Eiskunstlauf:Von Knoten und Schleifen

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Lächelnd bei Schwerarbeit: Bruno Massot und Aljona Savchenko. (Foto: Alexander Hassenstein/Getty Images)

Aljona Savchenko und Bruno Massot präsentieren in Oberstdorf ihr Olympiawinter-Programm. Die Premiere zeigt kommende Herausforderungen.

Von Barbara Klimke, Oberstdorf

Die A- und B-Noten im Eiskunstlauf sind längst abgeschafft, heutzutage wird nach einer transparenteren, aber weitaus komplizierteren Zählweise mit "Element Score" und "Programm Components" gerechnet. Um Bruno Massots Leistung bei der Nebelhorn-Trophy in Oberstdorf auch nur annähernd gerecht zu werden, wäre allerdings die Erfindung einer komplett neuen Wertung, der H-Note, nötig gewesen: H wie Herkulesaufgabe bei einer Paarlaufkür.

Schwer atmend stand Bruno Massot, 28 Jahre alt, nach dem Ende einer zauberhaften Kür auf dem Eis und konnte er erst nach einer kleinen Verschnaufpause seine Partnerin, Aljona Savchenko, umarmen. Als beide neben ihrem Trainer, Alexander König, auf dem Bänkchen saßen, um das Urteil (211,08 Punkte) entgegenzunehmen, pumpte er immer noch nach Luft.

Das Programm nach der Musik "La terre vue du ciel" ist so komponiert, dass alles zum Schluss auf den Höhepunkt zutreibt, wenn Aljona Savchenko die Erde dann tatsächlich vom Himmel aus sieht: Getragen auf Massots Händen in einer schier unendlich scheinenden Aneinanderreihung von hochriskanten Rotationen und Richtungswechseln. Über seinem Kopf. Fast eine gesamte Bahn lang und zurück. Das ist ein waghalsiges Luftmanöver für beide. Die Schwierigkeit für Massot besteht darin, diesen Herkulesakt nach vier Minuten Hochleistungssport, Sprüngen und Pirouetten, noch aussehen zu lassen, als balanciere er eine Feder auf dem Finger.

Dass die Weltmeisterschaftszweiten Savchenko/Massot zum Abschluss der Nebenhorn Trophy nur auf Platz zwei lagen hinter den russischen Europameistern Jewgenia Tarasowa/Wladimir Morozow (218,46 Punkte), war nicht dem kreativen Part geschuldet. Sondern technischen Fehlern, Stürzen beim dreifachen Wurfaxel sowohl in der Kür als auch in der Kurzkür tags zuvor. "Das Programm ist ja noch frisch, es ist noch früh in der Saison", sagte Aljona Savchenko, fast entschuldigend, weil kleine Mängel das Gesamtbild trübten. "Wir brauchen noch viel Training, denn das Programm ist wirklich schwer", ergänzte Bruno Massot. Seine Partnerin ist sich allerdings sicher: "Es wird eine grandiose Kür, wenn alles passt." Nach der Saisonpremiere zu urteilen, gehört "La terre vue du ciel" schon jetzt zu den großen Versprechungen des Olympiawinters.

Auch die Eistänzer qualifizieren sich. Bei Olympia ist der Verband in allen Disziplinen vertreten

Das kann kaum verwundern, wenn man den Schöpfer kennt, der dieses Kunstwerk choreografierte: Christopher Dean, der mit seiner britischen Partnerin Jayne Torvill zu den Spielen von Sarajewo 1984 jenen "Bolero" ins Eis malte, der mit seiner hypnotischen Sog noch immer für viele als das Maß aller Dinge des Eistanzes gilt. Christopher Dean lebt heute in Colorado und reiste extra zur Uraufführung seiner Kreation nach Oberstdorf. "Zum erst Mal nach 30 Jahren", sagte er lachend, als er sich im kleinen Café vor der Halle, in der er selbst einst trainierte, umsah: "Ich komme mir vor wie in einer Zeitmaschine."

Als ihm Aljona Savchenko, 33, die Kürmusik zusandte, fühlte er sich nach eigenen Worten geehrt: "Ich habe selten eine Frau getroffen, die so viel Feuer und Willen hat", sagt er über die Läuferin, die fünfmal Weltmeisterin mit ihrem früheren Partner Robin Szolkowy war. Zudem gefiel ihm Savchenko/Massots letztjähriges Programm. Er lud das Team samt Trainern nach Colorado ein, und binnen einer Woche entstand die neue Kür. "Es war lustig", berichtete Aljona Savchenko: "Manchmal hat er uns zu einem Knoten gebogen, und wir wussten gar nicht, wie wir da wieder rauskommen sollten." Christopher Dean war seinerseits begeistert von dem Elan, den beide an den Tag legten: "Aljona würde am liebsten zwölf Stunden auf dem Eis bleiben. Bruno nur elf - das ist eine gute Beziehung."

Die Knoten sind inzwischen gelöst und die Enden gewissermaßen mit Schleifchen versehen. Aber ein paar Herausforderungen bleiben. Da ist zunächst Aljona Savchenkos Fuß: Der Knöchel, an dem sie sich im vergangenen Jahr verletzte, muss noch immer gestützt werden. Denn im ersten Teil der Kür, der mit Sprüngen und weiten Würfen gespickt ist, trägt sie die Hauptlast, wenn sie vorschriftsmäßig auf einem Bein zu landen hat. Dann muss weiter an der Kür getüftelt werden. Nach zwei Schaulaufen in dieser Woche im Allgäu steht die nächste Prüfung Ende Oktober bei Skate Canada an; allmählich sollen dann bis zum Olympischen Auftritt am 15. Februar 2018 "weitere Bonbons eingebaut werden", sagt Trainer Alexander König, der damit noch mehr Rotationen bei den Luftnummern meint. Ansonsten bleiben seine Erwartungen realistisch: "Wir sind im dritten Jahr. Ich sehe uns nicht als Favorit, andere machen es schon zehn Jahre."

So beendete die Deutsche Eislauf-Union den ersten Wettkampf der Saison allseits mit Zufriedenheit: Gute, solide Septemberküren hat Sportdirektor Udo Dönsdorf gesehen: Die Oberstdorfer Eistänzer Kavita Lorenz und Joti Polizoakis sicherten den fehlenden deutschen Quotenplatz für Pyeongchang, der Verband ist nun in allen Disziplinen vertreten. Nathalie Weinzierl aus Mannheim erreicht bei den Frauen zudem die verbandsinterne Norm.

Damit der in Frankreich geborene Bruno Massot auch wirklich in Südkorea für Deutschland an den Start gehen darf, muss er allerdings zuvor noch den schriftlichen Deutsch-Test bestehen, der Voraussetzung für die Erlangung der Staatsbürgerschaft ist. Zweimal ist er schon durchgefallen, aber Aljona Savchenko hat keinen Zweifel, dass er es schafft: Der Mann meistert ganz andere Herkulesaufgaben.

© SZ vom 02.10.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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