Fecht-WM in Mailand:Umbruch bei den Krachmachern

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Erfahrenster im deutschen Säbelteam: Matyas Szabo. (Foto: Anke Waelischmiller/Sven Simon/Imago)

Das Team der deutschen Säbelfechter setzt sich aus überwiegend unerfahrenen Akteuren zusammen. Gut, dass ihr Trainer es schafft, deren Stärken zur Geltung zu bringen.

Von Volker Kreisl

Sie haben es sogar mal versucht. Die Säbelmannschaft von Trainer Vilmos Szabo hat tatsächlich probiert, etwas ruhiger aufzutreten. Mit weniger Krach, weniger Gebrüll, weniger Getrampel. Vielleicht fördert das feinere Stärken zutage, dachten sie, vielleicht mehr Präzision, Vernunft, Planmäßigkeit, wie es ja fast alle Sportarten bieten.

Nach wenigen Tagen erkannte Szabo: "Vergiss es." Ihre bewährte Taktik bleibt also weiterhin: Volle Attacke!

Das Säbelfechten wird abermals die Party werden, auch bei den Fecht-Weltmeisterschaften in Mailand, die am Samstag mit den Qualifikationen begonnen haben und ab Dienstag die ersten Einzelentscheidungen ausfechten. Schon jetzt deutet sich eine WM mit Licht und Schatten an. Anders als etwa in der Leichtathletik sind russische Sportler, die formell nichts mit dem Militär zu tun haben, als neutrale Athleten zugelassen. Weil dies nichts daran ändert, dass sie Russen bleiben und auch auf ukrainische Fechter hätten treffen können, bleiben letztere, was klar war, von der WM fern. Auch sie haben starke Fechterinnen und Fechter, die nun in Mailand nicht auf die Planchen gehen.

Drei von vier Top-Säblern haben ihre Karriere beendet

Auf denen wird in den Waffen Florett, Degen und Säbel gefochten. Und auch für die deutschen Teams wird es schon ernst, denn die WM gibt einen klaren Leistungsstand, wonach die Trainer wissen, wieviel Arbeit noch bevorsteht, um 2024 in Paris bei Olympia dabei zu sein. Bei der EM vor einem Monat errangen die deutschen Fechter immerhin dreimal Team- und zweimal Einzel-Bronze: Die Männer und Frauen mit dem Florett, darunter die Europameisterin von 2022, Leonie Ebert - und die Säbler, von denen die meisten Nationen ihren Sport laut interpretieren; die Deutschen etwas lauter.

Deren sportliche Randale auf der Fechtbahn ist nicht nur irgendein Trick, sondern die Unterstützung der Dynamik, die Philosophie von Trainer Szabo. Es sei ganz einfach: "Zwei Schritte maximal sind es, dann kommt schon der entscheidende Ausfallschritt, deshalb" - und jetzt geht es mit dem Coach etwas durch - "muss schon alles an der Startlinie explodieren." Sekundenbruchteile sind das, dann prallen die Fechter aufeinander, die Deutschen zuletzt meist wuchtiger, weshalb sie einige Erfolge gesammelt haben. Doch aktuell wird es schwierig. Von seinen vier Top-Säblern haben drei die Karriere beendet, darunter Welt- und Europameister Max Hartung. Vom alten Team ist noch Trainersohn Matyas Szabo dabei, der nun nicht nur Fechter ist, sondern auch Anführer.

Wie sollte da die Zukunft ausschauen, mit so wenig Erfahrung im Team, mit lauter unbekannten Namen? Nun, Säbelfechten ist auch unberechenbar, und seit der EM im Mai kennen in der Szene nun alle die neue Mannschaft: Frederik Kindler, Raoul Bonah und dessen Bruder Luis, der für den verletzten Lorenz Kempf eingesprungen war. Vor allem aber stach im entscheidenden Team-Gefecht des kleinen EM-Finals gegen Ungarn der noch unerfahrene Bonah heraus, den jetzt der 33-jährige Aron Szilagyi, Einzel-Olympiasieger von London, Rio de Janeiro und Tokio sowie ausgezeichnet mit 17 weiteren Großplaketten, besonders gut kennengelernt hat.

Der Sieg im Juni könnte das junge Team auf dem Weg nach Olympia entscheidend motivieren

In allen Sportarten kann einer mal eine Sternstunde erleben, wobei es im Fechten wohl öfter möglich ist. Da geht es weniger ums Messen von Tempo, Höhe oder Weite, sondern um Selbstbewusstsein und Frechheit, den Aufbau kleiner Erfolgserlebnisse, ums Enttarnen der Stärken des Gegners, kurz - es geht darum, einen Flow Richtung Sieg zu erwischen. Und in diesem Teamfinale brauchte man einen erfahrenen, ja, schlitzohrigen Trainer wie Szabo. Der stellte nicht seinen Sohn Matyas gegen Szilagyi auf, sondern einen aus dem restlichen Team, der noch leicht grün hinter den Ohren ist: Raoul Bonah.

Bonah? Den kannte Szilagyi noch nicht, außerdem, sagt Szabo, habe dieser genau den Fechtstil, mit dem Szilagyi schwer zurechtkommt. Der Coach hatte nun die Wahl, eine wahrscheinliche, aber anständige Niederlage zu kassieren oder einen zuvor fast aussichtslosen, aber eminent wichtigen Sieg zu erringen.

Es wurde dann ein Sieg, dessen Bedeutung über die EM in Krakau weit hinausgehen könnte. Die Taktik war aufgegangen, Bonah machte insgesamt 15 Punkte in der Mitte des Gefechts, unter anderem gegen Szilagyi, der dann zumindest an diesem Tag den Glauben an sich verlor. Am Ende war es Bronze für dieses ungewöhnliche deutsche Team, das die Erfolge der Säbler fortsetzen soll.

Die WM in Mailand ist eine wichtige erste Hürde, die das Team halbwegs überwinden müsste. Es geht ja um die nähere Zukunft, die Qualifikation für Olympia in Paris 2024. Bestenfalls nimmt Szabos Quartett nach den Einzeln den Schub des EM-Erfolgs auch für den Team-Wettkampf am Freitag auf und setzt sich in den kommenden Monaten abermals durch, und zwar in der Weltrangliste - im Idealfall gegen Italien und Frankreich. Jedoch: "Das wird sehr hart," sagt Szabo.

Denn dazu braucht es den gemeinsamen Glauben an die eigene Mannschaft, was für alle Waffen gilt. Das Frauen- und Männer-Florett des Deutschen Fechter-Bunds hat ebenso Chancen für Paris, die deutschen Degenfechter müssen sich noch deutlich steigern. Und jedes Quartett motiviert sich dabei auf seine Weise für den Sieg, in den Ranglisten wie auf der Fechtbahn, nicht jedes aber so laut wie Szabos Säbler.

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