Dortmund - Berlin (15.30 Uhr):Glückliche Monster

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Endlich wieder in Küsschen-Laune: Bei Dortmund und Marco Reus läuft es zu Saisonbeginn schon unerwartet rund. (Foto: Guido Kirchner/dpa)

Obwohl der BVB mit sieben Siegen gestartet ist, verkündet Marco Reus: "Wir sind lange nicht da, wo uns der Trainer sehen möchte."

Von Ulrich Hartmann, Dortmund

Nicht mal ein Traumstart schützt dieser Tage vor kurzfristigen Personalrochaden. Sogar Borussia Dortmund, mit sieben Siegen aus sieben Pflichtspielen optimal in die Saison gestartet, lässt sich vom Transfersturm mitreißen. Mittelfeldmann Kevin Kampl wechselt zu Bayer Leverkusen, während vom FSV Mainz 05 am Samstag der Linksverteidiger Joo-Ho Park verpflichtet wurde. Der Trainer Thomas Tuchel kennt Park aus seiner Mainzer Zeit und hält es offenbar für notwendig, zum Linksverteidiger Marcel Schmelzer eine vergleichbar starke Alternative zu besitzen. Etwa drei Millionen Euro soll dem BVB das wert sein.

Sieben Siege, 27 Treffer und ein neuer Trainer, der nach wenigen Wochen Amtszeit berichtet, die Mannschaft befinde sich bereits in einem "Flow" - viel besser hätte der Saisonauftakt für Borussia Dortmund und Tuchel kaum gelingen können. Dieser Flow ist für Glücksforscher ein Zustand höchster Seligkeit, aus dem Begünstigte weitere Produktivität schöpfen. Erst vier Tore gegen Gladbach, dann vier im norwegischen Odds, dann wieder vier in Ingolstadt und am Donnerstag sieben wieder gegen die Norweger machen Dortmunds Sturmreihe zu einem gefräßigen - und deshalb glücklichen - Monster. Aber man weiß noch nicht, ob es Understatement oder Großmäuligkeit war, als der Angreifer Marco Reus ausgangs dieser beeindruckenden Serie mitteilte: "Wir sind noch lange nicht da, wo uns der Trainer sehen möchte."

Gündogan findet sich in Tuchels System perfekt zurecht

Tuchel hat aus nahezu jedem BVB-Spieler binnen weniger Wochen viel heraus gekitzelt. Mittelfeldmann Ilkay Gündogan etwa, der den BVB im Sommer eigentlich hatte verlassen wollen, keinen neuen Klub fand und dann (zähneknirschend?) doch seinen Vertrag in Dortmund verlängerte, spielt momentan auf hohem Niveau, weil er Tuchels System als ideal empfindet. "Es ist wie auf mich zugeschnitten", sagt er. Gündogan spielt besonders gern Steilpässe in freie Räume, wo sie von Kollegen erlaufen werden. "Ich versuche, mit einfachen Mitteln meine Mitspieler möglichst gut in Szene zu setzen." Einer der Profiteure, Marco Reus, erklärt das so: "Wir stellen die Räume nicht sofort selber zu, sondern lassen sie auch mal frei, um dann im richtigen Moment zu starten."

Das kommt auch Henrikh Mkhitaryan zupass, der unter Tuchels Vorgänger Jürgen Klopp mehrere unergiebige Phasen durchlitt und beim BVB schon als Auslaufmodell galt. Die Offensivabteilung mit Mkhitaryan und Gündogan, aber auch mit Reus, Shinji Kagawa und Pierre-Emerick Aubameyang verkörpert derzeit eine Spielfreude und Effektivität, die die Erwartungen an die Saison in Dortmund in die Höhe katapultieren. An diesem Sonntag empfängt der BVB um 15.30 Uhr Hertha BSC Berlin zum dritten Saisonspiel. Nach dem 4:0 gegen Gladbach und dem 4:0 in Ingolstadt sind die Erwartungen ähnlich hoch.

Vier Dortmunder stehen in Joachim Löws Kader

Tuchels Traumstart zeigt auch schon in der Nationalmannschaft Wirkung. Für die wichtigen EM-Qualifikations-Spiele am Freitag gegen Polen und am Montag darauf im schottischen Glasgow hat der Bundestrainer Joachim Löw mit Matthias Ginter, Mats Hummels, Ilkay Gündogan und Marco Reus vier Dortmunder nominiert. So viele Nationalspieler stellt im gegenwärtigen Kader sonst nur noch der FC Bayern München. Vom U21-Trainer Horst Hrubesch wurde zudem Julian Weigl berufen.

Für den Trainer Tuchel stellt sich im gegenwärtigen "Flow" seiner Spieler nun vor jedem Spiel die Frage, ob er überhaupt noch detaillierten Einfluss nimmt oder den Flow einfach fließen lässt. "Das ist jedes Mal ein Abwägen", sagt er und entscheidet sich vor dem Spiel gegen Berlin vielleicht doch eher für eine neuerliche Fokussierung. Denn so simpel wie gegen Ingolstadt oder zweimal die Norweger von Odds wird es gegen die Hertha womöglich nicht werden. Dazu wirken die Berliner zu gefestigt. Vor diesem Hintergrund könnte es für die Dortmunder der erste echte Test der Saison werden.

© SZ vom 30.08.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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