Eishockey:"Dann reicht es nicht"

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Wenn auch tapfere Gegenwehr nichts hilft: DEB-Nationalspieler Daniel Pietta (rechts) beim 2:8 gegen den Russen Alexej Wasilewski. (Foto: Klaus Rainer Krieger/imago)

Nach Jahren des Aufschwungs stößt das Nationalteam beim Deutschland Cup ohne NHL-Profis an Grenzen.

Von Johannes Schnitzler, Augsburg

Tony Granato und Chris Chelios schlenderten durch die Mixed Zone, mit einem Pappbecher voll Kaffee in der Hand. Die beiden sahen unverschämt fit aus in ihren taillierten Hemden. Die NHL-Veteranen, 53 und 55 Jahre alt, werden das Team USA im Februar als Trainerduo zu den Olympischen Spielen nach Südkorea führen. Beim Deutschland Cup in Augsburg verloren sie gegen die Slowakei (1:2) und gegen Russland (2:5), ehe sie am Sonntag im Spiel um Platz drei auch der deutschen Eishockey-Auswahl 1:5 (0:1, 1:3, 0:1) unterlagen. Bis Pyeongchang bleiben ihnen aber noch drei Monate Zeit.

Stellen sie sich eben ein neues Team zusammen. Moritz Müller hatte dafür keinen Blick. Als Granato und Chelios durch die Mixed Zone zogen wie zwei Kreuzfahrt-Touristen übers Promenade-Deck, sollte der Kölner Verteidiger gerade die generelle Entwicklung des deutschen Eishockey-Nationalteams unter dem Bundestrainer Marco Sturm bewerten. Müller sagte: "Generell ist die Entwicklung sehr gut. Ich glaube, da kann man nach zwei Spielen hier nichts abkratzen." Die Weltmeisterschaft 2016 in Russland, als das DEB-Team erstmals seit 2011 wieder ein Viertelfinale erreichte, das erfolgreiche bestandene Olympia-Qualifikationsturnier, die Heim-WM in diesem Mai in Köln: "An diese Spiele werde ich mich mein ganzes Leben erinnern", sagte Müller. An das 2:8 gegen Russland und das 0:3 gegen die Slowakei beim Deutschland Cup 2017 eher nicht.

Es waren zwei Spiele, die Marco Sturm zeigten, dass er keine Auswahl besitzt wie sein ehemaliger NHL-Zimmerkollege Granato. "Erkenntnisse sind wichtiger als Ergebnisse", sagte der Bundestrainer tapfer. Aber diese eine zentrale Erkenntnis war für ihn nicht neu, der Mannheimer Stürmer Marcus Kink formulierte sie so: "Wir haben in Deutschland leider nicht genug Spieler, dass wir wie die Russen zwei Mannschaften stellen könnten." Während Russland B/C in Augsburg mit einem 4:2-Sieg gegen die Slowaken den Turniersieg holte (durch vier Treffer eines gewissen Aleksej Makejew), testete Russland A beim Karjala Cup mit Gastgeber Finnland, Kanada, Tschechien, Schweden und der Schweiz seine Form.

Sturm steht unterdessen vor der wohl kniffeligsten Aufgabe seiner Amtszeit: Nach zwei Jahren des Aufschwungs muss er ohne die deutschen Profis aus der NHL, die ihren Vertragsangestellten keine Freigabe für das olympische Turnier erteilt, eine wettbewerbsfähige Mannschaft basteln - ohne Philipp Grubauers Ruhe im Tor, ohne Dennis Seidenbergs Souveränität in der Abwehr, ohne das offensive Genie eines Leon Draisaitl. Während den Top-Nationen bei Olympia 20 oder 30 Spieler fehlen werden, sind es bei den Deutschen vielleicht fünf oder sechs. Aber was für welche.

"Wir haben immer noch genügend Leader, die das Kommando übernehmen können", sagt Sturm. In Augsburg fehlten davon allerdings die meisten. Sturm gönnte den Stammspielern Patrick Reimer, Christian Ehrhoff, Felix Schütz und Marcel Goc eine Pause. Er wollte sehen, wer sonst in eine Führungsrolle wachsen könnte. "Es geht hier um eine taktische Auffrischung. In den Klubs spielen die Spieler doch alle andere Systeme", sagte Sturm, "vielleicht waren das ein bisschen viele Informationen." Bereits im Januar muss er seinen Kader nominieren, bis dahin hat er keine weitere Gelegenheit für gemeinsame Fortbildungen. Die Zeit ist knapp.

Sturm führte in Andreas Eder, Stefan Loibl und Maximilian Kammerer drei 21-Jährige aufs internationale Parkett. "Sie haben hier sicher einiges gelernt", sagte Sturm. Ob sie schon Alternativen für Olympia sein können? Oder die Krefelder Daniel Pietta, 30, und Marcel Müller, 29, neben Torhüter Dennis Endras der einzige mit Olympia-Erfahrung? Beide zählen seit Jahren zu den konstantesten Stürmern in der Deutschen Eishockey Liga. Beide dürfen aber auch jener Gruppe von Spielern zugerechnet werden, von denen Sturm sagt, sie seien zwar in der Liga top, könnten ihre Leistung aber nicht international bestätigen. Bei den jüngsten Turnieren verzichtete er auf sie. Nun holte er sie zurück. Pietta schoss gegen die Russen ein Tor, Müller traf gegen die Slowaken den Pfosten. Ob das reicht in einer Olympia-Gruppe gegen Schweden und Finnland?

Gegen Russland "in die Waschmaschine gekommen"

"Alles, was ich tun kann, ist, in der Liga gut zu spielen", sagt Müller. "Wenn ich dann dabei bin, freue ich mich. Wenn nicht, drücke ich der Mannschaft die Daumen." DEB-Präsident Franz Reindl sagte am Sonntag vor dem Spiel gegen die USA, man habe gesehen, "wenn wir nicht komplett komplett sind, sondern nur komplett, dann reicht es nicht." Gegen Russland könne man "schon mal in die Waschmaschine kommen". Gegen insgesamt enttäuschende Amerikaner packten Frank Mauer, Brent Raedeke, Brooks Macek, Thomas Holzmann und Yannic Seidenberg den Sieg in trockene Tücher. "Die Mannschaft hat Charakter gezeigt", fand Reindl. Er glaubt: Bei Olympia wird "ein anderer Stern aufgehen". Eine Kaffeefahrt wird Olympia wohl dennoch nicht.

© SZ vom 13.11.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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