1. FC Köln:Wie in den Erzählungen der Großeltern

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Die erste Europapokal-Qualifikation seit 25 Jahren versetzt den 1. FC Köln in kollektiven Rausch.

Von Philipp Selldorf, Köln

Der Mann vom Wachdienst fühlte sich nicht wohl, als er der Gruppe Hooligans gegenüberstand, die Einlass in den Pressesaal begehrten. Einige versuchten es mit schmeichelnden Worten, andere schubsten und drängelten, und sicherlich hätte der Türsteher nach schlagkräftiger Verstärkung gerufen, wenn diese Eindringlinge, die unbedingt die Pressekonferenz mit Peter Stöger und Martin Schmidt besuchen wollten, nicht die Lizenzspieler des 1. FC Köln gewesen wären. Dass sie mehr als zeitgeschichtliches Interesse trieb, das verrieten die Waffen in ihren Händen: Manche hatten mit Bier gefüllte Becher und Gläser mitgebracht, Anthony Modeste trug gar einen vollen Eimer in den starken Händen, und Simon Zoller schleppte eine riesige Kölschstange an, in die der Inhalt eines ganzen Fasses passte. Doch der Ordner wollte nicht mal für die Kölner Volkshelden eine Ausnahme machen. Anweisung vom Verein: Kein Zugang mit alkoholischen Getränken. Modeste war schwer genervt.

FC-Geschäftsführer Alexander Wehrle erlöste den bedauernswerten Wachmann und hob die Verfügung auf, so dass dem Showdown nichts mehr im Wege stand. Wobei Peter Stöger von vornherein wusste, dass er keine Chance haben würde gegen die Eindringlinge. Der Kölner Trainer mahnte Modeste, den Kollegen Schmidt zu verschonen ("Ich mach' dich weiß", drohte er dem Franzosen), zog ein Drei-Sätze- Fazit vom 2:0-Sieg gegen Mainz 05 - und ergab sich dann seinem Schicksal: der vielfachen Bierdusche. Schmidt hatte rechtzeitig Reißaus genommen, vorher aber richtete er eine Warnung an die in ihrer Europacup-Seligkeit schwelgenden Kölner: "Denkt dran", sagte er, "es gibt brutal viel Arbeit." In der nächsten Saison, wenn der FC durch Europa tourt - endlich wieder, nach 25 Jahren Abstinenz.

Auf Händen getragen: Dem Kölner Konstantin Rausch wurde ein Privileg zuteil, in dessen Genuss sonst überwiegend Rockstars kommen. (Foto: Mika Volkmann/imago)

Der Schweizer Trainer hat mit seinen Mainzern die Freuden der Europa League bis in den vorigen Dezember genießen dürfen, nach der Gruppenphase war Feierabend, aber Schmidt unterließ in Köln nicht den Hinweis, dass der Klassenerhalt des FSV trotz der Mehrbelastung gelungen sei. Diese Botschaft richtete er aber weniger an Stöger und die Kölner, als an die Leute im eigenen Verein, die sich offenkundig mit dem Gedanken tragen, den Coach zu verabschieden, um ihn durch den U-23-Trainer Sandro Schwarz zu ersetzen. Dieser gilt als besonders talentiert, und es gibt dem Vernehmen nach die Sorge, dass er einen anderen Job annehmen könnte, wenn er jetzt nicht bei seinem Heimatklub zum Cheftrainer befördert wird. Der Mainzer Sportchef Rouven Schröder erklärte, der Verein müsse "nächste Saison viele Dinge anders machen".

Auch in seinem womöglich letzten Spiel hat Schmidt seine Mannschaft redlich angetrieben, doch zu einer Torchance, die sich seriös so bezeichnen ließe, sind die 05er in den 90 Minuten nicht gekommen. "Wir wollten's euch schwer machen", sagte der vorwiegend freundliche Schweizer und gestand gern ein, dass er sich mit den Kölnern freue.

Es gab auch ohne Mainzer Torgefahr diese Momente, in denen es noch hätte schief gehen können. Ein einziges Gegentor hätte ja gereicht, "und dann hättest du gefühlt eine Scheiß-Saison gespielt", sagte Stöger. An diesem nervösen, schwülen Maitag hatten sich die Kölner Kneipen schon zwei Stunden vor dem Spiel mit Menschen gefüllt, die den historischen Moment nicht erwarten konnten, und es war dann die richtige Pointe, dass stellvertretend für diese immer maximal diensteifrige und zuverlässige Mannschaft der zuverlässigste Spieler überhaupt das 1:0 erzielte. Jonas Hector erzählte später, er habe sich vorgenommen, "das Ding mit brachialer Gewalt reinzuhauen" - in Wahrheit war es ein bescheidener Kullerball, der mit einiger Hilfe des Mainzer Torwarts Huth die Linie passierte. Andererseits war es natürlich auch ein gigantischer Knaller-Ball, der die Mauern der 2000 Jahre alten Stadt erschütterte, "so unglaublich erlösend und befreiend für jeden Einzelnen", wie Außenverteidiger Rausch nicht nur im Namen der Mannschaft sagte. Yuya Osakos spätes 2:0 beendete das Bangen, und wenige Minuten darauf stürmten die Massen den Rasen, auf dem sich demnächst womöglich glamouröse Gegner wie Quäbälä und Krasnodar einfinden werden. Vorher muss man das arg gerupfte Grün allerdings renovieren, ein neues Tor wurde bereits am Samstag aufgestellt - das alte hatten die Fans demontiert.

Der 1. FC Köln ist inzwischen eine der solidesten Existenzen der Liga

Dass der kleine Europacup eine Gefahr sein kann für die sportliche Stabilität im nächsten Jahr, das ist den Strategen im Klub natürlich bewusst. Doch Jörg Schmadtke und Peter Stöger ließen sich nicht weniger von der Sehnsucht nach Europa ergreifen als die Spieler und die Fans. Schon im Winter wurde das klar, als die Verantwortlichen im Handumdrehen entschieden, den Torjäger Anthony Modeste trotz eines obszönen Angebots aus China in der Stadt zu halten. Es war keine Kölner Träumerei, die sie antrieb, sondern fundierte Ambition. Der FC ist, oh Wunder, eine der solidesten Existenzen der Bundesliga, dieser Tabellenplatz ist der verdiente Lohn der Läuterung. Torwart Timo Horn kam sich am Samstag zwar "fast wie im Märchen" vor, das lag aber vor allem daran, dass er als gebürtiger Kölner und frühkindlicher Stadiongänger noch kein Europacupspiel seines ehedem so ruhmreichen Vereins erlebt hat: "Wir kennen das alle nur aus Erzählungen von den Großeltern und werden erst in einigen Tagen realisieren, was wir da erreicht haben."

© SZ vom 22.05.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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