Die Gewalt im Fußball hat viele Facetten. Das kurze Zähnefletschen des Dortmunder Trainers Jürgen Klopp gegen den vierten Schiedsrichter beim Champions-League-Spiel in Neapel zählt im Kleinen ebenso dazu wie die pyrotechnisch aktiven Düsseldorfer Fortuna-Fans, die im Aufstiegsrausch im Mai 2012 vor dem Abpfiff der entscheidenden Begegnung gegen Hertha BSC (2:2) den Platz stürmten. Die von den Hansa-Rostock-Fans als "Zeckenklatschen" bezeichnete Auseinandersetzung mit den Anhängern des FC St. Pauli war in der Ostseestadt sehr populär, löste dort aber keineswegs eine Debatte über den Umgang mit den Gegnern aus.
Die Initiative "1910 - Museum für den FC St. Pauli" und der sogenannten "Kiezhelden" setzt der Gewalt aber nun "drei magische Tage" unter dem Motto "Fußball & Liebe" entgegen. Auftakt war am Donnerstagabend eine bemerkenswerte Diskussion mit sehr unterschiedlichen Liebhabern des Fußballs, die sich indes erstaunlich weit entgegenkamen.
Da saß der kommunikative Geschäftsführer der Deutschen Fußball Liga (DFL), Andreas Rettig, mit Jan-Henrik Gruszecki zusammen, dem Initiator der Fan-Kampagne "12:12", die sich gegen die Bevormundung durch Politik und Vereine zur Wehr setzt. Der Fernseh-Moderator Gerhard Delling erörterte ebenso wie Carsten Cramer, Direktor Marketing und Vertrieb von Borussia Dortmund, und Bernd-Georg Spieß, Vizepräsident des FC St. Pauli, wie Fans und Vereine trotz teils ungleicher Zielsetzungen auf einen Nenner kommen könnten. Und dabei gab es durchaus überraschende Bekenntnisse - vor allem vom DFL-Mann Rettig.
Der gab zu, die Klubs hätten sich bei den Sicherheitsdebatten nach dem Düsseldorfer Skandalspiel "zu klein gemacht" gegenüber der Politik, die mit allerlei Maßnahmen gedroht hatte. Das sei nicht allein mit den Zahlen der Verletzten zu erklären, sondern womöglich auch damit, "dass viele Vereine am Tropf der Politik hängen". Gruszecki hatte einigen Volksvertretern "teilweise faschistische Züge" bei ihren Sicherheitsplänen vorgehalten.
"Die gucken neidisch nach Deutschland"
Umfragen hätten inzwischen ergeben, dass sich 86 Prozent der Stadion-Besucher sicher fühlen, warf Rettig in die Debatte; mit kleinen Einschränkungen sind es sogar 96 Prozent. Das Magazin Elf Freunde hatte gerade Journalisten aus anderen europäischen Ländern zu Gast. "Die gucken neidisch nach Deutschland", sagte Christoph Biermann aus der Chefredaktion des Blattes.
Denn in Italien sei die Fan-Kultur "kaputt", in Spanien sitze nur noch ein "Operetten-Publikum in den Stadien", auch in England könnten viele Anhänger sich ein Live-Spiel wegen der hohen Preise nicht mehr leisten - auch, weil dort die komplette "Versitzplatzung" der Arenen durchgesetzt worden sei. Auch hierzulande sei inzwischen wegen der Eintrittspreise "ein Teil der Gesellschaft ausgeschlossen", meinte Delling. Wie Rettig fand auch Marketingmann Cramer, dass die Eintrittspreise eines der wichtigsten Themen seien. Man müsse stets berücksichtigen, "was der Verein den Menschen bedeutet", sagte Cramer.
Dass die Gewalt im Fußball medial und politisch eine immer größere Rolle spiele, habe auch mit der weiter gewachsenen Bedeutung des Fußballs in der Gesellschaft zu tun, befanden alle Diskutanten. St. Paulis Vizepräsident Bernd-Georg Spieß ging noch einen Schritt weiter: "Der Verein ist heute der Ort gesellschaftlicher Tradition, während die Politik und die Kirche sich auflösen." Diese "Hektik und Dynamik ist manchmal beängstigend", sagte Carsten Cramer über die immer mächtigere Stellung des Fußballs in den Medien. Daniela Wurbs, Mitglied des FC St. Pauli und der "Football Supporters Europe", möchte nur eins: Der Fußball solle "demokratisch bleiben", damit "das Geld, die Energie und die Liebe" der Anhänger dem Fußball zu Gute kämen. Gäbe es mehr solcher Dialoge wie gerade am Millerntor, stünden die Chancen darauf wohl gar nicht so schlecht.