Eishockey-Trainer Toni Krinner:"Ihr könnt in mich so starkes Zeugs reinhauen, wie ihr wollt"

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Als langjähriger Cheftrainer ist Toni Krinner es gewohnt, Befehle eher zu erteilen als entgegenzunehmen. Im vergangenen Halbjahr aber musste sich der 48-Jährige dem Urteil und der Behandlung anderer überlassen. (Foto: Johannes Simon)
  • Der Eishockey-Trainer Toni Krinner erfährt im Juni, dass er Krebs hat - die Ärzte geben ihm noch zwei Jahre zu leben.
  • Krinner geht auf eigene Art mit der Krankheit um und sucht die Einsamkeit in einer Jagdhütte. Seiner Familie verschweigt er wichtige Details.
  • Heute geht es dem 48-Jährigen viel besser und er darf wieder auf ein längeres Leben hoffen.

Von Matthias Schmid, Bad Tölz

Fast beschwingt nimmt Toni Krinner die erste Stufe. Ihn hat es nie interessiert, wie viele davon aus dem Erdgeschoss hinauf in den ersten Stock seines Hauses in Bad Tölz führen, wo er jetzt steht. Doch nun will er es wissen, weil die Treppen ein Symbol seiner Krankheit geworden sind. Er zählt laut "eins" - und macht den nächsten Schritt, "zwei", "drei". Federnd ist sein Gang, irgendwie lässig, er lächelt. Am Ende sind es 17 Stufen. 17 Schritte zurück in ein Leben, das wieder eine Zukunft hat.

Im Sommer noch ist jeder Schritt hinauf in den ersten Stock, wo Krinner schläft, eine echte Plackerei. Das ist sogar noch untertrieben. Er schwitzt, sein Puls trommelt, als habe er gerade ein Marathonrennen beendet, so erbarmungslos fühlt es sich an. "Ich musste mich erst einmal eine halbe Stunde vom Treppensteigen erholen, um wieder normal atmen zu können", erzählt Krinner.

Nicht einmal ein halbes Jahr ist das her, die ersten Behandlungen der Chemotherapie hat er da gerade hinter sich, er schläft bis zu 16 Stunden, verliert zunächst den Appetit und dann 16 Kilogramm. In drei Wochen. Heute, sagt Toni Krinner, "bin ich sehr zufrieden, wie der Heilungsprozess verläuft." Anfang Oktober war der 48-jährige Eishockey-Trainer an seinen Arbeitsplatz beim Zweitliga-Absteiger EV Landshut zurückgekehrt, er leitete ein, zwei Trainingseinheiten die Woche, stand bei den Spielen hinter der Bande.

Doch er merkte auch, dass es nicht mehr reichte. Am Mittwoch verkündete Landshut, dass Krinner "aus gesundheitlichen Gründen" aufhöre; sein Nachfolger wird Bernie Englbrecht. "In den letzten Wochen habe ich meine Belastung sukzessive erhöht", wird Krinner in einer Mitteilung zitiert, "doch wenn es zu viel wird, wird es zu viel." Er wollte nichts überstürzen. Nicht mehr.

Im Juni erfährt Krinner von seiner kurzen Zukunft

Ein Nachmittag ein paar Tage zuvor, Krinner sitzt zu Hause in seinem Büro, ein Schreibtisch, Regale mit Ordnern, Urkunden, Pokale. In diesem Moment ist der Sport sehr weit weg, die Ergebnisse, die Tabelle, alles nichtig und klein. Sein Handy liegt vor ihm auf dem Tisch, er trägt eine bequeme Jogginghose und ein Sweatshirt, das an der Brust wieder etwas spannt. Krinner hat zugenommen, er bringt wieder das Gewicht aus seinem früheren Leben auf die Waage. Das vor dem 16. Juni. Dieses Datum hat sich in seine Seele eingebrannt.

Am 16. Juni erfährt er, dass sein Leben nur noch eine kurze Zukunft hat. "Zwei Jahre", sagt Krinner, so viel geben ihm die Ärzte noch, weil er schwer an Krebs erkrankt ist. Die Mediziner finden einen Tumor im Rachen, er hat bereits gestreut und zwei weitere Organe befallen. Als er das Bulletin der Professorin des Klinikums in Großhadern hört, ist es ein Schock.

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"In diesem Moment ist alles in mir zusammengefallen", sagt Krinner. Er erzählt ruhig, unaufgeregt, pointiert. So, als ob er über eine andere Person sprechen würde. "Ich habe die zwei Jahre aber nicht akzeptiert und den Ärzten gesagt, ihr könnt in mich so starkes Zeugs reinhauen, wie ihr wollt. Nur helft mir, dass ich noch länger leben kann." Von der von den Ärzten prognostizierten Lebenserwartung erzählt er niemandem, weder seiner Frau und seinen fünf Kindern noch seinen Eltern und den beiden Geschwistern. "Ich wollte sie nicht noch mehr beunruhigen", sagt Krinner.

Er verschweigt ihnen auch, dass die Tage nach der ersten Spritze der Chemotherapie viel über die Heilungschancen verraten. Darüber, ob der starke Medikamentenmix seine Wirkung voll entfalten kann. Spätestens nach sieben Tagen, so erklären es ihm die Ärzte, müssen erste Rötungen im Gesicht auftauchen, Pusteln. Andernfalls könnte die ganze Therapie vergeblich sein.

