Eishockey:Spektakel mit System

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"Eines der explosivsten Teams": Der Derbysieg in München zeigt, dass sich der ERC Ingolstadt zu einer der besten Umschaltspiel-Mannschaften der DEL entwickelt hat. Und die gut geölte Offensive könnte bald noch Zuwachs bekommen.

Von Christian Bernhard

Besondere Anlässe erfordern besondere Maßnahmen. So oder so ähnlich muss Ville Koistinen wohl gedacht haben, als er sich am vergangenen Sonntag eine 80er-Jahre-Perücke über den Kopf zog, die es in sich hatte. Irgendwie passte sie aber, denn der finnische Verteidiger des ERC Ingolstadt feierte damit einen Sieg, der es in sich hatte. 0:3 waren die Ingolstädter gegen den souveränen Tabellenführer EHC Red Bull München zurückgelegen, kaum jemand dachte da noch an einen erfreulichen ERC-Abend. Eine beeindruckende Aufholjagd, die zu einem 6:4-Sieg führte, machte aber nicht nur einen erfreulichen, sondern sogar noch einen euphorisierenden daraus.

Der spektakuläre Derbysieg war die Kirsche auf die mehr als vorzeigbare ERC-Torte, die die Oberbayern in der Deutschland-Cup-Pause gebacken haben. Drei der vier Partien seitdem haben sie gewonnen, das 5:6 in Düsseldorf war das einzige der vergangenen sieben Spiele, in denen sie das Eis ohne Punkte verließen. Der ERC ist nun Siebter, der Rückstand auf Platz vier beträgt nur drei Zähler. Steve Walker, Münchens Assistenztrainer, der am Sonntag den aus privaten Gründen fehlenden Don Jackson als Chef vertrat, fand, der ERC sei "eines der explosivsten Teams der Liga".

Dieses scheint sich langsam zu finden. Stürmer Tim Wohlgemuth erklärte, dass sich an der Art und Weise, wie der ERC spiele, "gar nicht zwingend" etwas geändert habe. Er führt die erfolgreiche Phase darauf zurück, dass sich das System bei den Spielern "mittlerweile eingebürgert" habe.

Die gut geölte Offensive könnte bald noch Zuwachs bekommen

Wofür dieses System steht, ist leicht auszumachen: für Spektakel. 6:3, 5:6, 6:4 - die letzten drei Partien mit ERC-Beteiligung waren aufsehenerregend. Der ERC denkt sehr offensiv und ist dank seiner vielen guten Schlittschuhläufer eine der besten Umschaltspiel-Mannschaften der Liga. Wenn er nicht so nachlässig verteidigt wie bis zum Münchner 3:0, ist er für alle Teams der Deutschen Eishockey Liga (DEL) ein unangenehmer Gegner.

Dass der Erfolg nicht von einzelnen Spielern abhängig ist, zeigte das vergangene Wochenende. Neun verschiedene Torschützen waren für die elf Tore gegen Düsseldorf und München verantwortlich - eine herausragende Torausbeute gegen zwei Spitzenteams der Liga. Offensiv läuft es gerade bei ziemlich vielen Ingolstädtern ziemlich gut. Das Scoring ist auf viele Schultern verteilt, fünf Spieler haben 15 oder mehr Scorerpunkte auf ihrem Konto.

Zwei Angreifer stechen aus diesem starken Offensivkollektiv hervor. Wayne Simpson steuerte am Wochenende beeindruckende fünf Scorerpunkte bei und ist nun der drittbeste Scorer der Liga (22 Punkte). Der 30-jährige US-Amerikaner, der erstmals in Europa spielt, beweist, warum sein Trainer Doug Shedden kürzlich über ihn sagte, er könne "über lange Zeit ein Star der DEL sein". Simpson betont, seine starken Leistungen seien ein "Spiegelbild" des mannschaftlichen Laufes: "Wenn du als Team erfolgreich bist, kommt der persönliche Erfolg automatisch."

Während Simpson mit seinen 17 Assists der prägende Spielmacher des ERC ist, glänzt Kris Foucault mit seinen Treffern. Der Kanadier erzielte gegen Düsseldorf und München seine Saisontore Nummer acht und neun, vier davon waren bereits spielentscheidend. "Wenn er eine Chance hat, ist die Wahrscheinlichkeit sehr hoch, dass er trifft", lobt Shedden die Treffsicherheit des 28-Jährigen, der hervorhebt, dass er von seinen Teamkollegen zuletzt "viele gute Pässe" bekommen habe. Er versuche, die Freiräume zu finden, was ihm zuletzt immer besser gelang. Den Rest erledigt dann sein präziser Schuss.

Man merkt zahlreichen ERC-Spielern an, dass sie deutlich mehr Vertrauen in ihre Qualitäten haben. "Wir haben das Selbstvertrauen auf unserer Seite", sagt Verteidiger Fabio Wagner. Bestes Beispiel dafür ist Angreifer David Elsner, der sich nach seiner letztjährigen 18-Tore-Saison lange Zeit derart schwer tat, dass er sich als überzähliger Spieler auf der Tribüne wieder fand. Nun produziert auch er wieder. Simpson betonte, seine Teamkollegen und er seien überzeugt, "dass wir ein komplettes Team sind".

Die gut geölte Offensive könnte bald auch noch Zuwachs bekommen. Shedden, der kürzlich sein 100. Spiel als ERC-Trainer bestritt, kündigte an, dass der ERC auf der Suche nach einem neuen Spieler sei. Dieser würde den Platz von Stürmer Colin Smith einnehmen, der sich vergangene Woche den Kölner Haien angeschlossen hat. Die Schwenninger Wild Wings sind auch ohne neue ERC-Spieler gewarnt. Am ersten Spieltag hatte das Shedden-Team den Schwarzwäldern, die am Freitag in Ingolstadt zu Gast sind, gleich zehn Tore eingeschenkt.

© SZ vom 27.11.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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