Julia Zorn bei der Eishockey-WM:Umgeschult auf neue Kufen

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"Ich bin bis heute keine gute Schlittschuhläuferin": Julia Zorn (vorne), die zurzeit mit der Nationalmannschaft in Malmö gegen den Abstieg kämpft. (Foto: nph/imago)

Nationalstürmerin Julia Zorn soll dem deutschen Eishockey-Team bei der WM den Klassenerhalt sichern. Die 22-Jährige ist die erfolgreichste Angreiferin des Landes - dabei war sie lange Torwart.

Von Korbinian Eisenberger, Malmö/München

Dem Kenner gibt bereits der Schlittschuh ein eindeutiges Indiz dafür, ob der Träger auf dem Eis Tore verhindern oder erzielen soll. Die Kufe ist es, die einen Eishockey-Torwart von einem Stürmer in seinen Grundfesten unterscheidet. Es gibt nur wenige Kufenkünstler, die mit beiden Varianten zurecht kommen. Doch es gibt sie.

19 Jahre ist es her, seit Julia Zorn begonnen hat, das Torwart-Handwerk zu erlernen. Mittlerweile betreibt die 25-Jährige den Eishockeysport höchst professionell und beim deutschen Serienmeister ESC Planegg auch recht erfolgreich. Für Auftritte in der Nationalmannschaft lässt sich das derzeit nicht sagen. In der Gruppenphase der WM hat Spielführerin Zorn mit den deutschen Frauen jegliche Chancen auf das Viertelfinale verwirkt, am Dienstag verloren sie ihr drittes Spiel.

Dass Deutschland wie schon so oft in der Relegation gegen den Abstieg aus der Weltgruppe A kämpfen muss, stand schon nach dem 0:2 am Sonntag gegen Japan unausweichlich fest. Gegen die mit Vollprofis gespickte Weltelite fehlt der deutschen Truppe, die größtenteils aus Studentinnen besteht, schlichtweg die Durchschlagskraft.

Für Deutschland geht es bereits ums Ganze

Am Dienstag dann unterlagen sie im schon unbedeutenden letzten Gruppenspiel den Schwedinnen mit 0:4 (0:1, 0:2, 0:1). Als Tabellenletzter der Gruppe B treffen sie nun in der Relegation am Mittwoch (18 Uhr) in der Best-of-three-Serie auf Japan. Fest steht allerdings, dass die gelernte Torhüterin Zorn dann keinesfalls das Tor hüten wird.

Julia Zorn, Kapitän der deutschen Eishockey-Nationalmannschaft und Stürmerin beim ESC Planegg. (Foto: eishockey-online.com)

Ganz im Gegenteil. Die Geschichte beginnt 1996. Zorn war sechs Jahre alt, als sie das erste Mal einen Puck mit ihren Beinschonern parierte. "Ich war von Anfang an Torwart", sagt sie. Und Spaß gemacht habe es ihr zunächst auch. Dass sich die gebürtige Gräfelfingerin mit großer Hingabe in gegnerische Schüsse warf, bemerkte bald auch der Präsident des ESC Planegg.

2003 holte Klaus Wüst die damals 13-Jährige von Germering in die Münchner Vorstadt und baute um sie herum ein Team auf. "Sie war von Beginn an eine Stütze", sagt Wüst. Er meint jene Truppe, die dem Verein 2008 den ersten Meistertitel bescherte. Planegg gewann alle 16 Ligaspiele und traf 106 Mal. Nie zuvor hatte ein Team in der Frauen-Bundesliga so etwas zustande gebracht. Es war der Moment des Triumphs, und Torhüterin Zorn war dennoch nicht zufrieden.

"In dieser Zeit gab es Spiele, da haben wir 16:0 gewonnen", sagt sie heute. "Wenn du als Torwart dann überhaupt nicht gefordert bist, macht das keinen Spaß mehr." Ihre Feststellung hatte vor allem damit zu tun, dass sich die damals 18-Jährige immer weniger wie eine Eishockeyspielerin fühlte, sondern wie eine Stehgeigerin ohne Geige. Man mag ihr entgegenhalten, dass es selbst unter Fußballern Torhüter gibt, denen es zeitweise so ergeht. Doch die vielen Minuten, in denen Zorn ihr Tor sauber hielt, waren längst keine Sensation mehr. Und Zorn beschloss, etwas zu ändern .

Nun ist das im Eishockey so eine Sache mit der Umschulung. Die Kufen, an die sich Zorn gewöhnt hatte, waren lang und geradlinig. Schlittschuhe mit diesem Unterbau machen es einem einfacher, standfest auf dem Eis zu stehen - was bei Torhütern durchaus von Vorteil ist.

Einen Angreifer erkennt man dagegen an den gebogenen Kufen, von denen stets nur ein zwei Zentimeter-Rist mit dem Eis in Berührung kommt. Schlittschuhe mit diesem Unterbau erleichtern es, blitzschnell auf dem Eis zu wenden - was bei Angreifern durchaus von Vorteil ist.

Und genau diese Schuhe, sagt Zorn, die gebogenen, die wollte sie nun tragen. Torhüterin Zorn wollte Stürmerin werden.

In der Bundesliga trifft sie inzwischen in fast jedem Spiel

"Am Anfang taten mir die Füße weh", sagt Zorn. In der ersten Saison nach ihrem Entschluss saß sie mit dem ungewohnten Schuhwerk des öfteren auf der Bank. Nach 22 Partien hatte Zorn immerhin neunmal getroffen. Im zweiten Jahr stand sie nur noch bei ihrem Zweit-Team, einer Männermannschaft, im Tor. In der Saison 2010/11 wurde Zorn schließlich erstmals nicht mehr als Teilzeit-Torwächterin, sondern als reine Stürmerin auf dem Spielbogen gelistet. Sie schoss 28 Tore und legte 18 auf, zählte zu den besten Torjägerinnen der Liga. Zwei Jahre später - nach 30 Toren und 28 Vorlagen - war sie die beste.

"Ich bin bis heute keine gute Schlittschuhläuferin", behauptet Zorn. Planeggs Präsident sieht das ähnlich. Zorn habe aber einen entscheidenden Vorteil, sagt Wüst. "Wenn sie aufs Tor schießt, dann weiß sie, was die gegnerische Keeperin denkt", sagt er. Tatsächlich trifft Zorn in der Bundesliga nahezu in jedem Spiel, schoss den ESC Planegg im Frühjahr 2015 zur fünften Meisterschaft in Serie. Es könnte alles so perfekt sein, wären da nur nicht die zähen Auftritte mit der Nationalmannschaft.

In den ersten WM-Spielen traf Zorn nicht ein einziges Mal, darin scheint der Knackpunkt ebenso zu liegen wie in der Unerfahrenheit des Teams - elf Nationalspielerinnen gaben in Malmö ihr WM-Debüt. Deutschland wird kämpfen müssen, um in der Relegation zu bestehen. Ein 16:0, wie zu Zorns Torwartzeiten dürfte es am Mittwoch kaum geben. Schade eigentlich. Vielleicht hätte Zorn ihre alten Torwart-Schlittschuhe doch mitbringen sollen.

© SZ vom 01.04.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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