Eishockey:Ollie und die stolzen Männer

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Zähes Ringen auf dem Eis: Hier rangeln Münchens Stürmer Maximilian Kastner (mitte) mit Augsburgs Verteidiger Patrick McNeill (rechts). (Foto: Sebastian Widmann/Getty Images)

Die Augsburger Panther zeigen bei der 1:2-Niederlage im ersten Playoff-Halbfinale gegen München, dass sie dem Meister mit intensiver Verteidigung Probleme bereiten können. Aber: Reicht die Kraft?

Von Johannes Schnitzler, München

Als Henry Haase aus der Kabine kam, bekleidet nur mit einem um die Hüfte gehaltenen Handtuch, waren auf seiner Stirn noch die Abdrücke des Helms zu erkennen. Sein Pectoralis major, der große Brustmuskel, zuckte - und es ist ein wirklich imposanter Muskel. Die Anspannung aus mehr als 100 Minuten Playoff-Eishockey steckte noch in jeder Faser des Augsburger Abwehrspielers, als er sagte: "Irgendwann wird es eine mentale Sache: Wer macht den ersten großen Fehler?"

Letztlich war es nicht einmal ein Fehler, der dieses erste von maximal sieben Halbfinalspielen der Augsburger Panther gegen Titelverteidiger EHC Red Bull München entschied, sondern "ein Spielzug, wie er hundertmal in jedem Spiel vorkommt", und noch öfter, wenn dieses Spiel mehr als 100 Minuten dauert. Ein verlorener Zweikampf (dass Augsburg ein Foul beanstandete, ließ Haase unerwähnt), ein schneller Pass von Maximilian Kastner zu Mark Voakes, Tor. Nach 101:12 Minuten war das siebtlängste Spiel in der Geschichte der Deutschen Eishockey Liga entschieden, Voakes' zweiter Treffer des Abends war das 2:1 für München. "Schade", sagte Haase. "Aber wir nehmen es positiv. Wir haben das Spiel bis ins sechste Drittel offengehalten."

In Augsburg, beim Überraschungsdritten nach der Hauptrunde, sehen sie es so: Sie haben ein Spiel verloren. Aber noch lange nicht die Serie. Sie wissen, dass München, Meister der vergangenen drei Spielzeiten, den tiefer besetzten Kader hat, mehr Geld und mehr Playoff-Erfahrung. Augsburg steht ja überhaupt erst zum zweiten Mal in seiner Klubgeschichte im Halbfinale. "Aber wir wissen, dass wir sie schlagen können", sagt Haase.

In den Halfinalspielen sind in acht Dritteln nur vier Tore gefallen

Der Verteidiger Haase, 1,91 Meter groß, 99 Kilo schwer, sieht nicht aus wie 25. Man könnte sich den gebürtigen Berliner und seine ebenso dunkelhaarigen und ebenso ganzjährig vollbärtigen Kollegen Brady Lamb, 1,85 Meter, 107 Kilo, und Scott Valentine, 1,87, 102 Kilo, auch gut in einem Sandalenfilm vorstellen, als einen Haufen Spartaner etwa, die zur Verteidigung Griechenlands gegen eine persische Übermacht an die Thermopylen ausrücken. Das kleine Augsburg gegen das mächtige München. Und man sollte sich von Namen wie Lamb, englisch für Lamm, und Haase bitte nicht täuschen lassen: "Das sind stolze Männer", sagt Panther-Trainer Mike Stewart. Obwohl er weder dunkelhaarig noch vollbärtig ist, war Stewart, 1,89 Meter, ja auch mal einer dieser Männer, ein Verteidiger. Männer, die sich in Schlagschüsse werfen, Pucks wie Gummigeschosse blocken und mit allem, was sie haben, ihre Heimat verteidigen, ihr Drittel, ihr Tor. Was war da los mit der Schulter im dritten Drittel? Och, sagt Haase: "Der Physio hat gedacht, sie wäre raus. War aber nur der Schreck."

Nimmt man das erste Duell zwischen Mannheim und Köln (1:0) mit in die Rechnung, sind nun acht Drittel Halbfinale gespielt - und dabei exakt vier Tore gefallen. Weil alle vier Halbfinalisten solche stolzen Männer haben. Bundestrainer Toni Söderholm, der die Partie in München verfolgte, sagte: "Also, intensiv ist es auf alle Fälle. Und Augsburg verteidigt halt sehr gut." Defense wins championships, zitierte Panther-Kapitän Steffen Tölzer einen alten Stehsatz: "Wir müssen hinten clever und gut spielen, dann ergeben sich vorne schon irgendwann die Tore."

Nun ist es trotzdem so, dass München dieses erste Spiel gewonnen hat und darüber "sehr froh" war, wie Trainer Don Jackson erleichtert feststellte. Zu sagen, es wäre ein hartes Stück Arbeit gewesen, wäre angesichts von 53:37 Schüssen aufs Tor eher verniedlichend. Dass die Effizienz dieser Schüsse bei München gerade mal 3,77 Prozent betrug und bei Augsburg sogar nur 2,7, lag an zwei exzellenten Torhütern, Danny aus den Birken und vor allem Olivier Roy im Augsburger Kasten, den die Panther-Fans mit "Ollie, Ollie"-Chören feierten. Und natürlich an den Verteidigern. "München war besser und hatte mehr Chancen", sagte Haase. "Aber wir haben es ihnen schwer gemacht." Kapitän Tölzer war beeindruckt, wie die Mannschaft auf den Rückstand durch Voakes (54.) reagierte: Nur 54 Sekunden später hämmerte ein Panther die Scheibe zum 1:1 ins Netz. Absender: der stolze Brady Lamb.

Der Augsburger Haase sagte: "Dit is Playoffs! Da kannste jeden Tag spielen!"

"Das war stark vom ganzen Team, wie wir nach dem Rückstand zurückgekommen sind", sagte Tölzer. "Wir haben keine mentale Schwäche gezeigt." Wie es um die Physis der Panther bestellt ist, wird sich am Freitag zeigen. Scott Valentine, der schon am Mittwoch kurzfristig ausfiel, wird wohl abermals fehlen, Patrick McNeill, rotbärtig, aber nicht weniger stolz, ist nach seiner zweiten Disziplinarstrafe in den Playoffs für Halbfinale Nummer zwei gesperrt. "Wir können immer noch mit sechs Verteidigern spielen", sagte Mike Stewart, "kurzfristig ist das kein Problem." Langfristig, das weiß der Trainer natürlich, könnte es eins werden, denn gegen die Münchner Titelmaschine braucht er vier Sturmreihen und gesunde Abwehrkräfte. "Am Donnerstag wird Inventur gemacht, ob noch alle Knochen da sind, und am Freitag greifen wir wieder an", versprach Steffen Tölzer.

Die Sache an den Thermopylen ging ja damals mehr so unentschieden aus. Die stolzen Spartaner hielten aus, bis die Truppen daheim für den Ansturm der Perser gerüstet waren, buchstäblich bis zum letzten Mann. "Klar", sagte Henry Haase, Verletzungen und Sperren seien nicht optimal. "Aber wir machen das Beste draus, uns fehlt's an nix." Und wenn diese Perser aus München "erst mal in unseren Hexenkessel kommen, dann brennt die Hütte ab". Der Augsburger Haase klang jetzt ganz wie ein Berliner aus dem Bezirk Sparta: "Dit is Playoffs! Da kannste jeden Tag spielen!"

© SZ vom 05.04.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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