Fatih Terim:Das bizarre Aus des türkischen "Kaisers"

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Ist im türkischen Fußball eine Legende, nun aber nicht mehr tragbar: Trainer Fatih Terim. (Foto: dpa)
  • Der türkische Fußballverband trennt sich von Nationaltrainer Fatih Terim.
  • Hintergrund ist eine tätliche Auseinandersetzung in einem Restaurant im Urlaubsort Alaçatı.
  • Das Aus von Terim bedeutet einen weiteren Tiefpunkt für die türkische Nationalmannschaft.

Von Tobias Schächter, Istanbul/München

Wie kein anderer Trainer symbolisiert Fatih Terim die Erfolge des türkischen Fußballs - und dessen Widersprüchlichkeiten und Verfehlungen. Mit Terim gewann Galatasaray Istanbul im Jahr 2000 als bislang einziger türkischer Verein einen Europapokal, die Nationalmannschaft führte er 2008 bis ins EM-Halbfinale. Oft aber standen dem leicht aufbrausenden Terim, den sie am Bosporus "Imparator", den Kaiser, nennen, Jähzorn und falscher Stolz im Weg. Nun ist der 63-Jährige tief gefallen, wieder einmal. Am Mittwochabend hatte der türkische Fußballverband (TFF) die Trennung von seinem Nationaltrainer bekanntgegeben.

Die Formulierung "in beiderseitigem Einvernehmen" darf dabei als diplomatische Floskel interpretiert werden. Nach Terim ist in Istanbul ein Stadion benannt, der Mann ist eine Legende und weiß das, nun aber war er nicht mehr tragbar. Ausschlaggebend für die Trennung seien Gründe, die mit Fußball nichts zu tun hätten, heißt es in dem Statement des TFF.

Es geht um eine tätliche Auseinandersetzung vor zwölf Tagen im Urlaubsort Alacati, 90 Kilometer westlich von Izmir. Dort besitzt einer von Terims Schwiegersöhnen ein Restaurant. Es gab Streit mit dem Besitzer des Lokals direkt daneben, einem ehemaligen Präsidenten des Fußballklubs Adana Demirspor namens Selahattin Aydogdu. Terim stammt aus Adana und spielte als Jungprofi einst bei Demirspor, bevor er zu Galatasaray wechselte und Nationalspieler wurde.

Aydogdu schilderte der Nachrichtenagentur DHA seine Sicht der Ereignisse so: Terim sei an jenem Abend mit zwei Schwiegersöhnen und seinen Bodyguards in sein Lokal gestürmt. Der Streit sei wegen einer Anzeige gegen Terims Schwiegersohn eskaliert, bei der es um einen Zaun gehe, den Terims Schwiegersohn jüngst zwischen die benachbarten Lokale gezogen habe. Die Anzeige stamme aber nicht von ihm, sagte Aydogdu.

Terim hingegen erklärte nach dem Skandal, er sei nicht mit der Absicht nach Alacati gereist, um zu kämpfen - aber er bereue nichts und würde wieder so handeln. Er sei in den Kampf verwickelt worden, weil die Schwester eines seiner Schwiegersöhne beleidigt worden sei. Wie auch immer: Das bizarre Aus von Terim bedeutet einen weiteren Tiefpunkt für die türkische Nationalmannschaft.

Mitten in der WM-Qualifikation braucht die Türkei einen neuen Trainer

Im Juni eskalierte bereits ein Streit zwischen Kapitän Arda Turan und einem Journalisten. Auf dem Heimflug von einem Spiel in Mazedonien würgte Arda im Flugzeug den Reporter, von dem er sich ungerecht behandelt gefühlt hatte. Terim und TFF-Präsident Yildirim Demirören verurteilten den Gewaltausbruch zwar und bereiteten eine schriftliche Entschuldigung des vorläufig suspendierten Arda vor, die dieser auf einer Pressekonferenz hätte vorlesen sollen. Doch stattdessen trat der Profi des FC Barcelona zurück und rechnete mit seinem ehemaligen Ziehvater Terim ab. Es war damals von Ehre und Stolz die Rede. Ein angeblicher Streit um Prämien zwischen Arda und Terim soll das Binnenklima bei der EM 2016 vergiftet haben, Arda bestreitet das. Er ging dem Reporter, der das berichtet hatte, an den Kragen.

Der wahre Hintergrund der Debatte war jedoch, dass Terim keine großen Egos neben sich duldet. Das Hemd nur halb zugeknöpft, an der Seitenlinie wild gestikulierend, seine Spieler anherrschend wie ein Ausbilder seine Rekruten, so kennt ihn die Fußballwelt. In den besten Momenten seiner Karriere gelang es ihm, Mannschaften besser zu machen, als sie tatsächlich sind. Es ist das Leitmotiv des Sohnes eines Pistazienverkäufers, über sich hinauswachsen zu wollen.

Die Türken suchen nun mitten in der Qualifikationsrunde für die WM 2018 einen neuen Trainer. Anfang September stehen die entscheidenden Spiele in der Ukraine und gegen Kroatien an. Wunschkandidat ist offenbar Senol Günes, der allerdings noch bei Meister Besiktas Istanbul unter Vertrag steht.

Derweil rufen die Anhänger von Galatasaray wieder nach ihrem alten Anführer Terim. Der Klub ist gerade an Östersund aus Schweden in der Europa-League-Qualifikation gescheitert, Trainer Igor Tudor steht in der Kritik und der schwache Vereinsboss unter Druck. Es wäre nicht die größte Überraschung, wenn Terim früher oder später zum vierten Mal als Trainer bei Galatasaray anheuern würde. Bei jenem Klub also, bei dem 1977 ein damals 24 Jahre alter Spieler schlagzeilenträchtig einen hohen, dem Verein wohlgesonnenen Polizeibeamten verprügelt hatte. Der Spieler hieß: Fatih Terim.

© SZ vom 28.07.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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