FC Bayern München:Ein bisschen irdischer als üblich

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Auch wenn die Bayern das 3:1 auf Schalke als Arbeitssieg verbuchen, deutet nichts aufs Ende ihrer Feudalherrschaft hin. Manchem erscheint diese Übermacht nun aber als "unerträglich".

Von Philipp Selldorf, Gelsenkirchen

Sputen mussten sie sich, "um neun Uhr ist Abfahrt", lautete um zwanzig vor Neun die Ansage der Teammanagerin, was man in diesem Moment für ein ambitioniertes Vorhaben halten konnte. Zwar rumpelten die Münchner Zeugwarte bereits im Akkord die Materialkisten ins Freie, doch mittendrin kam auch ein weitgehend entblößter Arjen Robben durch die Kabinengänge geschlendert, nur das oranjefarbene Handtuch, das er um die Hüften geschlungen hatte, ersparte ihm den Vorwurf der Erregung öffentlichen Ärgernisses. Es gehört zu den Traditionen, dass die Bayern auf ihre Gastreisen gerade so viel Zeit verwenden, wie es nötig ist. Und die Gastgeber sind es auch längst gewohnt, dass die Gäste aus München höflich, aber bestimmt die protokollarischen Abläufe zu definieren pflegen. So hatten, um die Abfahrt zu beschleunigen, die Fragen an Pep Guardiola bei der Pressekonferenz Vorrang, doch nach dem Statement des Trainers zum 3:1-Sieg auf Schalke gab es gar keine Fragen aus dem Plenum. Guardiola hatte gesagt, was gesagt werden musste: "In den vergangenen Jahren haben wir immer unseren Gegner respektiert, immer mit Intensität und Leidenschaft gespielt. Das bedeutet Mentalität."

Was der Trainer damit hatte ausdrücken wollen, das erläuterte wenig später, inzwischen ordnungsgemäß in einen Trainingsanzug geschlüpft, Arjen Robben. Für diesen Sieg habe man "wie eine Mannschaft richtig gearbeitet", schwärmte er. Ferner fielen in seiner Lobrede Worte wie "Disziplin", "Professionalität" und "Kampfsieg", und beinahe wäre es ihm so gelungen, seine Bayern als mehr oder weniger gewöhnliches Fußballteam darzustellen - doch dann setzte ein energisch am Ärmel zerrender Pressechef Markus Hörwick seinen Ausführungen ein Ende. Und weg waren die Münchner vom Schauplatz ihres zwölften Bundesligasieges. Weiterhin bleibt das 0:0 in Frankfurt der einzige kleine Makel in ihrer Bilanz.

"Offenes Visier ist gegen sie einfach nicht möglich", sagt Schalkes Manager Heldt

Ja, dieses 3:1 war tatsächlich ein halbwegs mühseliger Arbeits- und kein funkelnder Kantersieg wie in den Heimspielen gegen Dortmund, Wolfsburg oder Arsenal. Thomas Müllers zwölfter Saisontreffer beendete erst kurz vor dem Schlussgong die Hoffnungen des einheimischen Publikums auf ein Unentschieden. Die Schalker durften anschließend unter allgemeinem Applaus eine knappe Ehrenrunde drehen, und Torwart Ralf Fährmann stellte später fest, dass sein Team "vielleicht" sogar einen Punkt verdient gehabt hätte. An mangelndem Willen hat's nicht gelegen. Auf das 1:2 durch Javi Martínez (68.) hatte Trainer André Breitenreiter mit der Preisgabe der strengen Defensivordnung reagiert, er wechselte drei Stürmer ein - Choupo-Moting, Di Santo und den 17 Jahre alten Reese aus der A-Jugend - und beorderte Verteidiger Joël Matip nach vorne, was diesem prompt die Chance zum Ausgleich verschaffte (88.). Aber all diese aufrichtigen Anstrengungen und die durchweg ehrbare Gegenwehr änderten nichts daran, dass die Bayern in Gelsenkirchen als Gewinner vom Platz gingen, weil sie das dominante und bessere Team waren.

Ein bisschen irdischer als üblich haben sie wohl ausgesehen, als sie nach Max Meyers zwischenzeitlichem Ausgleich (17.) ein Stück Kontrolle verloren, szenenweise enthüllten einige der Helden ihr menschliches Antlitz: Manuel Neuer beging beim 1:1 einen Torwartfehler, Philipp Lahm ließ sich von einem 20-Jährigen ausspielen, Medhi Benatia hantierte mitunter gemeingefährlich in der Abwehrmitte, Arturo Vidal büßte Bälle im Spielaufbau ein. Aber diese Partie bot trotzdem keinen Anhaltspunkt dafür, dass die Feudalherrschaft der Bayern ins Wanken geraten könnte. An einem Abend wie diesem genügt ihnen dann eben ein einzelnes Missgeschick des Gegners: Den plötzlich ins Sturmzentrum vorgerückten Innenverteidiger Martínez hatten die Schalker vor dessen Kopfballtor übersehen - "man darf sich gegen die halt so gut wie gar nix erlauben", sagte Manager Horst Heldt seufzend.

Ein gewisses Missvergnügen wurde allerdings auch auf der Gegenseite laut. Dass Breitenreiter eine Hintermannschaft mit fünf Abwehrspielern formierte und unmittelbar davor eine Viererkette postierte, die den Weg zum Strafraum versperren sollte, das stellte Thomas Müller als Versuch dar, "den Bus im eigenen Sechzehner zu parken" und somit als Verrat am zahlenden Publikum. Er wisse nicht, "ob das für den Zuschauer so schön ist". Abgesehen davon, dass es ihm wohl eher um seinen eigenen Spaß als um den der geprellten Fans geht, werden seine Sorgen um die Attraktivität der Bayern-Spiele vom Rest der Bundesliga geteilt - jedoch aus anderer Perspektive. Selbst Rudi Völler, all die Jahre ein Bewunderer der ständig noch heller strahlenden Münchner Herrlichkeit, unterlässt es inzwischen anzumerken, dass sich der FC Bayern seinen Großmacht-Status selbst erarbeitet und damit moralisch verdient habe. Stattdessen sagte er jüngst in einer Rede, dass die Überlegenheit des FCB "unerträglich" sei. Die Münchner haben sich daher nicht nur die Freiheit erarbeitet, zum Beispiel auf zirka 130 Millionen Euro zu verzichten, die man ihnen für Thomas Müller bezahlen möchte - sie haben sich auch die kombinierten Fünfer- plus Viererketten erarbeitet, die der Gegner gegen sie in Stellung bringt. "Offenes Visier ist gegen sie einfach nicht möglich", sagt Heldt.

Vergleichsweise knapp war's auf Schalke. Aber das kommt halt auch noch dazu: diese Mentalität, die Pep Guardiola meinte. Und die er ihnen jede Woche aufs Neue beizubringen versteht.

© SZ vom 23.11.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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