Extremsport:Viermal um die ganze Welt

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"Jetzt im Sommer laufe ich frühs um 7. Wenn da ein Lüftchen geht, das ist herrlich": Genießertouren bieten sich Ultraläufern wie Walter Zimmermann auch in den Allgäuer Bergen. (Foto: Matthias Aletsee/Imago)

Mehr als 900 Wettkämpfe, 160 000 Kilometer: Walter Zimmermann aus Marktheidenfeld ist dauernd auf Achse, vor allem bei Ultraläufen . Müde ist er auch mit 67 Jahren und Stationen in San Sebastian, New York, Lissabon und Athen nicht - im Gegenteil.

Von Sebastian Leisgang

Dieser letzte Hinweis darf natürlich nicht fehlen. Walter Zimmermann ist das wichtig, und er bringt ja tatsächlich alles auf den Punkt, weil er alles erklärt: Zimmermanns Leidenschaft, die längst Lebensinhalt geworden ist - und den kleinen Triumph, den er gerne auskostet. Am Ende des Gesprächs sagt Zimmermann also: "Schauen Sie sich die Liste im Internet an. Da bin ich an zehnter Stelle in ganz Europa."

Die Liste, die Zimmermann meint, erfasst alle Läufe ab 45 Kilometern. Hinter Zimmermanns Name steht: 43 222,971 km. So weit ist er in seinem Leben gekommen. Es ist eine Zahl und doch so viel mehr als das. Gerade deshalb stellt sich ja auch die Frage: Kommt einer wie er jemals an?

Ein Treffen in Marktheidenfeld, einer Kleinstadt rund dreißig Kilometer westlich von Würzburg. Hier wohnt Zimmermann seit 1987, dem Jahr, in dem er angefangen hat zu laufen. Mal 100 Kilometer, mal 48 Stunden am Stück. Zimmermann, 67, steigt aus seinem Auto. Er hat einen Zettel mitgebracht, darauf handschriftlich zusammengefasst: alle Wettkämpfe, die er je bestritten hat, alle Distanzen, exakt erfasst, bis auf die dritte Stelle nach dem Komma. Darunter hat er seinen Namen geschrieben: Zimmermann Walter.

Zimmermann schlägt vor, zu einem Fahrradweg zu gehen, den er mehrmals die Woche entlangläuft, um dann in Form zu sein, wenn's drauf ankommt. Zimmermann ist schon in San Sebastian und in Basel gelaufen, in Lissabon und in Athen. In New York hat er mal 1047 Kilometer in zehn Tagen zurückgelegt, umgerechnet mehr als 24 Marathons. "Das", ruft Zimmermann, "schaffen nur ganz wenige." Man muss sich sein Gesicht ganz ruhig vorstellen, wenn er sowas sagt. Da ist keine Regung, kein Zucken, nichts.

Es gehe ihm nicht um die Zahlen, um Rekorde, sagt Zimmermann. Es sei aber wichtig, Ziele zu haben: "Ohne Ziele gibt man viel früher auf. Da fragt man sich irgendwann: Für was mache ich das überhaupt?" "Für mich", sagt Zimmermann, "ich will gesund bleiben. Durch das Training geht auch im Alltag alles viel leichter. Und ich bin besser drauf. Wenn ich mal ein paar Tage nichts mache, merke ich sofort, dass der Kopf nicht mehr so frei ist." Deshalb läuft er. Von Montag bis Sonntag, auch jetzt noch, in einem Alter, in dem andere in den Ruhestand gehen und die Sauna oder das Tomatenanbauen für sich entdecken.

"Ich kann einfach nicht still sitzen", sagt Zimmermann. (Foto: privat/oh)

Jeden Tag zu liefern, das ist ein Lebensthema bei Zimmermann. Früher war er Postbote, kein Trödler, eher einer derjenigen, die zügigen Schrittes von Tür zu Tür marschieren. Zimmermann erinnert sich jetzt an seinen ersten Wettkampf. 1987, ein Marathon in München. Er hatte kaum trainiert, kam aber nach gut dreieinhalb Stunden ins Ziel. Zwar mit Krämpfen in beiden Oberschenkeln und derart gezeichnet, dass er die Treppen im Olympiastadion nur noch rückwärts runtergehen konnte - aber er kam an.

So ging es los, so fing alles an. Mittlerweile hat er beinahe 900 Wettkämpfe hinter sich. In all den Jahren, erzählt Zimmermann, habe er sich nur ein einziges Mal schwerer verletzt. 15 Jahre ist das her, doch Zimmermann hat noch derart viele Details im Kopf, dass man beinahe meinen könnte, es sei erst vor 15 Tagen gewesen. "Ich bin nur 50 Meter weit gekommen", sagt Zimmermann. Er sei auf der Straße gelaufen, und als ein Auto angefahren kam, habe er auf den Gehweg steigen wollen, sei aber am Bordstein hängengeblieben und gestürzt: Knöchelbruch und mehrere Bänderrisse, fünf an der Zahl.

"Ich hatte eine Woche einen Gips, danach bin ich fünf Wochen jeden Tag mit Schiene 50 bis 60 Kilometer auf dem Heimtrainer gelaufen." So sah die Ruhepause nach seinem Knöchelbruch aus

Wie hart es wohl war, ein paar Monate lang nicht laufen zu können? Zimmermann versteht die Frage nicht. Ein paar Monate? "Ich hatte eine Woche einen Gips, danach bin ich fünf Wochen jeden Tag mit Schiene 50 bis 60 Kilometer auf dem Heimtrainer gelaufen - dann bin ich wieder raus."

Wenn Zimmermann solche Geschichten erzählt, spürt man diese kleine Freude, die er an der Pointe hat. Zimmermann muss dazu nicht lächeln, er hat seinen Triumph, wenn die anderen staunen. "Ich kann einfach nicht still sitzen", sagt Zimmermann und erklärt dann, mit welcher Strategie er so einen Ultralauf angeht. Einen Sechs-Tage-Lauf zum Beispiel: drei Stunden schlafen, drei Stunden laufen, eine Stunde Pause, dann wieder drei Stunden laufen, eine Stunde Pause, drei Stunden laufen. Und das sechs Tage lang.

Einer wie er, der nie zur Ruhe kommt, der kommt niemals an. So könnte man das natürlich sehen. Andererseits: Bei sich selbst, das spürt man im Gespräch, ist Zimmermann längst angekommen. Auch das ist ja was, das er mit sich vereinbaren muss: dass er immer alleine ist. Hier in Marktheidenfeld, wenn er auf diesem Fahrradweg läuft, auf dem ihm höchstens alle paar hundert Meter mal einer entgegenkommt - und erst recht in Lissabon und in Athen. "Ich habe schon so manche Frau mit dem Laufen abgeschreckt", sagt Zimmermann, "aber das macht mir nix."

Auch grade nicht, in der Pandemie? "Nein. Ich bin ja immer auf Achse." Auch die Krise lässt Zimmermann nicht an sich ran. Klar, sagt er, die meisten Wettkämpfe in den vergangenen 15 Monaten seien abgesagt worden - trotzdem sei er auch im Pandemie-Jahr 2020 so viel gelaufen wie sonst auch: 3600 Kilometer in zwölf Monaten. Zimmermann weiß das so genau, weil er alles dokumentiert, den 100-Kilometer-Lauf in Split ebenso wie die Morgenrunde auf dem Marktheidenfelder Fahrradweg. "Jetzt im Sommer", sagt er, "laufe ich frühs um 7. Wenn da ein Lüftchen geht, das ist herrlich. Da geht es von alleine."

Mehr als 40 000 Kilometer hat er bei Ultraläufen zurückgelegt, 160 000 Kilometer sind es insgesamt. "Also vier Mal um die Welt", ruft Zimmermann. Es ist einer der Momente, in denen er wieder seinen kleinen Triumph hat. Dann sagt er: "Zwei Mal will ich es noch schaffen."

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