Eishockey-WM:Das Eismärchen geht weiter

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Das deutsche Team siegt mit 1:0 gegen die Schweiz. Zum ersten Mal seit 1938 steht Deutschland damit wieder im Halbfinale einer Eishockey-WM.

Ulrich Hartmann, Mannheim

Franz Reindl glaubt eigentlich nicht an Märchen. "Nein", hat er vor dem Spiel gesagt, "aber in den vergangenen Tagen bin ich schon emotional geworden."

Der Jubel war groß: Zum ersten Mal seit 1938 steht Deutschland wieder im Halbfinale einer Eishockey-WM. (Foto: Foto: dpa)

Wenn man emotional wird, dann glaubt man auch leichter an das Unglaubliche, vielleicht sogar daran, dass eine deutsche Eishockey-Nationalmannschaft ins Halbfinale einer Weltmeisterschaft einzieht. Reindl, der rationale Generalsekretär des Deutschen Eishockey-Bundes, hat am Donnerstagabend wieder etwas dazu gelernt.

Die deutschen Eishockeyspieler bekommen ihr eigenes Märchen

Es gibt Märchen, und jetzt haben auch die deutschen Eishockeyspieler ihr eigenes. Die Fußballer hatten 2006 ihr Sommermärchen, die Handballer 2007 ihr Wintermärchen - und jetzt erleben die Eishockeyspieler ihr Eismärchen. Im Viertelfinale der Heim-WM haben sie am Donnerstag vor 12500 Zuschauern in Mannheim die Schweiz mit 1:0 (0:0, 1:0, 0: 0) besiegt und stehen erstmals seit 72 Jahren wieder im Halbfinale einer WM. Dort treffen sie am Samstagabend in der Kölner Arena auf Russland. Im zweiten Halbfinale stehen sich zuvor Schweden und Tschechien gegenüber.

Statt jüngst im April bei der B-Weltmeisterschaft im niederländischen Tilburg um den Wiederaufstieg spielen zu müssen, weil sie vor einem Jahr bei der A-WM in der Schweiz ja schließlich sportlich abgestiegen waren, durften die Deutschen in der Eliteklasse verbleiben und am Donnerstag zum siebten Mal binnen zwei Wochen vor begeistertem Heimpublikum gegen starke Widersacher antreten, denn als Gastgeber waren sie für diese A-WM natürlich gesetzt.

Dass ein eigentlich zur Zweitklassigkeit verurteiltes Nationalteam bei der erstklassigen WM bis ins Viertelfinale vorprescht, galt schon vor Beginn des Viertelfinals gegen die Schweiz als famose Überraschung, und die Deutschen setzten auch diesmal von Beginn an wieder alles daran, dem ersten Viertelfinaleinzug seit 2003 den ersten Halbfinaleinzug seit 1938 folgen zu lassen. Nach 2:36 Minuten hatten sie gleich zum ersten Mal Überzahl. Natürlich nutzten sie diese nicht, denn die Deutschen haben das wirkungsloseste Powerplay aller Teams bei dieser WM. Sie hatten vor dem Spiel in 36 Minuten Überzahl nur ein Tor erzielt.

In Schwarz und Gold traten die Deutschen auf. Das Rote überließen sie den Schweizern, die aber überließen den Deutschen hingegen zunächst nichts. Als die Zahl der Spieler auf dem Eis wieder ausgeglichen war, demonstrierten die Eidgenossen ihre Stärke. In der Rückwärtsbewegung fingen sie die Deutschen mit einer Dreierreihe an der eigenen blauen Linie ab, nach vorne erspielten sie sich klare Chancen, die nur deswegen nicht zu einem Tor führten, weil der Torwart Dennis Endras großartig parierte. Die Spielrichtung drehte erst wieder, als mit Martin Plüss nach 15:28 Minuten einer der besten Schweizer Angreifer die Beine des Verteidigers Christian Ehrhoff wüst mit dem Schläger malträtierte. Plüss musste für den Rest des Spiels vom Feld, Deutschland erhielt fünf Minuten Überzahl. Ein Tor schossen sie in dieser Zeit auch diesmal nicht nicht.

Nein, ihr elftes Turniertor erzielten die Deutschen im mittleren Drittel erst, als die Schweizer auch wieder zu Fünft spielten. Nachdem Torwart Endras weitere gute Schweizer Schüsse pariert und seiner Mannschaft das 0:0 gesichert hatte, gelang genau dies dem Schweizer Torhüter nicht. Martin Gerber ließ einen brachialen Schuss des Wolfsburgers Kai Hospelt abprallen und zwar ausgerechnet dem sonst für Portland in den USA spielenden Philipp Gogulla vor die Schlittschuhe, der nach 30:49 Minute die etwas schmeichelhafte 1:0-Führung für die von Deutschen erzielte. Die Schweizer wirkten da schon deprimiert.

Das Publikum war elektrisiert

Im finalen dritten Akt durften sich die Gastgeber also wieder auf das konzentrieren, was sie mit zuvor neun Gegentoren in sechs Spielen am besten beherrscht hatten: die Defensive. Sie warfen sich in jeden Schuss, der Druck der roten Duellanten wuchs, das Publikum war elektrisiert. Die Schweizer holten den Puck ein ums andere Mal aus der eigenen Hälfte und flogen in Formationen auf das deutsche Tor zu. Es war ein Krimi. Die Minuten verrannen, die Zuschauer riefen fast verzweifelt und beschwörend den Namen des deutschen Torhüters, und Dennis Endras tat, was er schon die ganzen Tage getan hatte: er hielt den Puck ein ums andere Mal.

Den deutschen Spielern gelangen nur noch Entlastungsangriffe, aber diese waren gefährlich. Mehrfach hatten sie das 2:0 auf dem Schläger, die Vorentscheidung wäre möglich gewesen, sogar fällig. Doch es gab keine Vorentscheidung mehr. Und auch kein Schweizer Tor. Die Defensive hielt. Das Eismärchen geht weiter.

© SZ vom 21.05.2010 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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