Dortmund - Darmstadt (17.30 Uhr):"Dieses Stadion kann Spiele gewinnen"

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"Heimat", ein neuer Bildband des Fotografen Reinaldo Coddou H., zeigt die besondere Atmosphäre in Dortmund. Und begnügt sich nicht mit der "Gelben Wand".

Wenn Reportern gerade nichts Besseres einfällt, schreiben sie gerne, der Spieler xy hätte durch sein entscheidendes Tor in der letzten Minute das ganze Stadion zum "Beben" gebracht. Die Wahrheit aber ist: Um die modernen Multifunktionsarenen mit ihren bequemen Sitzplatz-Tribünen und luxuriösen VIP-Logen so richtig zum Wackeln zu bringen, braucht es schon ein wenig schlechte Laune der Natur. Etwa ein veritables Erdbeben, vielleicht auch einen besonders starken Orkan.

Wenn am Sonntag aber die Mannschaft von Borussia Dortmund vor dem Spiel gegen Darmstadt (17.30 Uhr) in ihr Stadion einlaufen wird, wenn sich wieder 24.454 Menschen auf den Stufen der Süd drängeln, wenn sie sich auf der größten Stehplatztribüne Europas gegen die Wellenbrecher pressen, Auf und Ab hüpfen und sich dabei die Seele aus dem Leib brüllen werden - dann, ja, dann wird der alte Beton wirklich vibrieren, dann werden die Tribünen des Stadions wirklich: beben.

"Es ist, als würden hunderte Elefanten über die Tribüne getrieben. Dem Neuling sackt kurz das Herz in die Hose. Der Blick wandert zu Boden. Suchend, ehrfürchtig, ängstlich. Sind irgendwo Risse in den Betonstufen? Tut sich der Boden auf? Ist das Ende nah?": so beschrieb ein Autor des Magazins 11Freunde, noch dazu ein Fan von Dortmunds Erzrivalen Schalke 04, einmal das Erlebnis Westfalenstadion.

Um mehr als eine Ahnung dieses Gefühls zu bekommen, muss man nicht mal selbst auf der Südtribüne gestanden sein. Es genügen ein paar Blicke in den neuen Bildband des Fotografen Reinaldo Coddou H. Der in Santiago de Chile geborene, in Bielefeld aufgewachsene und in Berlin und Buenos Aires lebende Mitgründer des Magazins für Fußballkultur 11 Freunde scheint sich zur Lebensaufgabe gemacht zu haben, Stadien begreifbar zu machen als das, was sie sind: Tempel des Fußballs, mythische und mystische Sehnsuchtsorte und die Heimat von Spielern und Fans.

Die "Mailänder Scala unter Deutschlands Fußballstadien"

"Heimat - Zuhause im schönsten Stadion der Welt" (erschienen bei 'Spielmacher in der Edition Panorama') heißt also der Bildband über das größte Stadion Europas, das Franz Beckenbauer, die Ikone des FC Bayern, schon bei der Eröffnung 1974 ehrfürchtig als "Mailänder Scala unter Deutschlands Fußballstadien" bezeichnete.

So ein Stadion hatte es in Deutschland bis dahin noch nicht gegeben. Eckig, eng, steile Tribünen, keine Laufbahn. Auf die verzichteten die Stadionväter übrigens 1966 bei Beginn der Planungen vor allem aus finanziellen Gründen. Das schreibt der Historiker und Journalist Jan-Henrik Gruszecki, der die Texte zum Bildband beigesteuert hat.

"Das beste Stadion der Welt", befand die Londoner Times 2009 kurz und bündig. "Dieser Platz wurde für den Fußball und für die Fans erbaut. Jedes Endspiel im Europapokal sollte hier stattfinden." Vor allem die nach dem letzten Ausbau fast 25.000 Zuschauer fassende Südtribüne mit ihrer Gelben Wand hat der heute nach einer Versicherung benannten, aber für Fans bis heute Westfalenstadion heißenden Heimat der Borussen, diesen Ruhm eingebracht.

Doch natürlich ist das Stadion nicht nur die Süd, Coddou hat nicht nur die Gelbe Wand fotografiert. Das wäre auch zu wenig, der Sache nicht gerecht gewesen. Nicht einem Stadion, das wirklich Heimat ist und "das emotionale Wahrzeichen von Dortmund" sei, wie BVB-Präsident Reinhard Rauball sagt. Coddou schaute auch hinter die Kulissen, machte einen Abstecher auf den Toiletten, besuchte die Tribünen am Tag nach dem Spiel.

Das Westfalenstadion sei für alle BVB-Fans "mein Stadion", erklärt BVB-Sportdirektor Michael Zorc im Vorwort. "Ein Stadion, welches einen immer wieder aufs Neue beeindruckt" und mit dem BVB gewachsen sei. Oder, um es ganz kurz und mit den Worten von Geschäftsführer Hans-Joachim Watzke zu sagen: "Dieses Stadion kann Spiele gewinnen."

© SZ vom 27.09.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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