Eishockey:Im zweiten Drittel Schlaftabletten

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3:0 geführt, 4:6 verloren: Tabellenführer München erlebt ein kurioses Derby in Ingolstadt. Pünktlich zum Spitzenspiel in Straubing kehrt nun Trainer Don Jackson zum Team zurück.

Von Christian Bernhard, München

Die TV-Kamera hatte Steve Walker ganz genau ins Visier genommen, sie schien sich nicht mehr von ihm lösen zu wollen. Sie dokumentierte, wie der 46-jährige Kanadier mit gesenktem Blick aus dem Innenraum ging und an der Schwelle zum Katakombentrakt fein säuberlich seine schicken Schuhe vom Eis befreite, indem er mehrfach auf den Boden stampfte. Walker ist eigentlich Co-Trainer beim EHC Red Bull München und damit nur selten im medialen Fokus. Am Sonntag aber waren viele Augen - nicht nur die der Kameras - auf ihn gerichtet, da sein Chef Don Jackson in Ingolstadt aus privaten Gründen fehlte. Walker, der sich im Sommer dem Münchner Trainerteam angeschlossen hatte und normalerweise für die Verteidiger zuständig ist, stand erstmals als Hauptverantwortlicher hinter der EHC-Bande.

Als solcher nahm er auch bei der Pressekonferenz Platz. Seine erste Münchner Cheftrainer-Analyse hatte sich Walker aber sicher anders vorgestellt. Walker musste eine 4:6-Niederlage kommentieren, obwohl sein Team bereits 3:0 geführt hatte. "Bevor wir es realisieren konnten, sind wir hinterhergelaufen", sagte er ruhig und nüchtern. Der 19. Münchner Sieg im 21. Saisonspiel der Deutschen Eishockey Liga (DEL) schien nur noch eine Formalie zu sein, als der EHC mit einem 3:0-Vorsprung in die erste Pause gegangen war. Doch es kam völlig anders.

"Das ist schon eine Kunst": Der EHC ist das letzte deutsche Team in der Champions League

Vier Gegentore binnen weniger als zwölf Minuten im Mitteldrittel, das Nationalspieler Yasin Ehliz als "katastrophal" bezeichnete, läuteten die wilde Derby-Pleite ein. Münchens Stürmer Maximilian Kastner sprach das aus, was sich seine Teamkollegen wohl auch gedacht haben: "Es war das schlechteste Drittel unserer Saison." Ingolstadts Trainer Doug Shedden dagegen war gut gelaunt, er mutmaßte scherzend, womöglich habe seine Mannschaft den Münchnern unbemerkt ein paar Schlaftabletten untergejubelt. Der EHC, der immer noch über die beste Defensive der Liga verfügt, verteidigte im Mitteldrittel jedenfalls so, wie die Ingolstädter in den ersten 20 Minuten: nachlässig und zu passiv.

Die Niederlage war erst die dritte der Münchner im 21. DEL-Spiel (alle drei gab es in Derbys gegen bayerische Rivalen), sie führen die Tabelle weiterhin souverän mit zehn Punkten Vorsprung auf die zweitplatzierten Straubing Tigers an. Titelverteidiger Adler Mannheim hat trotz eines Sechs-Punkte-Wochenendes immer noch 16 Zähler Rückstand. EHC-Manager Christian Winkler hatte in der ersten Drittelpause beim Sender Magenta Sport hervorgehoben, wie zufrieden er mit den Leistungen seiner Spieler ist. Es sei außergewöhnlich, wie es die Mannschaft immer wieder schaffe umzuschalten, sagte er und sprach damit den Wechsel zwischen Liga und Champions Hockey League (CHL) an. Die Münchner sind ja das einzig verbliebene deutsche Team in der CHL, in der kommenden Woche bestreiten sie das Viertelfinal-Hinspiel gegen Djurgarden Stockholm. Dieses erfolgreiche Hin und Her "ist schon eine Kunst", sagte Winkler.

Der EHC-Manager äußerste sich auch zu der Diskussion um die mögliche Reduzierung von Ausländerstellen in der DEL. Die Münchner, die eine hochprofessionelle Nachwuchs-Akademie hinter sich wissen, hätten nichts dagegen. Ihm gehe das Herz auf, wenn er junge deutsche Spieler wie John-Jason Peterka, Justin Schütz oder Maximilian Daubner sehe, sagte Winkler. Er wisse aber auch, das jeder Standort das anders sehe. Das, betonte er, müsse man so akzeptieren.

Die Abwesenheit von Don Jackson war natürlich auch ein Thema in Ingolstadt. Ehliz sagte hinterher, Jackson habe "schon ein bisschen" gefehlt. Die Verantwortung für die Niederlage sah er aber einzig und allein bei den Spielern. Es war "das Problem von uns, dass wir aufgehört haben, Eishockey zu spielen", schimpfte er. Bis zum Donnerstag wird Steve Walker auch das Münchner Training in dieser Woche leiten, dann kehrt Jackson zurück - pünktlich zum Spitzenspiel gegen den Zweiten Straubing am Freitag. Da ist nach der wilden Partie in Ingolstadt besondere Aufmerksamkeit gefragt. Die Straubinger hatten im Oktober nicht nur die Münchner DEL-Startrekordserie nach elf Siegen gestoppt, sondern dem EHC mit dem 5:1 auch die deutlichste Niederlage der Saison beschert.

© SZ vom 26.11.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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