Als am siebten Tag noch nichts zu sehen ist, "wurde ich immer nervöser", erinnert sich Krinner. Die quälende Ungewissheit zerstört die letzten positiven Gedanken. Es vergeht eine weitere schlaflose Nacht, bis er schließlich am Morgen in den Spiegel blickt und aussieht "wie ein spät pubertierender Jugendlicher", wie er es ausdrückt. Überall Akne. Ein wunderbarer Anblick. "Das hat mich extrem motiviert, weil ich nun wusste, dass ich doch eine Überlebenschance haben kann", sagt er.

Nach drei Wochen im Krankenhaus und den ersten beiden Spritzen zieht Krinner sich in seine Jagdhütte im Karwendelgebirge zurück. Drei Wochen verbringt er in der Einsamkeit von Hinterriß, er will allein sein, nachdenken, zu sich finden. Seine Frau schaut täglich vorbei. "Aber ich wollte das alles mit mir selber ausmachen", sagt Krinner.

Eine Wunschliste von Dingen, die er noch erleben möchte, erstellt er in der Abgeschiedenheit nicht. Ihn plagen ganz alltägliche Dinge, bürokratische. Er will alles regeln, damit seine Frau und die Kinder, sein jüngstes Mädchen ist zwei Jahre alt, nach seinem Tod abgesichert sind. "Das war meine größte Sorge", sagt Krinner. Neben der entsetzlichen Vorstellung, "dass meine Eltern ihren Sohn vielleicht zu Grabe tragen müssen".

Das Telefon klingelt. "Hallo Ralph, ich rufe dich später zurück", entgegnet Krinner. Welcher Ralph? "Ralph Bader." Krinner lächelt. Dieser Anruf überrascht. Ebenso die Freundlichkeit, die Vertrautheit der beiden. Der Streit mit Bader ist eine dieser Geschichten in Krinners Leben, die er gerne rückgängig machen würde.

Die Krankheit hat den streitlustigen Trainer sanfter werden lassen

Damals, im Januar dieses Jahres, tritt Krinner als Trainer des Eishockey-Zweitligisten SC Riessersee zurück, weil Geschäftsführer Bader einen amerikanischen Spieler nach Hause schickt, obwohl Krinner ihm gesagt hat, dass er bleiben dürfe. Mit dem Rücktritt endet vorerst eine Männerfreundschaft, weil die beiden nicht mehr mit-, sondern nur noch übereinander sprechen. Die fristlose Kündigung von Krinner, der eine Woche später zum Ligakonkurrenten nach Landshut wechselt, führt sie sogar vor das Arbeitsgericht. Mittlerweile haben sie sich wieder versöhnt. "Heute würde ich vielleicht noch mal in Ruhe mit Ralph sprechen und nicht mehr zurücktreten", sagt Krinner.

Die Krankheit hat den in der Vergangenheit oft streitlustigen Trainer sanfter werden lassen, demütiger, gelassener. Das ist auch seinem Cousin, einem Arzt, aufgefallen, den er damals als Erstes aufsucht, nachdem seine Lymphknoten am rechten Hals plötzlich anschwellen und die Größe eines Tennisballs erreichen. "Er hatte Bedenken, dass ich dem Ärzteteam in Großhadern nicht voll vertrauen würde", sagt Krinner. Der gebürtige Bad Tölzer ist ein Mensch, der schon von Berufs wegen lieber Befehle erteilt als empfängt. "Aber ich habe in der ganzen Zeit der Behandlung nichts hinterfragt und alles gemacht, was sie von mir wollten."

"Ich bin froh, dass ich daran nicht zerbrochen bin."

Acht Chemobehandlungen sind angesetzt, alle drei Wochen. Nach der vierten Spritze Mitte August ist zu erkennen, dass die Therapie besser anschlägt als die Ärzte selbst vermutet haben. Krinner profitiert von seiner Konstitution als früherer Eishockeyprofi, der es mit Kassel bis ins Meisterschaftsfinale geschafft hat. Die Ärzte machen ihm Hoffnung, dass sein Leben nicht nach zwei Jahren enden wird.

"In diesem Moment hat sich die Welt nach einer langen Dunkelheit wieder für mich geöffnet", sagt Krinner. Die Tumore gehen sogar so deutlich zurück, dass die Mediziner die Chemotherapie nach der sechsten Spitze beenden. Ohne Operation, ohne Bestrahlung. "Ich hätte mir zu Beginn nicht vorstellen können, dass das alles so heftig wird", gesteht Krinner und fügt hinzu: "Ich bin froh, dass ich daran nicht zerbrochen bin." Als Geheilter sieht er sich aber nicht.

Er muss jede Woche seine Blutwerte überprüfen lassen, Tabletten einnehmen. "Der Krebs ist unberechenbar", erklärt Toni Krinner. Er streicht sich durch die lichten Haare. "Sie sind mir nicht alle ausgegangen", sagt er. Ein bisschen eitel ist er schon noch. Aber vor allem hat er gelernt, dass jede Minute des Lebens kostbar ist. Inklusive Treppensteigen.

© SZ vom 24.12.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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