FC Bayern München:Spezialist für Knalleffekte

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Der lange verletzte Dauerläufer Franck Ribéry ist wieder bei Kräften, sein anarchisches Spiel reißt den FC Bayern mit und nimmt den Druck von der wackeligen Abwehr.

Moritz Kielbassa

Am Ende des Tages ist Fußball ein einfaches Spiel. Mit schlichten Wahrheiten. Und obwohl derzeit komplizierte Fortbildungen stattfinden beim FC Bayern, wie Passspielbeschleunigung und bessere defensive Raumordnungsverfahren, pfeifen die hohen Herren des Vereins - Abteilung: Tradition - mitunter auf all das moderne fachchinesische Blablabla. Manager Uli Hoeneß vertritt die These, Systeme seien "wurschtegal", Vorstandschef Karl-Heinz Rummenigge hält es für "kalten Kaffee", ob Trainer Jürgen Klinsmann mit Dreier- oder Viererkette spiele.

Freigeist, Spaßmacher und Torschütze: Bayerns Franzose Franck Ribéry ist die Seele des Münchner Spiels. (Foto: Foto: AFP)

Das ist in der Tat egal, wenn ein Team einen famosen Freigeist hat, der sich im richtigen Moment mit kindlicher Spielfreude hinweggesetzt über alle Geometrien und Konzeptlaufwege. Der den Ball schnappt, losrennt und, buff, das Runde reinschießt in die Kiste.

Am Samstag gegen Wolfsburg erzielte Franck Ribéry so den "Siegtreffer zum 1:2", wie der Münchner Merkur wegen der wuchtigen Signalwirkung des Anschlusstores titelte. Ribéry, der Rumreißer, öffnete den Kollegen den Fluchtweg aus der Sackgasse, als erneut eine Heimpleite drohte - sie folgten ihm und gewannen noch (4:2). Schon Frankreichs Nationalteam hatte Ribéry kürzlich in Rumänien wendebringend wachgerüttelt, als er ebenfalls zum 1:2 traf. Der Endstand, 2:2, rettete dem seltsamen Nationaltrainer Domenech den Arbeitsplatz.

Ribéry ist absolut unersetzlich

Auch bei Bayern ist das von Alt-Trainer Ottmar Hitzfeld oft zitierte "Schlachtenglück" zurück, seit der gallische Anarchist im Mittelfeld wieder bei Kräften ist. Bei der EM im Juni riss Ribérys Syndesmoseband, inzwischen sieht er sich zurück "bei 85 Prozent" Fitness. Das war zwar in der Vorwoche nicht der Alleingrund für Bayerns beste Saisonleistungen gegen Florenz und Wolfsburg, nach zähflüssigem Start - aber: Ribéry war ein Faktor. An seinen Tippelschritten, im Stakkato einer Nähmaschine, und an seinen Antritten erkannte man die fast wieder alte Verfassung. Ist Ribéry fit, blüht sein Ballgefühl auf - und sein Instinkt für spielentscheidende Knalleffekte. Uli Hoeneß bewundert diese Gene: "Ribérys Charme und Spielweise kann sich niemand entziehen", sagt der Manager.

Entlastung für die Abwehr

Auch Klinsmann tut "Francks Esprit" gut, obwohl er dem Team auch strategische B-Pläne ohne Ribéry und Torjäger Luca Toni beibringen will, um die im Vorjahr eklatante Abhängigkeit von den beiden zu reduzieren. "Die letzte Saison war die beste meines Lebens", sagt Ribéry, 25. Nach dem nationalen Double schöpft er nun, wie Toni, aus der Champions League neue Motivation. Und im Augenblick, da Klinsmann im Team Kraft durch Reibung erzeugt und jede vorhandene Energie, auch "positive Wut" von Bankdrückern (zuletzt: van Bommel, Borowski), in richtige Bahnen kanalisieren will - da ist auch Ribéry mit seinen explosiven Tempodribblings wertvoll.

Klinsmann freut, "dass Franck immer mehr Rhythmus aufnimmt". Die Mitspieler teilen diese Freude, denn wenn Ribéry mehrere Verteidiger auf sich zieht und mit Finten verlädt, reißt er a) Löcher für Kollegen wie Bastian Schweinsteiger im offensiven Mittelfeld, b) verschafft jede Aktion Ribérys der Defensive entlastende Verschnaufpause. Und hinten hakt es nach wie vor: Gegen Wolfsburg ergaben die Abwehrsünden der Bayern einen Mitschnitt in Filmlänge: die "Riesenlücken" (van Bommel) in der Rückwärtsbewegung, das wilde Treiben von Lúcio oder Oddo. Sogar Ribéry trug bei zum Durcheinander. Denn "im Defensivzweikampf ist Franck nicht der Stärkste", untertrieb TV-Experte Hitzfeld charmant. Und Philipp Lahm (Gipsfuß) fehlte am linken Flügel als Schutz im Rücken.

Dafür harmonierte Ribéry in Halbzeit zwei mit dem nach links hinten versetzten Zé Roberto. Dieses Doppelpasstandem am Seitenstreifen könnte auch an diesem Mittwoch in Frankfurt zur Geltung kommen, zumal Christian Lell um einen Verbleib auf der rechten Abwehrseite bittet. Nach Bayerns Therapiewoche mit drei Siegen ist "die Angst verflogen", sagt Ribéry, "es geht aufwärts und es macht wieder Spaß". Allerdings sei "man noch nicht so gut wie letzte Saison, wir fangen noch zu viele Tore". Zudem fehlt weiter Toni (Rippenprellung), und in Frankfurt ist eher kein hemmungsloses Offensivspektakel zu erwarten wie zuletzt im Zirkus Fröttmaning. Sondern ein personell dezimierter Gegner, der mit einer Notelf auf zähe Kampfkraft setzt.

Schräge Ulknudel

Ribéry hat sich an Schneidabkauf-Fouls gewöhnt, einmal stand er gegen Wolfsburg auf - und reichte seinem Peiniger die Hand. Das ist Ribéry: ein schräger Vogel, den jeder mag. Seine Verrücktheit belebt Bayern, wer sonst liefe mit der Meisterschale während des Festakts feixend zu den Fans, wer sonst liebt Al Pacino in der Rolle des Gangsterbosses Tony Montana und verübt teaminterne Attentate wie Wassereimer-über-den-Kopf-schütten? "Alle Mitspieler sind meine Freunde", sagt Ribéry, die Ulknudel.

Sportlich ist Bayerns Rückkehr ins alte 4-4-2 ein passender Zuschnitt für Ribéry: Hier ist er links verortet ("meine Lieblingsposition"), er kann aber die ganze Breite des Korridors hinter den Stürmern nutzen und bei Bedarf auch hängende Spitze spielen. Sein Trainer redet mit ihm Französisch, "das schafft eine wunderbare Atmosphäre", sagt Ribéry. Am Dienstag nun rief Klinsmann ein hohes Ziel aus: le championat d'automne, die Herbstmeisterschaft.

© SZ vom 29.10.2008/jbe - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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