FC Chelsea:Angst vor einer "Mourinho-Saison"

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Chelseas teuerster Zugang wurde eingewechselt, erzielte aber noch ein Tor gegen Burnley – 65-Millionen-Euro-Stürmer Alvaro Morata kam von Real Madrid. (Foto: Tony O'Brien/Reuters)

Zum Start ein 2:3 - die Titelverteidiger aus London fürchten ein ähnliches Schicksal wie zwei Jahre zuvor: den Absturz sofort nach der Meisterschaft.

Von Sven Haist, London

Im englischen Fußball hat sich ein neuer Fachausdruck etabliert. Der Begriff verdeutlicht den tabellarischen Absturz eines Meisters in der Folgespielzeit, Trainerentlassung inklusive. Als Impuls dafür diente das Abschneiden des FC Chelsea in der Saison 2015/16. Nach 16 Partien in der Premier League hatte sich der damalige Titelträger lediglich 15 von 48 möglichen Punkten erspielt, sogar Aufsteiger AFC Bournemouth war besser. In der Not jagte Chelsea den Trainer vom Hof. Der erfolgsbesessene José Mourinho, mittlerweile im Dienst von Manchester United, hätte diese Episode am liebsten unter den Tisch gekehrt. Passiert ist jedoch das Gegenteil, mit einiger Verspätung trägt das Malheur jetzt seinen Namen.

Denn jüngst erklärte Antonio Conte, Chelseas aktueller Coach, sein Team müsse unbedingt eine "Mourinho-Saison" vermeiden. Die Bezeichnung "Mourinho-Saison" tauchte da erstmals und sicher nicht zufällig auf: Conte und Mourinho verbindet eine innige Abneigung.

Die Startphase lässt bei Chelsea nun eine Duplizität der Ereignisse befürchten, eine neuerliche "Mourinho-Saison". Zum Auftakt gab es in der Premier League für den Titelverteidiger am Samstag sogleich zu Hause an der Stamford Bridge ein 2:3 gegen den FC Burnley, der in der vorigen Saison knapp vor Hull City das auswärtsschwächste Team der Liga war. Nach 24 Minuten stand es 0:1, nach 39 Minuten 0:2, nach 43 Minuten 0:3 - nach 90 Minuten stand Chelsea mit nur noch neun Spielern auf dem Platz. Nach einer rüden Attacke sah Kapitän Gary Cahill die rote Karte (14.), dann foulte sich der bereits wegen Meckerns verwarnte Cesc Fabregas vorzeitig in die Kabine (81.). Für das Massenblatt Sun stand fest: "Eine Horrorshow".

Chelseas Kader scheint schon zu Beginn der Saison am Ende zu sein. Seit der russische Oligarch Roman Abramowitsch den Klub vor 14 Jahren übernahm, soll er mehr als zwei Milliarden Euro in sein Spielzeug investiert haben. Zuletzt ließ sich jedoch ein Knausern erkennen, was seine Investitionen ins Personal betrifft. Die Meisterschaften 2015 und 2017 tarnten zudem Verschleißerscheinungen bei den Spielern.

Analog zum Titelgewinn 2015 unter Mourinho trieb Conte seine Spieler wie ein strenger Hirte durch die Saison. Nach schwachem Auftakt sorgte er mit der Umstellung auf eine Dreierkette in der Abwehr für neue Energie. Zur Hilfe kam ihm der Eigenantrieb der Spieler, sich demonstrativ von Mourinho zu emanzipieren. Diese Dynamik ging nach dem erreichten Ziel augenscheinlich abrupt verloren. Selbst das Pokalfinale weckte bei Chelsea keine neue Leidenschaft. Stattdessen werden atmosphärische Störungen sichtbar. In drei Pflichtspielen in Serie (FA Cup-Finale, Supercup, Ligaauftakt) kassierten die Londoner insgesamt vier Platzverweise.

Die beste Startelf besitzt womöglich noch die Qualität zur Titelverteidigung - nur das Aufgebot dahinter reicht aktuell nicht mal fürs notorische Sorgenkind Burnley aus dem Norden Englands. Für die verletzten Hauptdarsteller, den Belgier Eden Hazard und den Spanier Pedro, agierten im Angriff Michy Batshuayi und Jérémie Boga. Zum Nachlegen hatte Conte unter anderem noch Kyle Scott auf der Bank, Fikayo Tomori und Charly Musonda. Selbst Chelseas Fans mussten erst mal nachschlagen: Wer sind diese Spieler? Wo kommen sie her? Die Blues sind ja in der Szene bekannt dafür, unzählige Profis unter Vertrag zu nehmen, um sie dann bei anderen Vereinen für eine Leihgebühr ausbilden zu lassen. In der Hoffnung, ein künftiger Himmelsstürmer sei darunter. Debütant Boga lief zum Beispiel zuletzt für Spaniens Zweitligisten FC Granada auf - und scheint eher kein Himmelsstürmer zu sein.

Erste Symptome eines Kollaps hatten sich schon im Supercup gezeigt, als die Blues mit dem Stadtrivalen FC Arsenal in keinem Bereich mithalten konnten. Dass die Niederlage doch erst im Elfmeterschießen besiegelt wurde, war für Chelsea noch die beste Nachricht des Tages. An der Seitenlinie coachte Conte im Blaumann, im Trainingsanzug, das weiße Poloshirt hing ihm aus der Hose. Sein Kleidungsstil sollte bei der Klubleitung wohl den Eindruck eines stillen Protests erwecken. Denn Conte sehnt sich nach Verstärkungen. Auch am Samstag erschien er im selben Outfit. Sonst besticht der modebewusste Italiener eigentlich im Designeranzug.

In Kauflaune scheint Chelsea indes nicht zu sein. Im Gegenteil: In Nemanja Matic ließen die Blues ihren loyalen Stabilisator vor der Abwehr gleichgültig zum Konkurrenten ManUnited ziehen. Vermutlich musste wieder Geld reingeholt werden für den Transfer des momentan angeschlagenen Mittelfeldspielers Tiemoué Bakayoko. Der AS Monaco verlangte mit 40 Millionen Euro in etwa die Summe, die Chelsea letztlich für den Serben Matic erhielt.

Hinzu kamen für die Blues etwa 65 Millionen Euro, um Alvaro Morata aus seinem Vertrag bei Real Madrid herauszuholen. Dort war der Torjäger nur Ersatz, aber seine Verpflichtung wurde unumgänglich, brachte doch das Zerwürfnis zwischen Trainer Conte und seinem besten Angreifer, Diego Costa, den Verein in die Bredouille. Die Folgen dürfte Chelsea bald beim Verkaufswert von Costa spüren. Der treibt sich nach seiner Suspendierung provokant in der Welt herum - bloß nicht auf dem Trainingsgelände, um sich fit zu halten.

An den Eigenwilligkeiten Costas war zuvor auch schon Mourinho gescheitert. Der Portugiese wird mit viel Interesse aus Manchester verfolgen, welchen Lösungsansatz Conte präsentiert. Einmal hat er schon gekontert. Als Mourinho auf die "Mourinho-Saison" angesprochen wurde, griff er sich in die Frisur. Eine Anspielung auf Contes vollzogene Haartransplantation.

© SZ vom 14.08.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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