Dritte Liga:Aggressionen mit Sachertorte

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Liebt starke Gesten und ein gewisses Pathos: Tomas Oral gilt als extrovertierter Trainer, der auch beim FC Ingolstadt nicht bei allen beliebt ist. (Foto: Sven Leifer/foto2press/imago)

Ingolstadts Trainer Tomas Oral hat ein Image als Provokateur und schlechter Verlierer. Dabei ist er ein vielschichtiger Coach, der sich bei seinen Spielern auch durch ungewöhnliche Maßnahmen Respekt verschafft.

Von Christoph Ruf

Dass Geisterspiele keine Geisterspiele sind, merkt man derzeit sehr gut bei Auswärtspartien des FC Ingolstadt. Gut 100 Menschen sind ja auch zu Corona-Zeiten auf den Tribünen zugelassen: Journalisten, Sanitäter, Ordner - und zwei, drei Dutzend Menschen, die sicher eine Funktion im Klub-Organigramm haben, noch sicherer aber glühende Fans ihres Vereins sind. Und egal, ob in Saarbrücken, in Mannheim oder Meppen: Wenn der FCI dort spielt, sind es diese Menschen, die zur Heimelf halten, die sich nach wenigen Minuten auf den gegnerischen Trainer einschießen - und veranschaulichen, wie viele Variationen es für den Befehlssatz "Halt den Mund!" gibt. Denn Tomas Oral ist und bleibt ein Coach, der polarisiert.

Die, nun ja, extrovertierte Art und Weise, wie Oral das Ingolstädter Team führt, mag ein Grund dafür sein, warum er derart die Aggressionen auf sich zieht. Hinzu kommt sein Image als Provokateur und schlechter Verlierer, das nach dem unglücklichen Scheitern im Relegationsspiel gegen den 1. FC Nürnberg vorigen Sommer forciert wurde, als Oral im Kabinengang seine ganze Wut rausgelassen haben soll. Zur Wahrheit gehört allerdings auch, dass sich Oral wenige Tage später beim Club entschuldigt hatte. Und man kann es auch durchaus bewundernswert finden, dass er alle teils sehr deutlich unter der Gürtellinie liegenden Beleidigungen scheinbar emotionslos hinnimmt. Wortgefechte mit gegnerischen Fans vermeidet er stoisch.

Beim FSV Frankfurt schickte Oral seine Profis nach einer Niederlagenserie in eine Autowaschanlage

Der Mann ist überhaupt deutlich vielschichtiger als es die Leute wahrhaben wollen, die meinen, dass seine löchrigen Jeans doch alles über Oral aussagten - eine gerne gelesene Behauptung in Fan-Foren des jeweiligen Gegners. Fraglos liebt Oral allerdings starke Gesten und ein gewisses Pathos. Sein Café in Frankfurt heißt "Café Leidenschaft", es soll dort eine gute Sachertorte geben.

Als Oral 2016 mal wieder den FSV Frankfurt übernahm, dem er insgesamt sechs Jahre als Spieler und sieben Jahre als Trainer der ersten und zweiten Mannschaft die Treue hielt, schickte er die verunsicherten Profis direkt in eine Autowaschanlage - sie sollten dort den Staub ihrer Niederlagenserie "wegwaschen". Es sind Maßnahmen, die ein bisschen aus der Zeit gefallen wirken. Interessanterweise gab es im FSV-Kader damals aber gar nicht so wenige Spieler, die die Aktion als einprägsam und produktiv empfunden hatten. So ist das oft bei von Oral trainierten Mannschaften: Es gibt Spieler, die ihn großartig finden, und andere lassen kein gutes Haar an ihm.

Als der gebürtige Unterfranke 2016 beim Karlsruher SC anheuerte, war das auch so. Oral hatte als Nachfolger des beliebten Markus Kauczinski von Beginn an einen schweren Stand und musste im Dezember nach wenigen Monaten gehen. Danach kam Mirko Slomka. Der würde zwar nie löchrige Jeans tragen, fremdelte in Karlsruhe aber schon, als ihm die archaischen Umkleidekabinen gezeigt wurden. Noch heute glaubt Oral, dass mit ihm der Klassenverbleib gelungen wäre. Und er glaubt das nicht alleine: Sein damaliger Kapitän, der heutige Rostocker Torwarttrainer Dirk Orlishausen, bricht wie ein paar andere damalige Führungsspieler noch heute eine Lanze für Oral.

Gut möglich, dass Oral bisher häufiger aus atmosphärischen als aus sportlichen Gründen entlassen wurde

Einige ihrer damaligen Kollegen hätten sich hingegen noch strengere Disziplinarmaßnahmen gewünscht, als sie Oral verhängte, wenn er beispielsweise nach einem miserablen Auswärtsspiel in Berlin die Rückfahrt per Bus anordnete und das Flugzeug ohne Mannschaft gen Süden fliegen ließ. Auch der FSV stieg 2017 nicht unter Oral ab, sondern unter dessen Nachfolger Falko Götz, der das Team auf einem Nicht-Abstiegsplatz übernommen hatte. Gut möglich, dass Oral bisher häufiger aus atmosphärischen als aus sportlichen Gründen entlassen wurde. Dass der 47-Jährige ein gutes und abwechslungsreiches Training macht, sprechen ihm jedenfalls nicht mal seine Kritiker ab.

Beim letzten Auswärtsspiel des FC Ingolstadt vor der Winterpause, einem 3:3 in Saarbrücken, war für neutralere Zuschauer als jene mit dem FCS-Schal und zorngeweiteter Halsschlagader auch gut zu erkennen, dass der FCI-Mannschaft die Korrekturen von der Seitenlinie durchaus guttaten. So beorderte Oral Dennis Eckert-Ayensa bei einem Freistoß gestenreich an den "zweiten Pfosten" - prompt kam der Ball dorthin, wo den Stürmer niemand erwartet hatte: Eckert-Ayensa erzielte das zwischenzeitliche 2:1. Wer danach den Blick sah, den Torwarttrainer Alexander Kunze mit einem Ersatzspieler wechselte, weiß, dass sich ein Trainer auch durch solche Maßnahmen Respekt verschaffen kann.

Tomas Oral wird wohl nie irgendwo arbeiten, wo ihn alle Menschen rundherum großartig finden. Das ist derzeit auch beim FC Ingolstadt nicht so. Aber auch dort dürfte es niemanden geben, der behauptet, dass ein anderer Trainer mehr aus dieser Mannschaft herausholen würde. In das Spitzenspiel auswärts beim Tabellen-Dritten TSV 1860 München geht der Klub am Montag jedenfalls als starker Zweiter.

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