Eiskunstlauf:Der Fuß der Nation

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Erstes Training: der japanische Eiskunstläufer Yuzuru Hanyu in der Gangneung Ice Arena. (Foto: Peter Kneffel/dpa)

Der Japaner Yuzuru Hanyu will in Pyeongchang erreichen, was seit 66 Jahren keinem Eiskunstläufer mehr gelang - den Olympiasieg zu wiederholen.

Von Barbara Klimke

Der Empfang hätte dem Kaiser von Japan alle Ehre gemacht: Dutzende von Fernsehsendern hatten Kameras aufgebaut, Fotografen und Schaulustige warteten, die Spannung stieg. Bis ein scheuer Mann mit schmalem Gesicht die Halle betrat: Nicht der Tenno. Sondern Hanyu. Ein Viertelstündchen lief er Kringel, sprang einen Axel, dann verschwand er so schnell, wie er gekommen war. Der Kurzauftritt reichte, um der Welt ein Bilddokument von höchstem Nachrichtenwert zu übermitteln: 12. Februar 2018, 19 Uhr Ortszeit - Japans König der Kufen ist zurück.

In Pyeongchang ließ Hanyu, 23, die Reporter stehen. Seine Erklärung hatte er in Sakko mit Einstecktuch, aus Toronto kommend, schon am Flughafen von Seoul abgegeben, wo wartende Mädchen ihn kreischend am Ausgang begrüßten: "Ich werde mich nicht selbst belügen, ich bin hier, um den Titel zu gewinnen." Drei Monate war der Weltmeister und Olympiasieger nach einem Trainingssturz von der Bildfläche verschwunden, er hielt sich von allen Wettbewerben fern, auch von der japanischen Meisterschaft. Nun schwebt er auf den letzten Drücker ein, um den Olympiasieg zu wiederholen, was nach Dick Button (USA) 1952 keinem mehr gelang.

Der Glanz des Eiskunstlaufs verblasst in Europa, Patina hat sich auf die einst sternenfunkelnde, glamouröse Sportart gelegt. In Asien dagegen kann ein Künstler noch immer Illusionen ins Eis kratzen und so die Fantasie der Menschen bewegen. Hanyu rührt die Herzen massenweise.

Ob der Zauberer ausgerechnet dieses Kunststück ins Programm einbauen muss, ist nun die Frage

Als Hanyu sich am 9. November in Osaka im Training verletzte, löste das landesweit Anteilnahme aus: Am anderen Morgen war eine eigens einberufenen Pressekonferenz angesetzt, auf der die Diagnose verlesen wurde. Es erschienen mehr als hundert Reporter, darunter von der New York Times. Kurz darauf machte sich eine Prozession auf den Weg nach Kobe: Hanyus Anhänger pilgerten in Scharen zu einem Shinto-Schrein, um dort Holztäfelchen mit Genesungswünschen anzubringen. Von da an veröffentlichten japanische Medien regelmäßig Bulletins über den Fuß der Nation. Stets mit dem Bedauern, dass Sehnen, Bänder und Knochen des verletzten rechten Sprunggelenks noch keiner Belastungsprobe standhielten.

Offenbar wäre die Verletzung vermeidbar gewesen, hätte Hanyu im November beim Grand Prix in Osaka auf seine Trainer gehört. Er war krank, hatte Fieber und ließ das erste Training aus. Beim nächsten, so berichtet das Fachblatt Pirouette, packte ihn der Ehrgeiz, er versuchte gegen alle Bedenken einen vierfachen Lutz, lief an, hob ab, stürzte und humpelte vom Eis.

Der vierfache Lutz ist das tollkühnste Element der Solo-Eisartisten. Viermal in der Luft um die eigene Achse zu spindeln, das beherrschen ohnehin nur die Weltbesten. Die Flugzeit, so erläutert Karin Knoll, die Eiskunstlauf-Expertin vom Institut für Angewandte Trainingswissenschaften in Leipzig, beträgt maximal 0,8 Sekunden, in keiner Sportart sind die Drehgeschwindigkeiten größer. Beim Lutz kommt erschwerend dazu, dass er von der Außenkante des linken Schlittschuhs abgesprungen wird; gelandet wird auf einem Bein. Ein Brachialakt, der in der Kür wirken soll wie hingetupft - und im Unglücksfall wie bei Hanyu den Bänderapparat sprengt.

Ob der Zauberer Hanyu ausgerechnet dieses Kunststück noch in seine Programme einbauen muss, ist die Frage, die seitdem Fans und Fachwelt gleichermaßen bewegt. Denn Eiskunstlauf ist mehr als Springen und Landen, und um in der Wertung vorn zu sein, hat er ihn bislang nicht benötigt: Er läuft Programme von einer fast schwerelosen Leichtigkeit, hält alle Punkteweltrekorde und hat seinen technischen Innovationsgeist 2016 mit der Uraufführung des vierfachen Rittbergers unter Beweis gestellt. Allerdings steigt ihm inzwischen die Konkurrenz auf die Kufen: Amerikas Nathan Chen, 18, etwa und der Spanier Javier Fernández, 26, die beide als Sprungwunder gelten. Der Fuß muss halten, wenn Hanyu am Freitag seine Titelwiederholung beginnt. Klappt es, steht seiner Krönung zum Eis-Kaiser nichts mehr im Wege.

© SZ vom 13.02.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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