Dritte Liga:Schmerzvolle Sachlichkeit

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Gegen den neuen Tabellenführer Uerdingen versäumen die Löwen in Führung zu gehen und verlieren 0:1. Schon zum dritten Mal muss 1860 ein entscheidendes Gegentor in der Schlussphase hinnehmen.

Von Markus Schäflein

Da stand also Stefan Aigner, der strahlende Sieger, und strahlte nicht. Der langjährige Spieler des TSV 1860 München hatte soeben mit seinem neuen Klub, dem KFC Uerdingen, 1:0 (0:0) durch ein Tor in der Nachspielzeit gewonnen, "Spitzenreiter, Spitzenreiter" riefen die Anhänger des neuen Drittliga-Tabellenführers im Hintergrund. "Es gibt Schöneres", sagte Aigner. "Es war eines der unangenehmsten Spiele für mich. Ich glaube, ein Unentschieden wäre gerecht gewesen." Aber die Saison ist ja noch jung, also ergänzte Aigner: "Es sind noch 34 Spiele, da wünsche ich den Löwen 34 Mal die Punkte." Woraufhin ein Krefelder Journalist ihn rügte: "33 Mal!" Ob es denn nur noch 33 Spiele seien, fragte ihn Aigner, woraufhin er informiert wurde: "Wir spielen ja noch einmal gegeneinander."

Wenn so viele Emotionen in einem herumhüpfen wie in diesem Moment in Stefan Aigner, kann man schon mal durcheinanderkommen. Der Mittelfeldspieler erlebte an jenem Nachmittag, was ihm in seiner zweiten Episode bei 1860 in der Saison 2016/17 nicht gegönnt war: einen lebendigen und verwurzelten Klub, eine kämpfende Mannschaft, ein tosendes Grünwalder Stadion, eine Identität. Nach dem Absturz aus der zweiten Liga in die vierte blieb er nicht, konnte er nicht bleiben, selbstredend sowohl aus sportlichen wie auch aus finanziellen Gründen. Nun spielt er beim KFC, bei dem ein russischer Investor anschafft und der in Duisburg, in einem fremden Stadion, zur Miete spielt. Wer Parallelen zum alten 1860 findet, darf sie behalten, denn es gibt ja nun das neue 1860.

Die enttäuschten Löwen Stefan Lex, Simon Lorenz und Nico Karger (v.l.n.r.). (Foto: Sebastian Widmann/Getty Images)

Bei den Uerdingern spielte auch der Weltmeister Kevin Großkreutz mit, der sich als Rechtsverteidiger mitreißende und vom Publikum akustisch untermalte Duelle mit dem früheren Burghausener Benjamin Kindsvater lieferte. Kindsvater links, der aus Schweinfurt gekommene Marius Willsch rechts - 1860-Trainer Daniel Bierofka hatte die offensiven Flügel neu besetzt und gönnte dem formsuchenden Stefan Lex und dem in Osnabrück indisponierten Nico Karger eine Pause. Und ziemlich viel von dem, was sich Bierofka ausgedacht hatte, klappte: "Die Struktur war gut", meinte er, und der echte Löwe redete fast mit sich selbst, als er erklärte: "Ich muss die Inhalte sehen und das sachlich bewerten, auch wenn es heute wehtut." Und ganz sachlich betrachtet ist es ja so: "Es gibt diese Tage, da machst du kein Tor, und dann kriegst halt hintenraus noch eins."

Chancen, um in Führung zu gehen, hatte seine Mannschaft in der Tat genug gehabt. Erst drei Mal durch den erneut starken Angreifer Adriano Grimaldi, der aus spitzem Winkel an Torhüter Rene Vollath (2.) und mit seinem Schuss an Verteidiger Christopher Schorch (25.) scheiterte sowie mit einem Lupfer das Tor knapp verfehlte (32.). Und dann kam die 44. Minute, als Grimaldi zeigte, dass er seine Hände nicht nur beim Torjubel vors Gesicht hält, sondern auch nach Fouls, um anzuzeigen, dass er sich weh getan habe. Es gab Freistoß, 35 Meter vor dem Tor. Philipp Steinhart schoss direkt, traf die Querlatte, der Ball prallte zu Simon Lorenz, der aus sieben Metern auch an der Querlatte scheiterte. Dann war die erste Hälfte vorbei, in der 1860 mehr Chancen, Uerdingen mehr Ballbesitz und die bessere Spielanlage hatte.

Adriano Grimaldi zwischen dem früheren Sechzigspieler Stefan Aigner (links) und Weltmeister Kevin Großkreutz. (Foto: Sven Leifer/imago)

In der zweiten Hälfte drückte Sechzig energisch auf die Führung, erneut sorgten Grimaldi (71.) und Steinhart per Freistoß (89.) für die besten Möglichkeiten. Und dann setzte auf der Gegenseite der eingewechselte Lucas Musculus den ebenfalls eingewechselten Ali Ibrahimaj per Doppelpass ein, Ibrahimaj durfte unbehelligt Richtung Strafraum ziehen und ins rechte untere Toreck treffen - 0:1 in der dritten Minute der Nachspielzeit. Fünf Sechziger, mithin fast die komplette Defensive, sahen da ganz schlecht aus.

"Wir dürfen nicht nachlassen und müssen zusammenarbeiten, bis abgepfiffen ist", sagte der beteiligte Innenverteidiger Felix Weber - eine Erkenntnis, die nicht neu war: Unter der Woche hatte 1860 beim VfL Osnabrück den 2:2-Ausgleichstreffer in der vierten Minute der Nachspielzeit hinnehmen müssen, und schon beim 0:1 in Kaiserslautern zum Auftakt war der Gegentreffer in der Schlussphase gefallen. "Lautern so spät, Osnabrück so spät, heute wieder so spät. Das müssen wir langsam wegkriegen", stellte Kapitän Weber fest.

Bierofka vermisste in jener einen, späten Szene gegen Uerdingen "den Biss, um das zu klären", erinnerte aber auch an das zuvor Gesehene: "Wir müssen lernen, dass wir kaltschnäuziger vor dem Tor werden." Toreschießen üben können die Löwen nun in der ersten Toto-Pokal-Hauptrunde gegen den Siebtligisten SV Dornach (Mittwoch, 18.30 Uhr in Heimstetten), wobei vornehmlich Spieler aus der zweiten Reihe zum Einsatz kommen werden. Die erste Formation tritt am Sonntag (18.30 Uhr) an der Grünwalder Straße in der ersten DFB-Pokal-Hauptrunde gegen den Zweitligisten Kiel an. Das bedeutet für die Löwen nach vier Punkten aus vier Spielen erst einmal eine Pause vom neuen Ligaalltag. In diesen beiden Spielen darf Stefan Aigner gänzlich ungerügt die Daumen drücken.

© SZ vom 13.08.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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