Jakob Ingebrigtsen bei den European Championships:Der Europameister, der seinen Vater feuerte

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"Ich bin nicht da, um mit irgendjemandem einen Dialog zu führen": Jakob Ingebrigtsen in München. (Foto: Radoslaw Jozwiak / Cyfrasport/Imago/Newspix)

Der Norweger Jakob Ingebrigtsen dominiert die Konkurrenz, wird aber vor allem nach einem Familienstreit befragt: Sein als aufbrausend geltender Vater ist nicht mehr sein Trainer, aber trotzdem in München dabei.

Von Karoline Kipper

Nach seinem Europameister-Titel über 5000 Meter marschierte Jakob Ingebrigtsen mit eingefrorener Miene an der Presse vorbei, direkt zur Dopingkontrolle. Vor den Fragen zur Beziehung zwischen ihm und seinem Vater und ehemaligen Trainer, Gjert Ingebrigtsen, floh der 21-Jährige ganz ähnlich, wie er zu seinem dritten Sieg bei Europameisterschaften gelaufen war: den Körper leicht nach vorne gebeugt, den Blick stoisch geradeaus gerichtet. Ein gutes Dutzend Journalistinnen und Journalisten aus Norwegen riefen ihm vergeblich Fragen hinterher. Seit Monaten ist das Zerwürfnis zwischen Vater und Sohn ein brisantes und populäres Thema.

Auch auf der Strecke war Ingebrigtsen allen davongelaufen, als er nach taktischem Rennbeginn gut einen Kilometer vor Schluss beschleunigte. Der Spanier Mohamed Katir und der Italiener Yemaneberhan Crippa blieben zwar dran, hatten aber keine Chance. Ingebrigtsen gewann ungefährdet in einer Zeit von 13:21,13 Minuten. Dem norwegischen Fernsehsender NRK gab er ein Interview: "Erfolge zu reproduzieren ist etwas, worauf man stolz sein kann", sagte er.

Der in den USA geborene und für Deutschland startende Sam Parsons machte ein gutes Rennen und wurde in 13:30,38 Minuten Sechster. Enttäuscht war der zweite Norweger, Narve Gilje Nordas, dem zuvor eine Medaille zugetraut worden war. Nachdem er beinahe stürzte, wurde er nur Siebzehnter.

Sein Vater werde schnell unruhig, und das könne auf alle um ihn herum abfärben, sagt Jakob Ingebrigtsen

Nordas ist vor allem wegen seines Coaches ein Thema. Denn Gjert Ingebrigtsen, der gefeuerte Trainer des Europameisters, ist trotz des Familienstreits nach München gereist. Nur eben nicht als Coach seines Sohnes, sondern von Nordas.

Gjert Ingebrigtsen war selbst nie Leichtathlet und ist auch kein gelernter Trainer. Trotzdem mischen drei seiner sechs Kinder seit Jahren die Mittel- und Langstrecken auf. Der älteste, Henrik Ingebrigtsen, wurde 2012 in Helsinki Europameister über 1500 Meter, der zwei Jahre jüngere Filip über dieselbe Strecke 2016. Doch der Jüngste ist schon jetzt, mit 21 Jahren, der Erfolgreichste. Über 1500 Meter hält Jakob den olympischen Rekord, in der Halle war nie jemand schneller.

Jakob Ingebrigtsen (Mitte) läuft in München ein taktisches 5000-Meter-Rennen. Erst einen Kilometer vor Schluss beschleunigt er - und wie. (Foto: Soeren Stache/dpa)

Im Winter zerbrach die Beziehung zwischen Vater und Söhnen. Die dominante Art von Gjert Ingebrigtsen war schon lange berüchtigt, aber bis zu einem Interview in der New York Times im Juli konnte nur über die Gründe des Zerwürfnisses spekuliert werden. Jakob Ingebrigtsen sagte dort, sein Vater werde schnell unruhig, und das könne auf alle um ihn herum abfärben. Gerade vor einem Wettkampf könne er schnell in Wut abgleiten. Es ist nicht das erste Beispiel für eine Eskalation, wenn im Profisport Eltern ihre Kinder trainieren.

Jakob Ingebrigtsen sagte vor der EM über mögliche Gespräche mit seinem Vater in München: "Ich bin nicht da, um mit irgendjemandem einen Dialog zu führen. Ich bin da, um zu laufen. Der einzige Dialog, den ich habe, ist mit mir selbst." In Bruder Henrik hat er einen neuen Trainer gefunden. Dass der Vater ebenfalls vor Ort ist, erzürnte sogar die norwegische Boulevardzeitung Dagbladet, die schrieb: "Hold pappa unna!" - Papa fernhalten!

Gjert Ingebrigtsen legte sich jüngst auch mit einem norwegischen Doping-Experten an

Die Ingebrigtsens, das gehört zur Geschichte, bewegen sich zumindest an der Grenze des Erlaubten. Henrik Ingebrigtsen stand einst beim Leichtathletikdachverband unter Dopingverdacht, der konnte aber nie erhärtet werden. Gjert Ingebrigtsen forderte im vergangenen Jahr, dass Methoden zur Erzeugung von künstlicher Höhe in Norwegen zugelassen werden sollten. Das soll die Anreicherung des Bluts mit Sauerstoff erleichtern, indem, wie im Höhentrainingslager, ein Sauerstoffmangel herbeigeführt wird. Nur eben künstlich.

Gjert Ingebrigtsen legte sich dafür mit dem norwegischen Doping-Experten Rune Andersen an. Der sagte: "Künstlicher Sauerstoffmangel wird tatsächlich von Sportlern genutzt, die schummeln wollen. Es kann einen Bluttest manipulieren."

Die Reaktion von Gjert Ingebrigtsen: "Einige seiner Ansichten zu diesen Dingen sind so extrem, dass ich keine Lust habe, sie auch nur einmal zu kommentieren. Wir leben auf zwei verschiedenen Planeten." Ingebrigtsen befürwortet die Methode, weil sie gut für Athletinnen und Athleten sei, die knapp unter der Weltspitze sind und einen kleinen Anschub bräuchten. In den meisten Ländern ist die künstliche Herbeiführung von Sauerstoffmangel erlaubt.

Über den Sieg seines Sohnes über 5000 Meter sagte Gjert dem norwegischen Fernsehsender TV2: "Mein Herz ist immer stolz, wenn meine Kinder ihre Ziele erreichen, aber es ist klar, dass es etwas Besonderes ist, an der Seitenlinie zu stehen und Zuschauer zu sein, wenn man es gewohnt ist, dabei zu sein. Aber so ist das eben und gewöhnungsbedürftig." Eine weitere Chance zur Gewöhnung hat der verbannte Trainer am Donnerstagabend: Dann findet das Finale über 1500 Meter statt. Jakob Ingebrigtsen ist wieder Gold-Favorit.

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