EM 2021:Vorfreude braucht sehr viel Fantasie

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Sebastian Fischer (Foto: Bernd Schifferdecker)

Das EM-Teilnehmerfeld steht fest, aber in EM-Stimmung ist deshalb wohl trotzdem gerade noch niemand. Jedes Länderspiel mehr trägt gerade seinen Teil dazu bei.

Von Sebastian Fischer

Es gab einen Moment in dieser Woche, als mit ein wenig Fantasie tatsächlich so etwas wie Vorfreude auf die nächste Fußball-Europameisterschaft aufkommen konnte, sie speiste sich aus der Erinnerung. In einem der Playoff-Spiele um die letzten vier Plätze im Teilnehmerfeld traf Ungarn auf Island. Und durchs Mittelfeld der Isländer stapfte ein Mann, der noch immer so ähnlich aussieht wie vor vier Jahren, als er berühmt wurde. Aron Gunnarsson trägt immer noch so einen dichten Bart wie 2016, als er den Rhythmus zum "Huh!" vorgab, mit dem die Isländer bei der EM in Frankreich mit ihren Fans zu feiern pflegten. Gunnarsson, 31, ist immer noch für seine weiten Einwürfe bekannt, dieses archaisch anmutende Stilmittel der Außenseiter. Ein paar schleuderte er in den ungarischen Strafraum. Doch da hörten die Parallelen zu 2016 schon auf.

Gunnarsson ist inzwischen vom walisischen Klub Cardiff City, der damals natürlich gut in die Geschichte vom Kämpfer mit dem Bart passte, zum SC Al-Arabi in die katarische Liga gewechselt. Sein Trainer ist dort der frühere isländische Nationalcoach Heimir Hallgrimsson. Ja, genau: Der Trainer, der 2016 noch nebenbei als Zahnarzt arbeitete. Was Gunnarssons Einwürfe angeht: Sie brachten wenig, Island verlor 1:2. Und selbst wenn die Isländer sich qualifiziert hätten: Ein aerosollastiges "Huh!" wäre wohl so ziemlich das Letzte, das ein Hygienekonzept für die EM erlaubt. Wie auch immer dieses Konzept aussehen wird, für ein mit Spielen in ganz Europa geplantes Turnier im nächsten Sommer, das gerade so fern wirkt.

Ja, es stehen jetzt alle Teilnehmer fest, Ungarn ist dabei, die Slowakei, zum ersten Mal Nordmazedonien und zum ersten Mal seit 24 Jahren Schottland, schöne Geschichten. Doch wenn man die unzähligen Länderspiele unter der Woche und am Wochenende verfolgte, oft durchgepeitscht im Sinne des Uefa-Terminkalenders trotz positiver Corona-Tests, dann drängte sich EM-Vorfreude trotzdem eher nicht auf.

Am Mittwoch zum Beispiel trafen Dänemark und Schweden aufeinander, eigentlich eine vielversprechende Begegnung. Doch den Dänen fehlten wegen positiver Corona-Tests, Quarantäne-Bestimmungen und Einreise-Restriktionen insgesamt 20 Spieler und Nationaltrainer Kasper Hjulmand. "Das einzig Richtige wäre, die ganze Scheiße abzusagen", schrieb die schwedische Zeitung Expressen. Es wurde trotzdem gespielt, Dänemark gewann sogar 2:0. Auch die Austragung des Spiels zwischen Deutschland und der Ukraine war noch ein paar Stunden vor dem Anstoß wegen fünf positiver Corona-Tests bei den Gästen unsicher und umstritten.

Vielleicht ist es für so etwas wie EM-Vorfreude am besten, dass nach kommender Woche in den Wintermonaten erst mal keine Länderspiele mehr geplant sind, für die Fußballer ständig kreuz und quer über den Kontinent von einem Corona-Risikogebiet ins andere reisen müssen. Und Aron Gunnarsson wird fern von Europa demnächst vielleicht auf andere Gedanken kommen. Sein Klub Al-Arabi spielt Ende November beim Tabellenführer Al-Sadd SC. Man kann sich vorstellen, dass sich im Strafraum ein Stürmer über weite Einwürfe freuen würde: Pierre-Michel Lasogga. Ja, der vom HSV.

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