FC Schalke 04:"Horst: Du wirst daran gemessen!"

Lesezeit: 3 min

"Diesmal, da sind wir uns alle einig, war es eine beschissene Saison", gab Manager Horst Heldt am Sonntag vor 9000 Schalkern zu. (Foto: Maja Hitij/dpa)

Bei der Hauptversammlung belässt es Klubchef Tönnies bei einer Ermahnung für Manager Heldt.

Von Philipp Selldorf, Gelsenkirchen

Nachdem die Mannschaft des FC Schalke 04 am letzten Bundesligaspieltag den Auftrag verfehlt hatte, den Hamburger SV in die zweite Liga zu befördern, schien der Klub aus Gelsenkirchen nicht nur die Schande der Fußball-Nation zu sein, sondern auch kurz vor einer Art Bürgerkrieg zu stehen. Die gespenstischen Auftritte zum Saisonfinale quittierte das königsblaue Publikum mit tief greifender Verachtung und der kollektiven Exkommunizierung der Spieler (mit Ausnahme von Torwart Fährmann). Die Wut richtete sich auch gegen die Vereinsführung, und dem für die Profis zuständigen Manager Horst Heldt blieb nur ein Trost: dass bis zur turnusmäßigen Jahreshauptversammlung des Vereins noch sechs Wochen vergehen würden. Die Zeit sollte sein Verbündeter werden, und er nutzte die Frist: Er engagierte mit André Breitenreiter einen mehrheitsfähigen Trainer für den in Notwehr entlassenen Roberto Di Matteo und verpflichtete aus Mainz den Mittelfeldspieler Johannes Geis, den auch der böse Nachbar Dortmund mal haben wollte. Angeblich wurde die Bekanntgabe des Transfers forciert, damit sie rechtzeitig zum Kongress gute Laune verbreitet.

Dennoch erwarteten die lokalen Experten eine lautstarke und kontroverse Vollversammlung im Stadion, und tatsächlich war das Interesse der Gemeindemitglieder enorm. Mehr als 9000 Schalker versammelten sich im abgedunkelten Stadion, während draußen ein herrlicher Sommertag lachte. Viele kamen in ihren blau-weißen Ausgeh-Anzügen - in alten und neuen Trikots und manche auch in steinalten Kutten, die sie schon im Parkstadion getragen hatten. Die Beobachter aber, die meinten, dass sich die Leute zum Strafgericht für Manager und Mannschaft gerüstet hätten, lagen falsch. Es kam dann doch wieder mal ganz anders, beim Gros des Vereinsvolkes war die Wut verraucht, man war eher versöhnlich als feindlich gestimmt. Auch die in großen Teilen anwesende Mannschaft wurde - mit dem neuen Trainer in der Mitte - freundlich empfangen, und es blieb bis zu ihrem Auszug um kurz vor halb vier dem Aufsichtsratschef und Versammlungsleiter Clemens Tönnies vorbehalten, den Profis eine explizite Rüge für ihre Versäumnisse zu erteilten. Die Profis Marco Höger und Roman Neustädter guckten angemessen schuldbewusst.

Nachdem verschiedene Satzungsänderungen diskutiert und verworfen und zwei neue Aufsichtsratsmitglieder gewählt waren, kam gegen fünf Uhr nachmittags der Moment, den viele der seit fünf Stunden ausharrenden Anwesenden für den spannendsten hielten: Tönnies erteilte dem Vorstandsvertreter Sport, Horst Heldt, das Wort. Da und dort hallten Pfiffe durchs Stadion, ein Sturm der Entrüstung war das aber nicht. "Heute ist alles anders", sprach Heldt vom Podium: "Viermal habe ich hier gestanden und konnte sagen, sportlich war es eine gute Saison. Heute ist das anders. Diesmal war es, da sind wir uns alle einig, eine beschissene Saison." Da gab es dann keine Pfiffe, sondern Beifall für den angeblich so umstrittenen Sportchef, und es gab sogar noch mehr Beifall, als er sagte, dass ihn weniger die ungewohnt schlechte Platzierung als der noch viel schlechtere Fußball gestört habe. "Mit einigen Verpflichtungen habe ich daneben gelegen", räumte Heldt ein und berichtete, dass er die Pause genutzt habe, um einen 15-seitigen Verhaltenskodex für die gelegentlich liederlichen Profis zu erarbeiten. Die Menschen dankten das Werk mit Applaus.

An Beschwörungen des königsblauen Familiengefühls hat es auch sonst nicht gefehlt beim Versuch, die vermeintlich erbosten Mitglieder zu besänftigen. Der alte Held Ebbe Sand grüßte von der Videoleinwand und versprach seinen Besuch (Tönnies: "Ich habe ihn in Dubai ausgegraben"), womöglich sogar regelmäßig: Sand gehört wie Huub "Jahrhunderttrainer" Stevens und Uefa-Cup-Sieger Mike Büskens zum neuen sportlichen Beirat, der den Aufsichtsrat unterstützen soll. Und auch Heldts Handeln künftig beurteilen?

"Ich stelle fest: Es ist doch nicht alles scheiße!", sagte Tönnies befriedigt, als er meinte, das Gröbste überstanden zu haben. Der mitteilsame Aufsichtsratschef räumte ein, dass auch er zur missratenen Saison beigetragen habe ("Ich habe mich zu oft in die Tagespolitik eingemischt"), aber die alte Gutsherrenmanier hat er nicht ganz ablegen können. An den Manager gewandt, raunte er: "Horst Heldt hat die Lehren aus der Saison ansehnlich dargestellt. Aber Horst: Du wirst auch daran gemessen! Von uns allen."

© SZ vom 29.06.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: