Dopingforscher im Fall Pechstein:Auf skeptischer Distanz

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Dopingforscher bleiben bei ihrem Urteil über Pechstein: Sie warten auf die Analyse ähnlicher Blutwerte bei zwei weiteren deutschen Eisschnellläuferinnen.

Thomas Kistner

Während die deutsche Hämatologen-Gemeinde einen Vorstoß zugunsten der wegen Blutdopings gesperrten Claudia Pechstein unternimmt und sogar zu einem gemeinsamen Pressetreff lädt, wahrt die Sportwelt jene skeptische Distanz, die sie bei den erfolglosen Gerichtsgängen der Athletin 2009 gepflegt hatte. Für den Eislauf-Weltverband ISU ist die erneut aufgerührte Frage, ob Pechstein eine Sonderform der Sphärozytose aufweise, durch alle Instanzen geklärt.

Ein Sprecher sagte: "Wir haben im ersten Verfahren sogar selbst auf diese Möglichkeit hingewiesen und Pechstein die Chance offeriert, dass sie ein entsprechendes Blutbild erforschen lassen könne. Sie hat abgelehnt." Auch bei der Berufung vor dem Weltsportgerichtshof Cas sei eine Sphärozytose nicht überzeugend dargelegt worden - "wo ist jetzt der völlig neue Vorgang?"

Die ISU verweist explizit auf ihr Urteil von Juli 2009, das nicht auf Epo-Doping lautete, sondern auf die "Anwendung einer verbotenen Methode des Blutdopings". Dies schließt eine ganze Fülle von Substanzen und Praktiken ein - welche genau, muss in einem Indizienprozess gar nicht geklärt werden. Heute, an der allseits beschworenen Schwelle zum Gendoping-Zeitalter, sähe sich die Dopingfahndung am Ende, könnte sie nicht neue Wege gehen. Oder eben: Umwege über den indirekten Nachweis.

Denn längst weiß im Sport jeder halbwegs informierte Doper, wie leicht Tests zu umgehen sind: Immer mehr Stoffe sind im Labor nicht zu erkennen, bei anderen ist das Zeitfenster der Nachweisbarkeit zu klein, überdies gibt es Maskierungsmittel zuhauf. Da braucht es, wie beim Alkoholtest, Grenzwerte und starke Indizien.

Auch die Nationale Anti-Doping-Agentur (Nada) sieht die Äußerungen der Hämatologen skeptisch. "Ob da Epo im Spiel war", sagt Justitiarin Anja Berninger, "spielt doch in den Urteilen von ISU und Cas keine Rolle. Meines Erachtens muss ihr Fall nur dann neu aufgerollt werden, wenn bewiesen ist, dass ihre Werte weder durch eine verbotenen Substanz noch durch eine verbotene Methode erzielt wurden." Es müsse eine Krankheit oder Anomalie klar belegt werden.

Pechsteins Verteidigungsstrategie stützte sich bisher aber wesentlich auf die Epo-Frage. Schon via Homepage gleich nach dem ISU-Urteil hatte sie versichert, nie mit Epo gedopt zu haben. Gutachter legten dar, dass und warum ihr Blutbild mit Epo-Gaben nicht vereinbar sei. Indes erkannten die ISU wie später der Cas auf eine verbotene "Erhöhung der Transportkapazität für Sauerstoff" - dafür kommt nicht nur Epo in Frage. Blutbildende Effekte sind auch über andere, nicht nachweisbare Substanzen zu erzielen. Diese Varianten spielten in der Debatte bisher kaum eine Rolle, obwohl die einschlägige Wirkung etwa von hormonellen Wachstumsfaktoren unbestritten ist.

Der Dopingexperte Fritz Sörgel sagt: "Wir Pharmakologen und auch die Ärzte wissen über die vielfältigen Nebeneffekte von Substanzen gar nichts." Der Wissenschaftler teilt dazu ein eigenes Forschungsbeispiel mit: "Obwohl in der Literatur nicht klar beschrieben, fanden wir für einen Stoff (G-CSF, eingesetzt bei der Stammzelltransplantation und bei Tumorpatienten - alles andere als ein banaler Stoff) fast eine Verdoppelung der Retikulozyten." Sörgel will das nun rasch publizieren.

Merkwürdige Pressekonferenz

Der Vorstoß der klinischen Blutexperten fällt in eine spannende Zeit. Pechsteins Werte, so wurde im ISU-Prozess konstatiert, fanden unter rund 10000 Blutprofilen von internationalen Topathleten nur eine Entsprechung - und in dem Fall lag ein Befund vor. So einzigartig war das Blutbild bisher, dass am möglichen Befund noch immer gebastelt wird. Nun aber sollen bei zwei weiteren deutschen Eisläuferinnen überhöhte Blutwerte vorliegen.

Dies verlautete nach den Razzien, die im Zuge einer Anzeige im Fall Pechstein von Dopingermittlern zwischen Berlin und Bayern durchgeführt wurden. Laut dpa wies eine Athletin bei einem Trainingstest im Mai 2009 den Retikulozyten-Wert von 3,5 Prozent auf. So viel hatte auch Pechstein im Februar 2009 in Hamar. Der Grenzwert liegt bei 2,4. Die Ermittlungen laufen auf Hochtouren, im Hintergrund baut sich die Frage auf: Sind Pechsteins Werte, die seit Monaten die Fachwelt spalten, plötzlich ansteckend, weil ja nun auch andere deutsche Kufensportler rätselhafte Blutbilder haben?

Fragen stellen Insider auch bezüglich des geplanten Presseauftritts am Montag. Experte Sörgel verweist darauf, dass diese Veranstaltung im Namen der Deutschen Gesellschaft für Hämatologie und Onkologie (DGHO) abläuft: "Dass der Vorsitzende, Herr Ehninger, sich hier für die gesamte wissenschaftliche Gesellschaft äußert, halte ich für problematisch." Irritiert ist zudem Wilhelm Schänzer.

Der Chef des Kölner Dopinglabors stößt sich am vereinnahmenden Tenor der Presse-Einladung, die ihn so ankündigt: "Pechstein wird als Gast (...) für Fragen zur Verfügung stehen. Ebenso hat der Biochemiker (...) Schänzer seine Teilnahme zugesagt". Schänzer: "Ich nehme nicht teil, der Eindruck ist ungünstig. Ich wollte nur hingehen, um mir das anzuhören, es gibt ja angeblich neue Daten, die ich nicht kenne. Aber ich werde bestimmt keine Kommentare dazu abgeben, das möchte ich ganz klarstellen."

© SZ vom 12.03.2010 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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