gerückt war. Aber dieser Tag ist Blatters vorerst letzter gewesen im Chefbüro des Weltverbandes.

Am Donnerstagmittag verschickte die Ethikkommission des Verbandes eine Mitteilung von sporthistorischer Dimension: Fifa-Boss Sepp Blatter sowie Michel Platini, Präsident von Europas Fußballunion (Uefa), sind für jeweils 90 Tage für sämtliche Fußball-Aktivitäten gesperrt. Daneben bannte die Kommission den intern schon suspendierten Generalsekretär Jérôme Valcke ebenfalls für 90 Tage. Der langjährige Fifa-Vorständler Chung Mong-Joon aus Südkorea, der auch eine Kandidatur fürs Präsidentenamt anpeilte, wurde für sechs Jahre gesperrt.

Zig Affären hatte Sepp Blatter, 79, im Amt unbeschadet überstanden. Seit Mai haben ihm aber die Ermittlungen von amerikanischen und Schweizer Behörden rund um den Weltverband zugesetzt. Die Einschläge rückten sukzessive näher. Vor zwei Wochen eröffnete die Bundesanwaltschaft in Bern ein Strafverfahren gegen Blatter wegen "ungetreuer Geschäftsbesorgung sowie - eventualiter - wegen Veruntreuung". Ein maßgeblicher Punkt dabei ist eine Zahlung von zwei Millionen Schweizer Franken, die Blatter im Februar 2011 für seinen langjährigen Zögling und heutigen Widersacher Platini anweisen ließ. Eine plausible Erklärung lieferten die beiden bis heute nicht. Sie verweisen auf eine Beratertätigkeit Platinis für die Fifa in den Jahren 1998 bis 2002; die Überweisung sei die abschließende Rate dafür gewesen. Dass er das Geld neun Jahre lang nicht einforderte, erklärt Platini wenig glaubhaft mit Verweis auf angebliche damalige Finanznöte der Fifa. Die Schweizer Behörden gehen jedenfalls von einer "treuwidrigen Zahlung" aus. Daher konnte die Ethikkommission des Verbandes nun kaum noch anders reagieren als mit Sperren. Die US-Justizbehörden führen Fifa-Ermittlungen auch auf Basis ihres "Rico"-Gesetzes: Das stuft zu untersuchende Organisationen als Mafia-ähnlich ein. Wer da nach Kräften mitmischt, riskiert im Zweifel selbst etwas.

Formal übernimmt bei der Fifa nun Blatters erster Stellvertreter Issa Hayatou das Präsidentenamt. Der Kameruner, 2001 Blatters Herausforderer und seit Langem schwer krank, war selbst in diverse Affären verwickelt. Er zählte zu den Sportfunktionären, die vom früheren Sportrechtevermarkter ISL Gelder erhielten; vom Internationalen Olympischen Komitee (IOC) gab es dafür noch unter Leitung des Belgiers Jacques Rogge eine Rüge. Bei der Fifa passierte ihm nichts. Zudem steht Hayatou im Verdacht, einer der afrikanischen Wahlmänner gewesen zu sein, die für ein Votum bei der WM-Vergabe 2022 an Katar Geld kassiert haben sollen; er streitet das ab.

Bei einer Pressekonferenz von einem Aktivisten mit Geldscheinen beworfen: Nun deckt ein Finanzbericht der Fifa Blatters Gehalt auf. (Foto: Fabrice Coffrini/AFP)

Für Blatter ist das Kapitel Fifa mit dem Verdikt der Ethikkommission noch nicht erledigt - trotz aller Rücktrittsforderungen, die es gab. Blatter mache jetzt halt 90 Tage Urlaub, tat sein PR-Berater Klaus Stöhlker jovial kund, dann käme er wieder zurück. Das zeigt, welche Wahrnehmung der Schweizer hat: Offenbar denkt er wirklich noch immer nicht daran abzutreten. Er hat nun zwei Tage Zeit, Berufung einzulegen, wird darauf aber wahrscheinlich verzichten. Zudem deutet manches darauf hin, dass seine Lobbyisten den Plan verfolgen, den Ethikern Unregelmäßigkeiten bei ihrem Vorgehen zu unterstellen.

Schon am Mittwochabend, als durchsickerte, dass die Untersuchungskammer der Ethikkommission der Spruchkammer eine 90-Tage-Sperre vorgetragen habe, gab es Merkwürdigkeiten: Ein PR-Berater Blatters bestätigte die Spekulation. Nur: Wie konnte er das wissen, wenn die Ethikkommission doch angeblich unabhängig arbeitet? Die New York Times zitierte einen Anwalt Blatters mit der Forderung, dass er vor einer Entscheidung eine Anhörung verlange. Und nach dem Verdikt am Donnerstag bekräftigten Blatters Rechtsvertreter, dass keine Anhörung erfolgt sei. Dem widerspricht allerdings die Ethikkommission: Blatter - wie auch Platini - sei am 1. Oktober rechtliches Gehör gewährt worden.

Interimspräsident: Der Kameruner Issa Hayatou, der den suspendierten Blatter an der Fifa-Spitze vertritt, war bereits selbst in diverse Affären verwickelt. (Foto: Chung Mong-joon/AP)

Für Blatter geht es sicherlich auch darum, dass sich die Fifa so aufstellt, dass selbst nach den Präsidentschaftswahlen am 26. Februar 2016 noch Platz für ihn ist. Anzunehmen ist, dass er schon seit seiner erzwungenen Rücktrittsankündigung im Juni an einer ihm genehmen Lösung bastelt. Ab sofort ist ihm zwar jedes Befassen mit Fußballthemen untersagt, aber Blatter hat auch solche Hindernisse schon einmal überwunden.

