FC Bayern:Hürdenlauf durch Piräus

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Nach dem wilden Durcheinander in Griechenland geben sich die Bayern erkennbar Mühe, ihren Trainer Niko Kovac namentlich rauszuhalten aus einer Qualitätsdebatte, die dem Klub nur schadet.

Von Christof Kneer, Piräus

Es ist schon schade, dass Franz Beckenbauer solche Reisen nicht mehr mitmacht. Früher hatte man nach Beendigung eines solchen Fußballspiels immer noch was zum Freuen, weil man ja wusste: Gleich ist Bankett. So hätte man sich im Taxi zum Grand Hyatt in Athen wunderbar spannende Fragen stellen können, zum Beispiel: Würde der Franz seine Bayern wieder als "Uwe-Seeler-Traditionself" beschimpfen, oder würde er die Qualität des Spiels lieber wieder mit "Untergiesing gegen Obergiesing" vergleichen? Oder würde er - ein sehr zu Unrecht vergessener Klassiker - sagen: "Burschen, spielt's Flöte oder Klavier, aber nicht Fußball"?

Es war dann aber Karl-Heinz Rummenigge, der da redete. Rummenigge stammt nicht aus Obergiesing, was er dadurch unterstreicht, dass er immer ein bisschen gebildet klingen will. "Wir sind ja hier in Griechenland", sagte Rummenigge also in Griechenland, "da ist ja der Marathonlauf erfunden worden, und heute war das so ein bisschen wie Marathonlauf mit Hürden."

Für alle Nicht-Griechen: Der Vorstandsboss des FC Bayern wollte damit womöglich ausdrücken, dass das ein selbstverschuldet langer Abend für die Münchner war, bei dem sie sich die Hindernisse auch noch selber in den Weg gestellt hatten.

Traditionell wird beim Bayern-Bankett das Spiel noch mal neu gespielt, oft erfährt man erst bei Lachs an Champagnersoße und Sevruga-Kaviar, was man vom vorausgegangenen Abend zu halten hat. Nach dem aus Bayern-Sicht ungewollt unterhaltsamen 3:2-Erfolg im Champions-League-Vorrundenspiel bei Olympiakos Piräus fiel zweierlei auf an der recht schmallippigen Münchner Rhetorik: Erstens wurden Ergebnis und Spiel so sorgfältig voneinander getrennt, dass bestimmt jeder Wertstoffhof stolz darauf wäre. Mit nur minimal anderen Worten sagten das ja im Grunde alle Münchner: Ergebnis und Tabellensituation in der Champions League: gut; Leistung: eher gar nicht gut. Und auffällig war zweitens, wie verärgert die Bayern waren - es wurde nur nicht ganz klar, über wen.

Es sagte also der Nicht-Giesinger Rummenigge: "Ich glaube nicht, dass die Leistung, die wir heute Abend gebracht haben, uns am Ende des Tages in diesem Jahr große Erfolge bescheren wird, wenn wir nicht die Kurve langsam kriegen." Auch sagte er: "Wir haben jetzt zum sechsten, siebten Mal zwei Tore reingekriegt. Wir spielen da ein bisschen zu sorglos. Das wird irgendwann zu Problemen führen." Und: "Ich möchte jeden dazu aufrufen, dass wir mit höchster Konzentration, aber auch Motivation am Samstag auf den Platz gehen."

Mit höchster Konzentration, aber auch Motivation: Das klang wie eine Mahnung an die Spieler, auch der Kapitän Manuel Neuer ließ sich in diese Richtung verstehen, wobei er ungewohnt poetische Worte fand für die kleine Grußadresse an seine Mitspieler: Jeder Pass müsse "'ne Message haben", sagte Neuer, es könne "nicht sein, dass man nur einen Pass spielt, um einen Pass zu spielen. Es muss einen mit Glück erfüllen. Das hört sich vielleicht romantisch an oder ein bisschen blöd" (nein, nein, lieber Herr Neuer, alles gut / Anm. d. Red.).

Wer sich nach dieser Nacht der großen Worte an die Analyse des Gesagten macht, darf sich aber nicht täuschen lassen: Ja, natürlich geht es auch um die Spieler, die sich im leidenschaftlich lauten Stadion von Piräus in ein wildes Durcheinander verwickeln ließen und am Ende ganz schön froh sein konnten, dass sich gerade alle verletzen außer Robert Lewandowski, der mit zwei Treffern mal wieder den Abend rettete. Selten hat man etwa Joshua Kimmich auf so irritierenden Wegen durch die Gegend rennen sehen, Philippe Coutinho wirkte verloren auf dem linken Flügel, auf den ihn Trainer Kovac nach einer halben Stunde schickte, auch der zuletzt gerne mal herausragende Serge Gnabry war eher gerüchteweise anwesend. Als später ein Reporter den Sportdirektor Hasan Salihamidzic fragte, ob er eher die Spieler oder eher den Trainer für das Spiel verantwortlich mache, zog Salihamidzic die Augenbrauen zusammen und sagte: "Nein, bitte nicht so." Er meinte: Fragt nicht so was Fieses! Genau das wollen die Bayern ja nicht: eine externe Trainerdebatte. Vermutlich waren deshalb auch alle so unkonkret sauer: Weil sie den Trainer raushalten wollten aus einer Diskussion, die dem Klub nur schadet.

Sie versuchen, sich über die Zeit zu retten, bis alles gut wird - oder plötzlich ein Nachfolger erscheint

Aber natürlich weiß jeder inklusive des Trainers Kovac, dass mit all den großen Sätzen des Abends indirekt auch er gemeint war. Natürlich ist es der Trainer, der kraft Amtes für die Spielkontrolle verantwortlich ist, der es verhindern oder zumindest unterbinden muss, dass der fähige Kimmich da und dort herumrennt; und wenn Salihamidzic in der ersten Erregung sagt, so ein Spiel könne einen "verrückt machen", und es müsse "alles besser werden" - dann meint er damit auch nicht den Busfahrer oder die Teammanagerin.

Es sind drei Gründe, die Kovac im Moment schützen: die Verletztenmisere, die ihm in diesem Umbruchkader als glaubwürdiges Alibi dient; die makellose Bilanz in der Champions League - und die Tatsache, dass der für die Münchner relevante Trainermarkt mitten im Jahr kaum Abhilfe verspricht. Natürlich ist es keineswegs ausgeschlossen, dass die Münchner sich im stillen Stüberl mit Ralf Rangnick befassen, aber es ist zumindest aktuell nicht wahrscheinlich, und José Mourinho und Massimo Allegri sind eher große Namen als große Kandidaten. Manche in der Branche raunen von einer charmanten Lösung mit dem Niederländer Erik ten Hag, der mal Bayerns zweite Mannschaft trainierte und Ajax Amsterdam zuletzt ins Champions-League-Halbfinale führte; zumindest haben die Bayern sicherheitshalber Hansi Flick als neuen Co-Trainer angeworben, einen gut beleumundeten Vollprofi, dem man so einen Kader schon mal eine Weile anvertrauen kann. So ist Bayerns Trainerpolitik im Moment eine Art Marathonlauf mit Hürden; sie versuchen, sich mit Kovac so lange über die Zeit zu retten, bis entweder plötzlich alles gut wird oder auf einmal ein tauglicher Nachfolger am Trainingszentrum in Harlaching erscheint.

Am Samstag brauche man unbedingt drei Punkte, sagte Karl-Heinz Rummenigge in der Nacht dann noch. Am Samstag kommt Union Berlin, eine Art Unter- sowie auch Obergiesing der Bundesliga.

© SZ vom 24.10.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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