Eichstätt:Den Moment genießen

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"Raushauen was da ist": Der VfB empfängt Hertha BSC Berlin im DFB-Pokal.

Von Thomas Hürner

Markus Mattes hat sie schon einmal erlebt, diese besondere Woche im Leben eines Amateurfußballers: Das beschauliche Vereinsheim wird zur Mixed-Zone, auf dem Trainingsgelände tummeln sich auf einmal ganz viel Menschen mit Fernsehkameras und Mikrofonen, in der Region scheint es kein anderes Gesprächsthema mehr zu geben. Im Laufe dieser Woche steigert sich das quasi exponentiell, alles fiebert hin auf ein Spiel, das im Umfeld dann gerne "Jahrhundertspiel" genannt wird. Und das für den Gegner lediglich eine sogenannte Pflichtaufgabe darstellt.

Markus Mattes, 44, ist Trainer des VfB Eichstätt, der Regionalligist aus der oberbayerischen Kreisstadt empfängt am Sonntag Hertha BSC Berlin in der ersten Runde des DFB-Pokals. "Der Trubel ist sogar noch ein bisschen mehr geworden", sagt Mattes, und das sei "ziemlich atemberaubend" angesichts der Tatsache, dass dieser Trubel schon im August 2003 enorm war. Damals stürmte Mattes im Trikot des TSV Aindling, Bayernliga, ein kleiner Markt im Landkreis Aichach-Friedberg, aber eine der spannendsten Amateurmannschaften in jenen Jahren. Es war immer viel los im Stadion am Schlüsselhauser Kreuz, es gab auch immer ansprechende Fußballspiele zu sehen, aber diesmal hieß der Gegner eben Schalke 04, trainiert vom großen Jupp Heynckes. Rund 8000 Menschen kamen, dicht gedrängt an den Banden und auf der kleinen Tribüne. "Das vergisst du dein Leben nicht", sagt Mattes, "ganz egal, ob das Fußball-Wunder geschieht oder nicht." Es geschah nicht, Schalke siegte 3:0.

Jetzt will Mattes es also wieder versuchen, gegen den selben Klub übrigens, den der TSV Aindling im Jahr darauf zugelost bekam: Hertha BSC siegte mit 1:0, ein später Treffer von Andreas "Zecke" Neuendorf verhinderte das Pokalwunder. Mattes war da aber nicht mehr dabei, er wechselte kurz vorher zum FC Ingolstadt.

Da trifft es sich eigentlich ganz gut, dass dem VfB Eichstätt erst am vergangenen Wochenende genau das widerfahren ist, was man sich im Spiel gegen die Berliner selbst erhofft: Die Eichstätter scheiterten in der ersten Runde des Toto-Pokals am Landesliga-Aufsteiger TV Aiglsbach. Ein nachlässiger Favorit auf der einen, ein hochmotivierter Außenseiter auf der anderen Seite, dazu ein paar ungünstige Wendungen im Laufe des Spiels - und schon hatte man mit 2:1 verloren. "Für uns ist das schon ein kleiner Hoffnungsschimmer", sagt Mattes, der aber sogleich auf einen nicht unwesentlichen Umstand verweist: "Natürlich wird der Klassenunterschied am Sonntag noch höher sein."

Die Eichstätter, das muss man wissen, verstehen sich selbst in der Regionalliga Bayern eher als Außenseiter. "Wenn es da eine Budget-Tabelle gäbe, dürfte der VfB immer auf dem 18. und letzten Tabellenplatz sein", sagte VfB-Vorstandsmitglied Fritz Schaeffler dem Bayerischen Rundfunk. Der Aufstieg in die höchste Spielklasse des Freistaats gelang vor zwei Jahren, die vergangene Saison war die erfolgreichste der Vereinsgeschichte: Platz zwei hinter dem FC Bayern München II, auf einmal war Eichstätt als beste Amateurmannschaft Bayerns für den DFB-Pokal qualifiziert. Aktuell steht die Mannschaft von Trainer Mattes auf einem soliden achten Platz, mit einem Spiel weniger als die meisten Konkurrenten. Das gibt sogar Lob vom bayerischen Innenminister Joachim Herrmann (CSU): Es sei "phänomenal", was Eichstätt da erreicht habe, "mit dem Etat, wirklich eine tolle Leistung!" Herrmann hat sein Kommen zum Spiel gegen Hertha BSC versprochen.

Die Investitionen in die Infrastruktur konnten aber nicht ganz Schritt halten mit dem sportlichen Aufschwung des Klubs, auch deshalb werden in Eichstätt größere Ambitionen kategorisch abgelehnt. Der VfB eines Tages in der dritten Liga? "Utopie", erklärte der Sportliche Leiter Johann Benz im Dezember dem Donaukurier. Auch für den DFB-Pokal ist das eigene Stadion zu klein, das Spiel gegen Berlin muss im rund 30 Kilometer entfernten Ingolstadt ausgetragen werden. "Es ist enttäuschend, dass Amateurvereine inzwischen riesige Anforderungen erfüllen müssen", sagt Mattes. Eine Atmosphäre, wie er sie einst als Spieler in Aindling erlebte, sei in einem fremden Stadion nicht zu erwarten.

Auch von den Einnahmen im sechsstelligen Bereich könnte den Eichstättern weniger bleiben als erhofft. Das Stadion in Ingolstadt kostet Miete, statt der zwei Security-Mitarbeiter in der Regionalliga hat der VfB für das Pokalspiel derer 140 engagieren müssen. Außerdem muss der Klub einen Teil der Erstrunden-Prämie von 175 500 Euro an den Bayerischen-Fußballverband (BFV) abtreten.

Von derlei Dingen will sich Mattes aber nicht ablenken lassen, er will "den Moment genießen und dann mal sehen, was dabei rumkommt". Aber wie soll eigentlich etwas rumkommen gegen einen Bundesligisten, bei dem der Finanzinvestor Lars Windhorst erst kürzlich 125 Millionen Euro hineingepumpt hat? "Raushauen, was da ist", sagt Trainer Mattes, "und dann hat man als Außenseiter immer eine kleine Chance." Anders ausgedrückt: Der VfB Eichstätt will am Sonntag ein bisschen wie der TV Aiglsbach sein.

© SZ vom 10.08.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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