Es deutet sich sogar bereits ein Modell an, wie er sich doch noch in der Fifa halten und den einen oder anderen Bürotag auf dem Zürichberg verbringen könnte. Der Südafrikaner Tokyo Sexwale wird gerade auf die Kandidatenbühne geschoben, er ist verbunden mit dem langjährigen Fifa-Manager Jérôme Champagne, der bis zu seiner Entlassung als stellvertretender Fifa-Generalsekretär 2011 Blatter treu zur Seite gestanden war. Sie drängen offenkundig in eine führende Rolle. Tritt Sexwale an, der unbelastet von Fifa-Affären ist und eine Kommission zu den Fußball-Beziehungen zwischen Israel und Palästina führt, darf angenommen werden, dass Champagne Kandidat für den Job als Fifa-Generalsekretär ist. Auch der ist nun vakant, die Ethiker haben Jerôme Valcke suspendiert.

Für Blatter ist die Entscheidung des Ethikkomitees insofern auch ein großer Erfolg, als die Sperren in Platini und Chung die zwei Personen betreffen, die er als Nachfolger unbedingt verhindern wollte. Platini, 60, war Favorit, bis die Schweizer Behörden die Ermittlungen aufnahmen. Trotz der Aktivitäten der Behörden sowie der nun verhängten 90-Tage-Sperre scheint er davon überzeugt zu sein, dass er als Kandidat noch immer in Frage kommt. In seinem Umfeld heißt es dazu passend, Platini sei kaum mehr erreichbar; er lebe in einer eigenen Interpretationswelt.

Schon am Donnerstagmittag, noch vor der offiziellen Mitteilung über die Sanktion, hatte er geklagt, bei den Vorgängen ginge es darum, seine Reputation zu zerstören, er werde aber kämpfen. Am Abend stiftete die Uefa noch einmal gründlich Verwirrung. Zunächst gab es eine Pressemitteilung, in der es hieß, dass sich das Uefa-Exekutivkomitee voll hinter den Franzosen gestellt habe. Es sehe keine Notwendigkeit, einen Interimspräsidenten zu berufen, ergo: Platini solle die Amtsgeschäfte weiterführen. Das widerspricht jedoch den Regularien der Fifa-Ethikkommission und wäre ein Schritt hin zu einer gravierenden Konfrontation mit ungewissen Folgen gewesen. Viele Uefa-Mitglieder hätten Sanktionen zu befürchten gehabt. Auf Anfrage revidierte der Verband dann seine Position: Platini sei aktuell gesperrt, er habe nicht an der spontanen Sitzung der Exekutive teilgenommen und verschiedene offizielle Termine und Flugreisen gestrichen.

In jedem Fall hatte Platini noch kurz vor der Sperre die fünf Unterstützungsunterschriften vorgelegt, die für eine Kandidatur als Fifa-Präsident nötig sind. Da klingt viel Trotz an, in der Welt der Fifa und ihrer Formalitäten aber kann derlei noch wichtig werden. Offenbar reichte er als Noch-Nicht-Gesperrter die Unterschriften seiner Unterstützer ein. Die Meldefrist für Kandidaten endet am 26. Oktober. Danach befindet die Wahlkommission, welche Bewerber sie zulässt. Grundlage ist unter anderem ein Dossier, das die Ethikkammer erstellt. Und ein Integritäts-Check.

Es droht die lebenslange Sperre: Fifa-Boss Sepp Blatter (l.) und Uefa-Chef Michel Platini. (Foto: dpa)

Abseits der Formalitäten ist Platini politisch untragbar und muss damit rechnen, dass die Unterstützung rasch schwindet. Offiziell darf er sich mit niemandem aus der Fußballszene austauschen, ohne dass der Gesprächspartner selbst eine Sanktion riskiert. Insofern überraschte nicht, dass in Wolfgang Niersbach, dem Präsidenten des Deutschen Fußball-Bundes (DFB), erstmals einer seiner engsten Begleiter abrückte: "Vor 14 Tagen war noch alles klar. Er hatte über 100 Unterstützer, auch den DFB. Wir müssen die neue Situation bedenken. Vor allem muss er selbst entscheiden, ob er mit der Belastung die Kandidatur aufrechterhalten kann."

Der Südkoreaner Chung, 63, reagierte erzürnt auf die Sechs-Jahres-Sperre gegen ihn. Er sieht sich in seiner These bestätigt, dass die Ethikkommission vor allem dazu diene, die Blatter-kritischen Präsidentschaftskandidaten auszuschalten. "Das ist das eklatanteste Scheitern der Justiz. Die Fifa ist wie die sinkende Titanic", sagte er. Er wolle rechtliche Maßnahmen ergreifen. Die Fifa-Ethiker legen ihm ein Fehlverhalten im Zusammenhang mit der Vergabe der WM 2022 zu Last, für die sich auch Südkorea bewarb, die aber Katar erhielt.

Möchtegern-Präsident II: Der langjährige Fifa-Vorstand Mong Joon Chung wollte im Februar Präsident werden, jetzt sperrte ihn die Ethik-Kommission für sechs Jahre. (Foto: Ahn Young-joon/AP)
© SZ vom 09.10.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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