FC Bayern München - VfB Stuttgart  (15.30 Uhr):Einst im Mai

Lesezeit: 4 min

Steht für das Potenial des Stuttgarter Kaders: der 22-jährige Anastasios Donis. (Foto: Matthias Hangst/Bongarts/Getty Images)

Weit unter seinen Möglichkeiten: Der Stürmer Anastasios Donis, der beim vergangenen Stuttgarter Gastspiel beim Rekordmeister ein denkwürdiges Spiel zeigte, steht stellvertretend für die Lage beim VfB.

Von Christof Kneer, Stuttgart

Der FC Bayern ist auch nicht mehr das, was er mal war. Das, was sich im Mai vorigen Jahres in der Münchner Arena ereignete, hätte sich der gute, alte FC Bayern niemals bieten lassen. Vorgeführt werden im eigenen Stadion? 1:4 verlieren gegen einen alten Rivalen, der eigentlich längst nicht mehr zum ernsthaften Gegner taugt? Und das am 34. Spieltag, an dem man stimmungsvoll die Meisterschale vorzeigen möchte?

Die Rache der Bayern wäre früher fürchterlich gewesen: Sie wären strammen Schrittes zu ihrem Festgeldkonto marschiert und hätten dort einen mittelgroßen Betrag abgehoben, der für alle anderen Mitbewerber aber riesengroß gewesen wäre. Mit diesem Betrag hätten sie dem frechen Gegner den besten Mann des Spiels weggekauft, ungeachtet dessen, ob sie diesen besten Mann auch wirklich gebrauchen könnten.

Aber mei, die Zeiten haben sich geändert. Anastasios Donis spielt immer noch beim VfB Stuttgart.

Es war ein großartiger Sommer in Stuttgart, schon der Mai 2018 fühlte sich an wie ein Versprechen. Zwar wussten die Stuttgarter selbst nicht genau, wie sie diese ganzen 1:0-Siege herausgeholt hatten, die sie am Ende zur zweitbesten Rückrunden-Mannschaft machten. Aber sie wollten es auch gar nicht so genau wissen. Es reichte, dass es diese Siege gegeben hatte, und dass der Sportvorstand Michael Reschke dazu noch einige angeblich sehr aussichtsreiche Zugänge herbeigeschafft hatte. Und vor allem freuten sich alle auf diese interne Verstärkung: auf den Griechen Anastasios Donis, der beim 4:1 in München ein Tor vorbereitet und eines selbst erzielt hatte, und das auf die denkbar beeindruckendste Weise. Er hatte es geschafft, den FC Bayern aussehen zu lassen, als sei der längst kein ernsthafter Gegner mehr.

Erinnerungen an einen traumhaften Nachmittag

Vor dem ersten Tor sprintete Donis in der eigenen Hälfte los und ließ erst mal Thiago stehen, dann legte er den Ball an Mats Hummels und Rafinha vorbei und überholte sie mit Leichtigkeit, und am Ende schob er den Ball völlig unangestrengt zu Daniel Ginczek rüber, der den Ball ins Tor schoss. Später zog Donis nochmal los, diesmal spurtete er an Niklas Süle vorbei, und es war dann auch schon egal, dass er sich den Ball ein bisschen weit vorlegte. Er erreichte den Ball ja noch, im Gegensatz zu allen anderen, und weil er schon mal da war, schob er den Ball sehr lässig an Sven Ulreich vorbei ins Bayern-Tor.

Der Trainer habe Donis' Fähigkeiten heute schön erkennen können, sagte der Sportchef Reschke nach dem Spiel, es war ein feiner betriebsinterner Hinweis. Der damalige VfB-Trainer Tayfun Korkut hatte Donis bis dahin zumeist versiert ignoriert, zu undiszipliniert erschien ihm der wilde Grieche für das auf Kompaktheit berechnete Wir-schießen-ein-Tor-und-gut-isch's-System des VfB. Selbst wenn es 1:0 für den VfB stand, hat Korkut auf die Einwechslung dieses rasenden Konterstürmers verzichtet, er hat dann meistens Holger Badstuber gebracht und auf noch größere Kompaktheit sowie das Glück vertraut.

Aber jetzt, dachte Reschke also nach diesem 4:1 im Mai so bei sich, jetzt würde Korkut ja kaum anders können, als diesen Donis in der neuen Saison endlich zum Stammspieler zu machen, oder? Die Geschichte zeigt: Korkut konnte.

Beim VfB hängt zu viel von ein, zwei Spielern ab

Acht Monate später kehrt nun ein VfB in die Münchner Arena zurück, dem man den großartigen Sommer nicht mehr ansieht. Drittletzter sind die Stuttgarter, Tore schießen sie wenige, dafür kassieren sie viele. Und Tayfun Korkut kommt längst nicht mehr in die Bredouille, den Stürmer Donis übersehen zu müssen, er ist längst entlassen. Und sein Nachfolger Markus Weinzierl hat den Griechen jetzt zwar in den Kader fürs aktuelle Bayern-Spiel berufen, aber ob Donis auch wirklich spielen wird? Wenn, dann aus taktischen und vielleicht auch nostalgischen Erwägungen, aber nicht, weil er dieser unwiderstehliche Leistungsträger geworden wäre, den Reschke da einst im Mai die Bayern-Abwehr zerzausen sah.

Donis, 22, steht auf sehr spezielle Weise stellvertretend für den aktuellen VfB. Für Donis gilt, was für den VfB gilt: Beide spielen dramatisch unter ihren Möglichkeiten. Der 1. FC Nürnberg bemüht sich tapfer, mit einem begrenzt erstligatauglichen Kader die erste Liga zu halten, auch im Aufgebot von Hannover 96 fehlen zumindest jene Individualisten, die mit einer einzigen Aktion mal den Unterschied ausmachen können. Der VfB ist zwar bei weitem nicht so gut, wie die Fans und auch die Verantwortlichen um Michael Reschke das im Sommer gehofft und vielleicht auch gedacht haben, aber das Potenzial sollte eigentlich schon ausreichen, um an 18 Spieltagen mehr als 14 Tore zu schießen. Aber diesen Fehler müssen sich die VfB-Kaderplaner in jedem Fall ankreiden lassen: Es hängt in diesem Kader zu viel von ein, zwei Spielern ab, und einer dieser Spieler ist Anastasios Donis.

Es war Weinzierls Pech, dass er im Herbst einen VfB-Kader übernahm, dem genau diese beiden Spieler fehlten: Donis hatte sich gerade einen schweren Muskelbündelriss zugezogen, von dem er sich bis Weihnachten nicht richtig erholen sollte, und Daniel Didavi, der Spielmacher, litt unter jener mysteriösen Achillessehnenblessur, die ihn bis heute behindert. Gemeinsam könnten die beiden Didonis sein, ein Traumpaar, das sich so perfekt ergänzt wie Ende September im Heimspiel gegen Werder Bremen. Da schickte Didavi einen komplizierten langen Ball durch eine enge Gasse, Donis nahm die Sendung dankbar an, rannte allen davon, umkurvte den Torwart und schoss ein Tor.

In diesem Spiel verletzte sich Donis, und auch Didavi fiel danach wieder lange aus. Ein paar Tage hat das Transferfenster noch geöffnet, aber den Stuttgartern wäre es am liebsten, sie könnten als Winterzugang einfach nur einen gesunden Didonis einplanen.

© SZ vom 27.01.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: