FC Bayern:Gegen die kleinen Witze

Lesezeit: 4 min

Projektleiter Jürgen Klinsmann muss beim FC Bayern München zeigen, dass er auch traditionelle Trainerqualitäten besitzt.

Moritz Kielbassa

Jürgen Klinsmann dreht mit der rechten Hand Kringel über dem Kopf wie ein Cowboy, der sein Lasso schwingt. Die Geste zeigt den Spielern an: Tempo, Tempo! Es ist Mittwochfrüh, der FC Bayern trainiert zum letzten Mal in dieser Woche öffentlich - mit Publikum, aber noch ohne seine vielen Nationalspieler auf Fernreise. Das Lernziel im Training lautet, wie so oft bei Klinsmann: schnelle Pässe auf engem Raum. Hochgeschwindigkeitsfußball nach britischem Vorbild ist die Vision des Münchner Trainers: ,,Abspielen - und bumm!'', feuert er die Gruppe an. Bumm steht für eine flinke Anschlussbewegung nach jedem Zuspiel. Klinsmann fordert, dass sich der Pass- geber sofort wieder im Spurttempo freiläuft. Statt geistig abzuschalten.

So sehen Anlaufschwierigkeiten aus. Jürgen Klinsmann beim FC Bayern (Foto: Foto: dpa)

Deutsche Fußballer tun das vergleichsweise selten, europäische Datenbanken beweisen diese Mangelerscheinung. Das Spiel mit und ohne Ball zu beschleunigen, ist daher ein Fortbildungsansatz mit Sinn. Doch Klinsmanns Crux ist, dass sich derzeit kein Mensch mit seinen ehrgeizigen Langzeitvorhaben befasst. Die irritierende Ergebniskrise des FC Bayern ist das aktuelle Aufregerthema, nur Siege am Samstag beim Karlsruher SC und am Dienstag in der Champions League gegen Florenz können die Wogen glätten. Klinsmann weiß, dass Tabellenplatz elf im Moment keine Basis ist für Diskurse über dominanten Vertikalfußball oder individuelles Spielerbessermachen - jene feschen Fernziele, die er während seiner ersten Dienstwochen vortrug. ,,Wenn im Tagesgeschäft bei Bayern negative Ergebnisse kommen'', sagt er, ,,gibt es immer ein paar Turbulenzen, dann musst du halt deinen Kopf hinhalten.''

Durch die Blume will er sagen: Wir haben Beulen zu beklagen, aber noch keine irreparablen Schäden, was soll die Hysterie? Klinsmann ist kein Grübler, den Gegenwind in Selbstzweifel stürzt. Mit seiner Geht-nicht-gibt's-nicht-Zuversicht soll er den Klub vom analogen ins digitale Fußballzeitalter führen, da ,,ändert man sich nicht um 180 Grad'', sagt er - wegen zwei, drei Niederlagen. Klinsmann sieht sein Projekt ,,auf dem richtigen Weg'', auch in der Länderspielpause hat er treu seinem Kurs weitergearbeitet, mit ,,hier und da einem Gespräch'' mehr als sonst. Und bald will er ,,dort stehen, wo wir hingehören'', damit der Chor der Respektlosen verstummt, der gerade so herzhaft lästert über die Mittelmaßbayern. Philipp Lahm, sein Musterprofi, erhöht den Wetteinsatz sogar: ,,Im Winter sind wir wieder Erster'', gelobt der Verteidiger, ,,wenn wir die Philosophie mit dem schnellen Spiel nach vorne mal drin haben, sind wir erfolgreich.''

Prozesse brauchen Anlaufzeit, Umbauarbeiten machen Dreck und Lärm. Das ist die Botschaft, immer wieder. Die 100- Tage-Klinsmann-Bilanzen habe er daher ,,nicht gelesen'', sagt der Trainer. Kritische Fragen wurden dort erörtert: Überfordert Klinsmann die Spieler mit seinen radikalen Neuerungen? Wird bei Taktik und Aufstellung zu oft gewechselt - auf Kosten von Stabilität und Hierarchie im Team? Wurde Kapitän Mark van Bommel durch seine Versetzung auf die Bank degradiert? Ist Martin Demichelis, der beste Innenverteidiger der Vorsaison, im Mittelfeld falsch verortet? Kann Michael Rensing das schwere Torwarterbe Oliver Kahns nicht stemmen? Hat Bayern sein über Jahrzehnte konserviertes Mia-san-mia-Selbstbewusstsein verloren? Warum muckt eine Graumaus wie Bochum mit drei Toren in München auf? Fehlen dem Motivator Klinsmann Trainer-Routine und fachlicher Tiefgang? Vergisst er vor lauter Offensivgeist die Defensive? Setzt er zu hohe Ziele, verspricht er zu viel? Kann man an der sorgenvollen Mimik von Uli Hoeneß ablesen, dass dem Manager Finsteres schwant?

Unfug und Richtiges vermischen sich bei solchem Geraune. Um das Standing des Klubs als unantastbarer Riese, vor dem die Gegner kuschen, fürchten die Spieler selbst. Das traditionelle Sieger-Erbgut, bisher jedem Bayern-Profi samt Dusel-Gen serienmäßig eingebaut, droht beim Kulturwandel abhanden zu kommen: ,,Der Respekt, den wir uns über Jahre erarbeitet haben, steht auf dem Spiel'', umschreibt Zé Roberto die Verunsicherung. Bastian Schweinsteiger musste ,,kleine Witze'' spöttelnder Nationalspielerkollegen über die Platz-Elf-Bayern ertragen. Dennoch versichert Zé, mit 34 der Teamälteste und zuletzt auch der Beste: ,,Klinsmann ist der richtige Trainer, wir Spieler vertrauen ihm.'' Nach der ersten Expermientierphase solle man sich nun aber ,,auf ein System festlegen, um dem Team neue Stärke zu geben''.

Klinsmann will die Darwin'schen Verdrängungskämpfe im Kader drosseln, wenngleich er auch missmutige Reservisten wie Podolski, Borowski oder Kroos bei Laune halten muss: ,,Ein Kern wird sich jetzt herauskristallisieren und eine Stamm-Mannschaft bilden. So war es auch vorgesehen, aber es war wichtig, erst mal alle Spieler einzusetzen'', erklärt er. Ohnehin ist es typisch deutsche Leithammel-Gläubigkeit, stets nach festen Hackordnungen zu rufen. In anderen Ländern, wo Ganzjahres-Stammspieler längst abgeschafft sind, würde man über die Münchner Rotationsdebatten lachen, Pausen für prominente Profis sind dort Alltag, kein Alibi bei Misserfolg. Im Bayern-Umfeld aber wird alles hinterfragt, auch Klinsmanns internationale Fitnesstrainer-Crew, für die dasselbe gilt wie für das ganze Reformpaket: Bei Erfolg sind Neuheiten prima - bei Niederlagen herrliche Ausreden. Dass Bayerns Nationalspieler topfit sind, war in der Länderspielwoche unübersehbar.

Gestählte Körperkraft jedoch, Klinsmanns Steckenpferd, ist nur ein Teil des Ganzen. Als Trainer hat er noch viel Vermittlungsarbeit vor sich. Extern, um Medien und skeptische Fans vom Gelingen seiner Reformagenda zu überzeugen. Ebenso aber intern: ,,Er muss die Mannschaft hinter sich kriegen'', bemerkte Manager Hoeneß kürzlich in einem seiner bedeutsamen Nebensätze. Und das gelingt nicht allein mit gut formulierten Ideen, mit Heißmacher-Rhetorik und Fitness. Die praktische Umsetzung entscheidet. Klinsmann muss auch traditionelle Trainerqualitäten unter Beweis stellen: Dass er ein wiefer Wettkampfcoach ist, der in Stresssituationen mit Instinkt das Richtige tut und seinem Team auch grundlegende Tugenden beibringt, aggressives Verteidigen etwa und eine kluge Raumaufteilung. Nur Siege können diese Beweisführung am Ende stützen. Jede weitere Niederlage ist zudem teuer - beim FCBayern sogar: sündteuer.

Diverse Bequemlichkeiten der Spieler hat Klinsmann abgeschafft, selbst Ribéry und Toni hofiert er weniger als Vorgänger Ottmar Hitzfeld, der sich den Rückhalt seiner ,,Leader'' durch Wohlfühl-Sonderrechte sicherte. Immerhin: Der zuletzt hinausrotierte Kapitän van Bommel, am Mittwoch Torschütze für Holland, kehrt in Karlsruhe ins Mittelfeld zurück: ,,Er wird uns Stabilität geben'', hofft Klinsmann, ,,denn wir müssen jetzt korrigieren, was wir uns fahrlässig selbst eingebrockt haben.

© SZ vom 18.10.2008 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: