England:Ginger Mourinhos Verteidigungskunst

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Mit seinem ausgeklügelten Defensivkonstrukt überrascht der FC Burnley nicht nur sich selbst - sondern seit einiger Zeit auch die gesamte Premier League.

Von Sven Haist, London

Die Spieler dürften mit Verwunderung reagiert haben, als Sean Dyche ihnen zu Beginn seiner Trainertätigkeit beim FC Burnley mehrere Spielszenen des als damals Nonplusultra geltenden FC Barcelona unter Pep Guardiola vorführte. Der Klub aus der Grafschaft Lancashire im Norden der Insel dümpelte im hinteren Klassement der zweiten englischen Liga vor sich hin. Nach einem 0:4 gegen Cardiff City hatte Burnley im Oktober 2012, bevor Dyche übernahm, in der Championship 29 Gegentore an 13 Spieltagen kassiert. Wer im Team schien da in der Lage zu sein, sich an der Spielkunst einer Welttruppe zu orientieren?

Der Clou hinter den Videoszenen war allerdings, dass der aus dem englischen Kettering stammende Dyche, 46, gar nicht von den Profis verlangte, nun die besten Angriffe der Katalanen auf dem Platz nachzukonstruieren. Schließlich wählte der ehemalige Abwehrspieler - der in seiner 18-jährigen Karriere über die zweite Liga nicht hinauskam - Ausschnitte, in denen Barca den Ball ausgerechnet mal eben nicht besaß. "Ich habe deren Defensivverhalten als Anschauung verwendet, weil mir das am besten gefiel", sagt Dyche. "Das richtige Verteidigen stirbt aus, dabei ist es ein erheblicher Teil des Spiels. Egal, welchen Trainer man fragt, sie alle tun sich aktuell schwer, Verteidiger zu finden, die verteidigen können - und es auch wollen."

Burnley verengt die Schussbahn wie bei einem Trichter

Die beiden Aufstiege 2014 und 2016 in die Premier League sowie der Ligaerhalt in der vergangenen Saison basieren bei Burnley auf einem ausgeklügelten Defensivkonstrukt. Jede Bewegung eines Spielers hängt mit der Bewegung eines anderen Spielers zusammen. Burnley verstellt durch zwei eng anliegende und weit hinten platzierte Viererreihen den Zugang zum eigenen Tor. Dem Rivalen bietet das die Annehmlichkeit, oftmals ungehindert flanken zu können oder aufs Tor zu schießen, allerdings von einer Stelle, die kaum Aussicht auf Erfolg bietet. Dabei positionieren sich Burnleys Spieler so, dass sich die freie Schussbahn für den Gegner wie bei einem Trichter verengt und auf das Zentrum des Tors weist, was die Abschlussaktionen für den Torhüter berechenbar macht. Mit der viertbesten Abwehr der Liga, die bereits in zehn Spielen ein Gegentor vermeiden konnte, überrascht Burnley mittlerweile nicht nur sich - sondern auch die Premier League.

Abgesehen von den sechs Branchengiganten führt der zweimalige englische Meister (1921, 1960) die restlichen Vereine in der Tabelle an. Auf Platz sieben liegend ist der Punkteabstand für Burnley nach vorne und hinten so groß, dass selbst das 0:1 bei Crystal Palace am Samstag an diesem Spieltag keine Auswirkung auf die Position hat. Mit 34 Zählern hat Burnley das eigentliche Ziel, den Ligaerhalt, eigentlich schon jetzt fast sicher. Die Unklarheit besteht bloß darin, ob die plötzlichen Emporkömmlinge noch von den Verfolgern aus dem Mittelfeld des Klassements im weiteren Verlauf geschluckt werden.

Was Burnley fehlt, ist ein treffsicherer Angreifer

Die Spielweise Burnleys erinnert an den Meistercoup von Leicester City in der Saison 2015/16 mit dem Unterschied, dass sich im Angriff niemand findet, der den Klub ähnlich treffsicher vertritt wie Jamie Vardy bei Leicester. Gerade mal vier Tore hat der neuseeländische Nationalspieler Chris Wood, der beste Stürmer des Vereins, bislang zustande gebracht; überhaupt gelang bloß beim 2:0 über Swansea ein Sieg mit mehr als einem Tor an Differenz. Die geringe Attraktivität der auf Torsicherung ausgerichteten Spielweise stört im Stadion Turf Moor aber keinen, erst recht nicht den Initiator: "Mich interessiert nur geringfügig, was Trainer oder Medien über uns sagen. Im Fußball lässt sich viel Energie damit verschwenden, über andere Meinungen nachzudenken, dabei zählt eigentlich nur die eigene", erklärt Dyche.

Die Fans verehren ihren Anführer liebevoll. Wegen seiner rötlichen Haare und der Verteidigungskunst hat sich in Anlehnung an den Defensivverfechter José Mourinho der Spitzname "Ginger Mourinho" etabliert. Einen wesentlichen Anteil an diesem Kult um Dyche hat Tottenhams Außenverteidiger Kieran Trippier, der mit ihm einst bei Burnley zusammen gearbeitet hatte. Zuletzt hielt Trippier bei der Darts-WM ein Plakat hoch mit der Aufschrift: "Ginger Mourinho = Sean Dyche". Das kraftvolle, furchtlose Auftreten macht Dyche zum prädestinierten Anführer der Blockspezialisten aus Burnley. Bei den Statistiken, die den Erfolg von Klärungstaten am Strafraum ausweisen, dominiert Burnley die Konkurrenz. Die Spieler, gedrillt in speziellen Verteidigungseinheiten, sind mittlerweile bereit, mit jedem Körperteil den Ball abzuwehren - ungeachtet ob das weh tut. Selbst der Abgang des Abwehrchefs Michael Keane im Sommer für etwa 30 Millionen Euro zum FC Everton verringerte nicht die Leistungskraft des Teams, dessen Stärke sich aus der Homogenität ergibt. Auf personelle Änderungen wird vorwiegend verzichtet, die beste Formation hat bis hierhin fast durchgespielt.

Diese Aufbauarbeit ist in England nicht unbemerkt geblieben. Sobald ein Klub nach einem neuen Trainer sucht, taucht auch Dyche bei den gehandelten Optionen auf. Ein Spitzenklub war jedoch noch nicht darunter. Der dürfte erst bei Sean Dyche anfragen, wenn Burnley auch mit dem Ball so viel anzufangen weiß wie ohne.

© SZ vom 14.01.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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