Einzelkritik:Coman, der Barbar

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Ungewohnte Hektik bei Neuer, untergetauchte Stürmer, die zur rechten Zeit auftauchen, und eine Wuchtbrumme, die das Spiel prägt - der FC Bayern in der Einzelkritik.

Von Christof Kneer und Benedikt Warmbrunn

Manuel Neuer: Trug sein eisblaues Trikot, eigentlich ein Zeichen dafür, dass er mit der Ruhe und Kälte des ewigen Eises auftritt. Vor dem ersten Gegentor verließ er sein Tor jedoch mit der Hektik, mit der sonst eine Eisscholle vor der Sonne zu fliehen versucht. Bayerns erstaunliche Fehleranfälligkeit begann bei der Nummer eins. Besann sich anschließend aber wieder auf die Verpflichtung, Manuel Neuer zu sein. Hielt Bayern kurz vor der Pause im Spiel. Und später nochmal. Und dann nochmal.

Philipp Lahm: Ist zwar immer noch Philipp Lahm, was sehr für ihn spricht; ist allerdings keine 28 mehr, wofür er nichts kann. Bemerkbar macht sich's trotzdem manchmal: Man kann von ihm nicht mehr verlangen, dass er über die rechte Seite das Spiel aufreißt wie in den Champions-League-Finals 2012 und 2013. Spielte allerdings - das ist der Vorteil von Routine - sauberer als seine mitunter doch arg unsauberen Nebenmänner. Versuchte in der zweiten Hälfte, rechts außen, rechts innen und rechts in der Mitte zu spielen. Aber wo immer er auch war, war lange Zeit auch ein Turiner. Dann wurden die Gäste müde, und Lahm wurde jünger und jünger und spielte am Ende fast Mittelstürmer.

Joshua Kimmich: Cleveren Italienern entgeht nicht, wenn ein 21-Jähriger auf einer ungewohnten Position spielt. Die Turiner brachten Kimmich einige Male in unangenehme Situationen, in die ihn ein Stürmer von Werder Bremen nicht bringt. Seinen verunsicherten Vorder- und Nebenleuten Sicherheit geben und nebenher noch das Spiel aufbauen - das war ein bisschen viel verlangt. Wurde dann aber, anders als im Hinspiel, zum Ende hin immer souveräner.

Medhi Benatia: Kehrte als erster der sogenannten gestandenen Innenverteidiger aus dem Lazarett zurück, kränkelte aber doch noch sehr. Ein paar routinierte Aktionen verdeckten nicht, dass seine Gedanken und Füße noch kein Champions-League-Tempo haben. Musste zur Pause raus, und das war keine Fehlentscheidung.

David Alaba: An normalen Abenden so zuverlässig wie spektakulär, weswegen er 2013 und 2014 Österreichs Sportler des Jahres geworden war, als Fußballer im Land der Skifahrer. Dieser Abend jedoch war kein normaler Abend. War als Linksverteidiger allenfalls spektakulär unzuverlässig, bei beiden Gegentoren beteiligt. Nach diesem Spiel sind die Chancen des Skirennfahrers Marcel Hirscher gestiegen, seinen Titel als Österreichs Sportler des Jahres zu verteidigen. In der Innenverteidigung zumindest wieder etwas zuverlässiger.

Xabi Alonso: Verfügt über einen Fuß, der auch als Slow-Motion-Taste funktioniert. Was gegen Werder Bremen zu wunderbaren Spielverlagerungen führen kann. Gegen Juventus verstärkte es die Probleme im Spiel des FC Bayern. Sprintete lediglich einmal, in der 60. Minute. Da wartete an der Seitenlinie Kingsley Coman, um für ihn eingewechselt zu werden.

Arturo Vidal: Das Hinspiel in Turin, bei seinem vorigen Klub, war sein erster großer Abend im Trikot des FC Bayern. War aggressiv, zweikampfstark, prägte das Spiel wie sonst keiner. Auch im Rückspiel war er aggressiv, warf sich lustvoll in jeden Zweikampf. Quantitativ gut im Spiel, qualitativ am Anfang noch ausbaufähig. Mit zunehmender Spieldauer wieder die nicht zu übersehende Wuchtbrumme, als die ihn die Bayern aus Turin weggelockt hatten. Leitete den Ausgleich ein mit einer Balleroberung. Vidal war jetzt: der Boss.

Douglas Costa: Spielte auf der rechten Seite, auf der er nicht der einfallsreiche Flanker ist wie auf der linken. Sondern bloß ein Querläufer und Dribbelkünstler. Dribbelte sich aber immer wieder in einem Gegenspieler fest. Durfte in der zweiten Halbzeit auf seine bevorzugte linke Seite, auf der er sich mit tausend Pässen, Flanken und Läufen gegen das Aus wehrte. Einige Hundert führten ins Leere, zielführend war aber in der 73. Minute die Idee, präzise auf Lewandowski zu flanken, der auch eine ordentliche Idee hatte. Er köpfte das 1:2.

Neue Hoffnung: Robert Lewandowski überwindet Buffon zum 1:2. (Foto: Tobias Schwarz/AFP)

Franck Ribéry: Hat zuletzt verlauten lassen, dass er gerne bald seinen Vertrag verlängern möchte. Auch, so scherzte er am Tag vor dem Spiel mit dem Mediendirektor, bis zum Jahr 2050. Wäre dann 67 Jahre alt. Gab am Mittwoch zunächst einen Eindruck, wie er vor dem Eintritt zum Rentenalter spielen könnte. Aktivierte im Schlussspurt wieder die faszinierende Energie von 2013, allerdings weiterhin mit der Fitness von 2016. Kam selten am Gegner vorbei, sorgte trotzdem für Wirbel. Als er nicht mehr vorbei kam und für keinen Wirbel mehr sorgte, wurde er ausgewechselt.

Thomas Müller: Eines dieser Spiele, in denen er ewig untertaucht, um dann plötzlich eine nie zuvor gesehene Bewegung zu zeigen - und schon kippt das Spiel. Wartete an diesem Abend bis zur letzten Minute. Dann rettete er seine Elf mit seinem Kopfball in die Verlängerung. Der Müller halt.

Robert Lewandowski: Machte es Müller gleich und tauchte unter. Bis zur 73. Minute, in der Costa präzise auf ihn flankte. Dann demonstrierte er, warum er zurzeit als einer der besten Stürmer der Welt gilt. Braucht eben nicht mehr als eine Chance. Hatte aber auch nur diese eine Chance.

Juan Bernat: Kam nach der Pause für Benatia. Für ihn sprach, dass er keinen Fehler machte, der zu einem Gegentor führte. Seine Zähigkeit tat der Defensive gut.

Kingsley Coman: War sehr aktiv, mitunter ins Hyperaktive lappend. Drehte 100 Kringel, blieb am Anfang ein Dutzend mal hängen, machte aber tapfer und unverzagt weiter und weiter und weiter. Coman, der Barbar, darf für sich geltend machen, dass es vor allem seine Haken und Dribbler und Schnibbler waren, die in der Juve-Abwehr spät ein Durcheinander erzeugten. Ganz besonders bei seiner Flanke zum Ausgleich. Und bei seinem Tor zum 4:2.

Thiago: Kam in der 101. Minute. Durfte die nicht unwesentliche Kleinigkeit des entscheidenden dritten Tores beitragen.

© SZ vom 17.03.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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