DFB-Pokal:Krimi mit Nachspiel

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Ein Platzverweis für den Trainer, das späte Comeback der Schalker - doch an einem wilden Pokalabend in Gelsenkirchen steht alles tief im Schatten von rassistischen Beleidigungen gegen Hertha-Profi Torunarigha.

Von Philipp Selldorf, Gelsenkirchen

Platzverweis für beide: Schalke-Trainer Wagner bei seiner folgenschweren Begegnung mit dem sehr wütenden Berliner Torunarigha. (Foto: Thomas Pakusch/imago)

Er sei "enttäuscht und verärgert", sagte Jürgen Klinsmann, und das sah man ihm auch deutlich an. Natürlich war der Trainer von Hertha BSC auch angemessen unglücklich darüber, dass seine Mannschaft das Pokalspiel auf Schalke nach einer 2:0-Pausenführung in der Verlängerung 2:3 verloren hatte, aber sein ganz spezieller Ärger richtete sich gegen Schiedsrichter Harm Osmers. Dieser habe es, wie Klinsmann wiederholt beklagte, an "Fingerspitzengefühl" fehlen lassen, als er Berlins Verteidiger Jordan Torunarigha während der Verlängerung die zweite gelbe Karte vorhielt und damit vom Platz stellte. Er habe Osmers wissen lassen, dass Torunarigha von Zuschauern rassistisch beleidigt worden war, berichtete der Trainer: "Wir haben den Schiedsrichtern gesagt, dass sie ihn schützen, ihm helfen, auf ihn einreden müssen."

In der besagten Szene, die in der 105. Minute zum Platzverweis führte, geriet Torunarigha durch ein hartes Tackling von Schalkes Kapitän Omar Mascarell von den Beinen und schleuderte geradewegs auf Schalkes Trainer David Wagner zu, der dadurch seinerseits strauchelte. Torunarigha versuchte aufzustehen, Wagner packte ihn am Nacken, um, wie er sagte, "dafür zu sorgen, dass alle die Balance halten". Die Szene sah beinahe komisch aus, bis Torunarigha einen in Griffweite herumstehenden, knallroten Wasserkasten nahm und wütend auf den Boden warf. Da ließ Wagner ab von seinem Griff, und der Schiedsrichter betrat den Schauplatz, an dem sich wildes Getümmel ergeben hatte. Er fingerte erst in der einen, dann in der anderen Tasche und präsentierte dem Berliner Profi schließlich sein Karten-Repertoire. Wenig später machte er ein zweites Mal Gebrauch von der roten Karte. Der Kölner Keller hatte Osmers zum Videostudium gerufen, und nach Ansicht der TV-Bilder gelangte der Schiedsrichter zu der Ansicht, dass Wagner durch den Griff an den Nacken des Spielers eine Tätlichkeit begangen habe. Für diese Interpretation habe er "keine Erklärung", versicherte der Betroffene.

Aber die Verbannung des Trainers, so kurios sie war, ergab nur eine Randnotiz nach diesem dramatischen Abend. Es ging weniger um Wagner oder den Siegtorschützen Benito Raman oder das aufregende Pokalmatch, als um Torunarigha, der während einer Unterbrechung Mitte der zweiten Hälfte mit Zuschauern in der Schalker Fankurve aneinandergeraten war. Die Schalke-Anhänger warfen den Berliner Spielern Zeitschinden vor, es flogen Gegenstände, Torunarigha entsorgte demonstrativ einzelne Wurfmaterialien, worauf die Pause noch länger dauerte und der Ärger auf den Rängen noch größer wurde.

Ob der 22 Jahre alte, in Chemnitz geborene Abwehrspieler in diesen Momenten die rassistischen Beleidigungen hörte oder ob dies später in der nämlichen Ecke passierte, das ist nicht ganz klar. Auch hat Schalke bis Mittwochnachmittag noch nicht ermitteln können, welche Art von Beleidigungen es gegeben hatte. Von "Affenlauten" ist die Rede. Fest steht, dass Torunarigha stark berührt war von den Sachen, die er hatte hören müssen. Schalkes Angreifer Raman berichtete, er habe mit dem Berliner Kollegen gesprochen: "Ich will aufhören", habe dieser mehrmals gesagt. Raman redete ihm beschwichtigend zu. Später, das Spiel lief weiter, habe Torunarigha geweint.

Dies bekam auch der Hertha-Kapitän Niklas Stark mit. "Jordan hat's mir gesagt", berichtete Stark. "Der war heulend auf dem Platz. Da fragt man schon mal, was los ist. So was geht überhaupt nicht. Das ist menschlich abstoßend. Da müssen wir als Mannschaft, als Verein, eigentlich die ganze Bundesliga hinter ihm stehen." Im Namen von Schalke 04 entschuldigten sich Sportvorstand Jochen Schneider und Trainer Wagner bei Torunarigha und Hertha BSC. Man werde alles unternehmen, um die Urheber der Beleidigungen zu finden, teilte der Verein mit.

Wagner sagte, er habe "kein Problem damit" einen Spielabbruch mitzutragen, sollten sich solche Vorkommnisse wiederholen. Wenn es alle mitbekämen und man beschließe, nicht weiterzuspielen, "dann kicken wir nicht weiter". Der Kontrollausschuss des DFB hat am Mittwoch Ermittlungen eingeleitet. Hertha BSC und Torunarigha wurden zu einer Stellungnahme aufgefordert, Hertha-Manager Preetz kündigte eine entsprechende schriftliche Erklärung an. Dass es in Gelsenkirchen, wie in den Statuten des Verbandes vorgesehen, keine Stadiondurchsage gab, lag daran, dass der Schiedsrichter erst nach der regulären Spielzeit von den Beleidigungen erfahren habe, sagte der zuständige DFB-Funktionär Peter Sippel der "Sportschau". Der Vorfall sei bereits im Laufe der zweiten Hälfte passiert. Auch die umstrittene rote Karte für David Wagner beschäftigt den DFB. Man werde das Urteil "vor allem danach überprüfen, ob es sich um eine offensichtliche Fehlentscheidung des Schiedsrichters handelt", sagte Anton Nachreiner, Vorsitzender des Kontrollausschusses.

Am Dienstagabend stand so ein gemeinsamer Boykott-Beschluss nicht zur Debatte. Klinsmann, der darum gebeten hatte, Torunarigha zu helfen, zeigte für Referee Osmers' Platzverweis kein Verständnis: "Der Junge wurde beleidigt, er war natürlich aufgebauscht und emotional. Da kann man ihm keine zweite Gelbe geben in so einer Situation." Klinsmann hätte auch selbst den wegen Fouls bereits verwarnten Torunigha auswechseln können. Die Gelegenheit hatte er. Aber wer wollte ihm das vorhalten? Es wäre ein trauriges Signal gewesen.

© SZ vom 06.02.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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