Dokumentarfilm:"Einer, der zu kurz kam"

Lesezeit: 2 min

Ein schweres Foul beendete die Karriere von Weltmeister Heinz Flohe nach 14 Spielen im Löwentrikot - nun widmet sich ihm ein Film.

Von Christian Bernhard

Der 1. Dezember 1979 ist vielen Menschen in Erinnerung geblieben, die an jenem Tag im Münchner Olympiastadion waren. Der TSV 1860 München traf damals in der Fußball-Bundesliga auf den MSV Duisburg, doch es war nicht das Spiel, das sich im Gedächtnis festsetzte. Es war das brutale Foul von Duisburgs Paul Steiner, der dem damaligen Löwen-Regisseur Heinz Flohe durch einen Tritt auf dessen Standbein Schien- und Wadenbein brach. Das Brechen der Knochen soll damals bis auf die obersten Ränge zu hören gewesen sein. Flohes 14. Spiel im TSV-Trikot war das letzte seiner Karriere, er erholte sich nicht mehr von der schweren Verletzung und verschwand mit ihr aus den Gedanken vieler Fußballbegeisterter. Zu Unrecht.

"Einer, der zu kurz kam", fand Regisseur Frank Steffan und drehte einen Film ("Heinz Flohe - Der mit dem Ball tanzte") über diesen Mann, der 1974 Weltmeister wurde, den 1. FC Köln 1978 als Kapitän zum Double führte, das 1000. Tor in der Geschichte der deutschen Nationalelf schoss, bei der WM 1978 die "Zehn" trug - und trotzdem kaum genannt wird, wenn es um die besten deutschen Spieler jener Zeit ging. Flohes Bedeutung für den deutschen Fußball sei "völlig unterbewertet", findet Steffan, der den Film am Dienstag im "Stadion an der Schleißheimer Straße" in München vorführte. Der Mittelfeldspieler habe das Dribbling in Deutschland perfektioniert und den Übersteiger auf deutschen Plätzen "eingeführt". Flohes prominente Weggefährten, die Steffan für den Film getroffen hat, sehen das ähnlich. Für Franz Beckenbauer war er "einer der besten Techniker der Welt", Toni Schumacher bezeichnete ihn als "echtes Juwel", Günter Netzer als "Brasilianer". Jupp Heynckes sah in ihm einen "Artisten" - wenn er Flohe auf dem Platz beobachtete, fragte er sich stellvertretend für viele: "Was ist das? Das können wir ja gar nicht."

1. Dezember 1979: Heinz Flohe liegt nach einem brutalen Tritt von Duisburgs Paul Steiner auf dem Rasen des Münchner Olympiastadions. (Foto: imago)

Netzer sitzt weltmännisch im Sessel, die Beine elegant überkreuzt, am Handgelenk eine edle goldene Uhr, während er im Film über Flohe spricht. Dieser war als Person das exakte Gegenteil, öffentlichkeitsscheu, introvertiert, ruhig. Er lebte für den Fußball auf dem Platz, nicht für das Drumherum - und spielte, als er noch Profi war, heimlich für den "FC Johnny", eine Thekenmannschaft seiner Kumpels aus dem Kölner Rotlichtmilieu. So unterschiedlich Netzer und Flohe in ihrem Wesen und Auftreten waren, so sehr schätzte ihn Netzer, weil er "ein richtiger Typ" war. Und eine Legende in Köln. Er kam im Geburtsjahr des 1. FC zur Welt und bildete später zusammen mit Wolfgang Overath eines der besten Mittelfeldduos ihrer Zeit: Overath als "Zehner", Flohe als "Achter".

Der Film ist einfach strukturiert, altes Filmmaterial wechselt sich mit Erzählungen von Flohes Wegbegleitern ab. Mehr braucht es auch nicht: Steffan führt einen damit zurück in eine Zeit, in der es laut Flohes Teamkollegen Jürgen Jendrossek drei Umkleidekabinen beim FC gab: "Eine für die Nationalspieler, eine für die normalen und eine für die Arschlöcher." Der Mann, der am wenigsten zu Wort kommt, ist Flohe selbst. Das passt, denn es entspricht seinem Naturell: zurückhaltend, introvertiert, misstrauisch - besonders den Medien gegenüber. Nur einmal trat er im Sportstudio auf, seine knappen Antworten und die Körpersprache gaben unmissverständlich zu verstehen, dass er nur eines wollte: raus aus dem Fernsehstudio. Schnellstmöglich.

YouTube

Die SZ-Redaktion hat diesen Artikel mit einem Inhalt von YouTube angereichert

Um Ihre Daten zu schützen, wurde er nicht ohne Ihre Zustimmung geladen.

Ich bin damit einverstanden, dass mir Inhalte von YouTube angezeigt werden. Damit werden personenbezogene Daten an den Betreiber des Portals zur Nutzungsanalyse übermittelt. Mehr Informationen und eine Widerrufsmöglichkeit finden Sie untersz.de/datenschutz.

Danach sagte er jahrelang alle TV-Anfragen ab, sein Manager konnte ihn nicht einmal zu Autogrammstunden überreden. Medien- und Öffentlichkeitsscheu, aber trotzdem Volks- und Fan-nah: Flohe meisterte auch diesen Spagat. Er war es, der bei der Kölner Meisterfeier 1978 aus eigenem Antrieb die Tore des Italieners öffnete, in dem die Mannschaft feierte.

Nach 104 Minuten in der Welt von Heinz Flohe, der im Juni 2013 nach drei Jahren im Wachkoma verstorben ist, bleibt einzig die Frage: Warum gibt es in Deutschland nicht mehr Sportfilme dieser Art?

© SZ vom 12.11.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: