Doping im Eisschnelllauf:Präsident: "Rufmord"

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Erhöhte Blutwerte, BKA-Ermittlungen, neue Namen, blanke Nerven: Die deutschen Eisschnellläuferinnen kommen nach dem Fall Pechstein nicht zur Ruhe.

Heike Hartmann zitterte und weinte hemmungslos, der Präsident sprach von "Rufmord": Das Bekanntwerden der Namen von zwei deutschen Eisschnellläuferinnen mit erhöhten Blutwerten hat am Rande des Weltcups in Erfurt Wut und Entsetzen in der Deutschen Eisschnelllauf-Gemeinschaft (DESG) ausgelöst. Nach der Durchsuchung bei Claudia Pechstein sowie weiteren 20 Häusern und Dienststellen - darunter eine Arztpraxis am Berliner Olympia-Stützpunkt - war aus Kreisen der Ermittler vom Bundeskriminalamt BKA durchgesickert, dass zwei weitere deutsche Sportlerinnen mit Extrem-Werten getestet worden waren.

Nach dpa-Informationen waren bei Hartmann am 13. Mai 2009 im Trainingslager Mallorca im Rahmen einer Doping-Kontrolle auffällige Retikulozyten-Werte festgestellt worden, die mit 3,5 Prozent weit über dem Grenzwert 2,4 lagen. Neben der 28-Jährigen, die das Olympia-Ticket nur knapp verpasst hatte, waren auch bei Nachwuchsläuferin Bente Kraus erhöhte Werte bekanntgeworden, bestätigte Bundestrainer Markus Eicher in Erfurt. Bei der 20 Jahre alten Berlinerin sollen nach dpa-Informationen im Mai und September 2009 bei NADA-Kontrollen hohe Retikulozyten - Vorläufer der roten Blutkörperchen - gemessen worden sein.

Damit gerieten die Top-Sprints der Deutschen in den Hintergrund. Die Olympia-Zweite Jenny Wolf sicherte sich trotz neuer Schienen unter den Füßen ihre Weltcup-Siege 47 (38,08) und 48 (38,10) und ist nun angesichts von 280 Punkten Vorsprung auf Wang Beixing (China) nur noch theoretisch vom fünften Gesamt-Weltcup abzubringen. "Es ging auf den neuen Schienen schon viel besser als am Vortag. Jetzt freue ich mich auf das Finale in Heerenveen und werde auch dort das neue Material testen", meinte die Berlinerin. Glänzend präsentierte sich auch die Berlinerin Monique Angermüller, die in 1:16,36 ihren ersten Weltcupsieg über 1000 Meter feierte und am Sonntag beim Sieg der Russin Jekaterina Schichowa (1:16,93) Sechste wurde.

DESG-Präsident Gerd Heinze konnte sich über die Erfolge angesichts der aus seiner Sicht von Ermittlern lancierten Informationen gar nicht richtig freuen. "Wer solche Details in die Öffentlichkeit bringt, muss das selbst verantworten", erklärte er. "Ich finde das unintelligent, weil so suggeriert wird, dass strafbare Handlungen begangen wurden", meinte der Verbandschef und sprach von "Rufmord".

Die DESG habe die Anzeige gegen Unbekannt erstattet, "aber die Ermittlungen dürfen nicht einhergehen mit öffentlichem Mobbing", klagte Heinze und kritisierte die Unverhältnismäßigkeit der Mittel: "Wenn Beamte in Anti-Terror-Ausrüstung dort ankommen, dann schießt man mit Kanonen auf Spatzen." Wütend beklagte er: "Das Glas Sekt über unsere Erfolge von Vancouver ist noch gar nicht geleert, da kippt mann schon wieder Essig hinein." Der Verband werde unter Generalverdacht gestellt, die betreffenden Sportler diskreditiert.

"Das Mädel ist dem Nervenzusammenbruch nahe", sagte er über Heike Hartmann, die über 500 Meter nur die Plätze 19 und 23 belegte, über 1000 Meter nicht antrat. Die Inzellerin, deren Wohnungen bei der Razzia durchsucht worden waren, wollte in Erfurt dazu keine Stellung nehmen. Zu einem Zeitpunkt also, als Claudia Pechsteins Sperre noch gar nicht ausgesprochen war. Die Berlinerin kritisierte daher das Vorgehen der Doping-Fahnder und fragt sich, warum in solchen Fällen nicht ein ähnliches Prozedere ablief wie bei ihr.

Für Eicher gibt es einen anderen Grund, warum Hartmann zum Zielobjekt der Doping-Fahnder wurde. Während der Olympia-Vorbereitung in Erfurt im Januar sei sie an einem Morgen zunächst um 8 Uhr von Kontrolleuren der Nationalen Anti-Doping-Agentur NADA getestet worden, drei Stunden später standen Fahnder der Welt-Agentur WADA vor der Tür.

"Da haben Teamchef Helge Jasch und ich nachgefragt, ob dies denn nötig sei. Daraufhin haben die WADA-Leute zurückgezogen. Doch wenige Tage später wurde dies als verweigerte Kontrolle gewertet. Das ist der Wahnsinn, wie Sportler fertig gemacht werden", kritisierte daher der Bundestrainer. "Heike ist Sprinterin. So dumm kann man gar nicht sein, dass man da mit EPO dopt", echauffierte sich der Coach.

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