Dressurreiten:Wellness für den Lümmel

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Piaffen und Passagen statt über Hindernisse und Gräben: Ingrid Klimke legt ein Jahr als reine Dressurreiterin ein. (Foto: Stefan Lafrentz/Imago)

Einst unberechenbar, nun ein ernstzunehmendes Dressurpferd: Mit Fuchshengst Franz könnten der Vielseitigkeitsreiterin Ingrid Klimke auch Erfolge als Dressur-Spezialistin gelingen.

Von Gabriele Pochhammer, Herning

Eigentlich führt Franziskus ein Doppelleben. Der 14-jährige hannoversche Fuchshengst, von seiner Reiterin Ingrid Klimke kurz "Franz" genannt, ist im Hauptberuf Deckhengst, nur zum Training wird er auf Klimkes Reitanlage bei Münster gefahren. Und weil er sich meist als Pascha fühlt, benimmt er sich zuweilen auch im Dressurviereck so. Aber diesmal, bei der Weltmeisterschaft in Herning/Dänemark, war alles anders.

Franziskus brillierte im Teamwettkampf in den schwierigen Lektionen, flog im starken Trab übers Viereck, lieferte makellose Galoppwechsel und Pirouetten ab. Die Schlüssellektionen Piaffen und Passagen, für die es doppelte Punktzahl gibt, haben sich dank der Nachhilfe von Co-Bundestrainer Jonny Hilberath in den vergangenen Wochen verbessert. So konnte sich Klimke, 2008 und 2012 Mannschaftsolympiasiegerin in der Vielseitigkeit, bei ihrem Debüt im deutschen Dressurteam mit 75,683 Prozent auch mehr als beachtlich aus der Affäre ziehen, eine persönliche Bestleistung für Reiterin und Pferd - auch wenn es in der Teamwertung für das deutsche Quartett schließlich nur für die Bronzemedaille reichte.

Reiterin und Trainerin ganz für sich alleine - das Pferd genießt es, die Nummer eins zu sein

Der starke Auftritt hatte auch damit zu tun, dass Franz zuletzt offenbar eine Art Läuterung durchgemacht hat. Aus dem Lümmel, bei dem man nie sicher war, was er gerade für Flausen im Kopf hat, ist ein loyaler Mitarbeiter geworden. "Die Arbeit mit Jonny hat geholfen", bestätigt Klimke, "denn seitdem ich im Olympiakader bin, darf ich ja auch die Bundestrainer in Anspruch nehmen."

Vor allem das Trainingslager vor der WM war Balsam für Franziskus' Nerven. Auf einem holsteinischen Gutshof hatte sich das deutsche Team mitsamt Trainern und Betreuern auf halben Weg nach Dänemark für ein paar Tage zur letzten Vorbereitung getroffen. Keine Hektik wie im Heimatstall, wo noch viele andere Vierbeiner ihr Recht fordern, sondern jeder Reiter konnte sich auf sein Championatspferd konzentrieren und mit den Bundestrainern Monica Theodorescu und Hilberath noch einmal an den Stellschrauben drehen.

Franziskus hatte seine Reiterin und vor allem die Pferdepflegerin Carmen 24 Stunden lang ganz für sich, endlich war er mal die Nummer eins. Reiter schwören darauf, dass ein Pferd so etwas merkt und genießt. Einmal am Tag wurde gearbeitet, der Rest war Wellness-Programm. "Franz liebt es, zu grasen, spazieren zu gehen oder einfach rumzustehen und seinen Blick in die Ferne schweifen zu lassen", sagt Klimke. "Wir sind richtig zur Ruhe und einander näher gekommen."

Auch in den großen Boxen auf dem Turniergelände in Herning blieb er entspannt, am Viereck konnten ihn keine Kamera und kein Zuschauerklatschen aus der Ruhe bringen. Noch in Aachen hatte er vor dem Einreiten ins Viereck versucht, sich seiner Reiterin zu entledigen, als es ihm zu unruhig wurde. "Mir steckt ja immer noch der Vorwärtsdrang aus dem Busch in den Knochen, ich dachte, ich galoppiere einfach flott nach vorne", sagt Ingrid Klimke. Aber das war die falsche Taktik. Franz drehte erst recht auf. Diesmal brachte Klimke ihr Pferd erst zum Stehen, Franziskus konnte einmal tief durchatmen. "Und von da an war er ganz bei mir."

Wie damals ihr Vater Reiner könnte sich Ingrid Klimke auch bald auf die Dressur konzentrieren

Am Montag im Grand Prix Special soll der Hengst zeigen, dass seine Wandlung nicht nur von kurzer Dauer war. Und vielleicht setzt sich bei den Menschen, die mit ihm zu tun haben, die Erkenntnis durch, dass die Doppelbelastung durch Sport und Zucht für sein Nervenkostüm zu viel ist. "Die meisten Hengste werden während der Turniersaison für ein paar Monate aus dem Sport genommen", sagt Klimke. Auch als Vater gehört Franziskus zu den besten seiner Zunft. Klimkes Tochter Greta wurde an diesem Wochenende mit Franz' Sohn Firlefanz westfälische Meisterin der Jungen Dressurreiter. Er hat bereits 24 Söhne in der Zucht, zwei stehen neben ihm auf der Hengststation in Albachten bei Münster. 1300 Euro kostet es, wenn er eine Stute deckt, damit verdient er mehr als seinen Hafer und ganz gewiss mehr als auf dem Dressurviereck. Aber jeder Turnierauftritt von Franziskus ist auch eine Werbung für seine Gene.

Für Ingrid Klimke, die Franziskus seit neun Jahren ausbildet, bleibt Herning doch nur eine von zwei Optionen. Noch schlägt ihr Herz für das Geländereiten, aber "ich habe mich in diesem Jahr ganz klar für die Dressur entschieden", sagt sie. Deswegen geht sie auch nicht nach Frankreich zur letzten Sichtung für die Vielseitigkeits-Weltmeisterschaft im September, für die sie noch auf der Longlist steht. Ihr Vater Reiner Klimke wechselte bekanntlich ebenfalls nach einer Karriere im Busch ins Viereck und gewann dort insgesamt sechs Olympiamedaillen. "Vielleicht hätte ich mich früher für die Dressur entschieden, aber ich hatte nicht viel Glück mit meinen Pferden. Die wurden immer verkauft, wenn sie gerade gut waren." Dabei nennt sie auch den Namen Damon Hill, den Klimke bis zum Grand Prix-Sieg ausgebildet hatte, auf den die Besitzer dann Klimkes frühere Schülerin Helen Langehanenberg setzten, die mit ihm unter anderem in London olympisches Mannschaftssilber gewann. "Helen hat dann die Früchte geerntet", sagt Klimke und kann die Bitterkeit, die in ihrer Stimme mitschwingt, auch nach mehr als zehn Jahren nicht verbergen.

Talentierte Pferde hat sie freilich auch heute genug im Stall, aus beiden Disziplinen. Vor den Risiken des Geländesports hat die 54-Jährige keine Angst. "Erfahrung gibt auch Sicherheit." Sie setze sich "nur noch auf clevere, sichere Pferde".

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