Frauen-Handball:Notfallplan vom Notfallplan

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Freude hier, Sorgen dort: DHB-Bundestrainer Michael Biegler beim Auftaktsieg gegen die Auswahl aus Kamerum in Leipzig am Freitag. (Foto: imago/Eibner)

In Kim Naidzinavicius fällt mit einem Kreuzbandriss eine der besten deutschen Handballerinnen für den Rest der WM aus. Bundestrainer Michael Biegler reagiert schockiert - und muss nun tüfteln.

Von Saskia Aleythe, Leipzig

Michael Biegler kann sehr differenziert über seinen Sport reden, wie man das als diplomierter Sportlehrer im Idealfall gelernt hat. Er hat auch sehr genaue Vorstellungen vom Handballspielen, "48 bis 50 Minuten" wolle er Topleistungen von seinen Spielerinnen sehen. Die Eröffnungspartie der Heim-WM war nun eher in der Kategorie "30 bis 32 Minuten" anzusiedeln. Doch als der Bundestrainer der deutschen Frauen darüber redete, merkte er, dass ihm eigentlich gar nicht danach zu Mute war. Müßig, die Fehler in der Defensive auseinanderzuklamüsern, überflüssig, in diesem Moment die Fehlwürfe nach Spielerinnen aufzuschlüsseln. "Diese Mannschaft hatte drei Verletzungen in den letzten drei Tagen", unterbrach er sich selber. Sein Kopf war längst im Krankenhaus und nicht mehr in der Leipziger Arena.

140 Sekunden hatten die Zeitnehmer gestoppt, als Kim Naidzinavicius bei einem Angriff mit ihrer Gegnerin aus Kamerun so unglücklich mit dem Knie zusammenstieß, dass sie zu Boden ging und sich vor Schmerzen schüttelte. Sie umschloss mit den Händen das linke Knie, die Mediziner eilten herbei, trugen sie schließlich vom Feld. Als ihre Kolleginnen später am Abend die Partie mit 28:15 gewonnen hatten, lag Naidzinavicius schon im Krankenhaus. Diagnose Kreuzbandriss, WM-Aus nach 140 Sekunden. "Der Preis ist zu hoch", sagte Biegler, mehrmals, noch bevor er die Diagnose kannte. Als hätte er lieber eine Niederlage kassiert, könnte man damit Naidzinavicius im Gegenzug heilen.

"Ich bin todtraurig, dass das Turnier schon für mich beendet ist", ließ sich Naidzinavicius am nächsten Mittag zitieren, die Pressekonferenz im Mannschaftshotel lief ohne sie ab, die Protagonistin war sie trotzdem. "Das hat die Mannschaft getroffen, weil Kim eine Führungsspielerin von uns ist", sagte Sportdirektor Wolfgang Sommerfeld, sechs Monate wird Naidzinavicius vermutlich nicht spielen können. Neben ihm saß Biegler und sah aus wie einer, der sich in der vergangenen Nacht recht viele Gedanken gemacht hat. "Im Vorfeld der Partie haben wir uns darüber unterhalten, wie viel Zeitaufwand die Ladies in den vergangenen 20 Monaten hatten, wie viel sie investiert haben", sagte er, "da ist es umso tragischer, wenn für eine Spielerin das Turnier nach zwei Minuten und 20 Sekunden zu Ende ist". Und für Biegler und den Rest der Mannschaft bedeutete das: Schlimmer hätte die WM im eigenen Land kaum starten können.

Die Reaktionen der Mannschaft? "Da ist kein Auge trocken geblieben"

Schon am Freitagabend kehrte Naidzinavicius zur Mannschaft zurück und erlebte große Anteilnahme bei den Kolleginnen. "Da ist kein Auge trocken geblieben", sagte Ausnahmetalent Emily Bölk, die kurz vor WM-Start beim Training umgeknickt war, "da ist ein Band und die Kapsel kaputt". Schon das hatte die Stimmung die letzten Tage getrübt, Nadja Mansson hatte sich zudem einen Finger ausgekugelt. Mit Naidzinavicius verletzte sich nun die dritte Rückraumspielerin, wenn man genau ist, die vierte: Im Oktober hatte Anne Hubinger sich das rechte Sprunggelenk ausgekugelt, auch für sie das WM-Aus. "Das ist bei den anderen auch noch in den Köpfen", meinte Biegler nun.

Natürlich ist Biegler keiner, der keinen Notfallplan in der Tasche hat. Doch nun braucht er schon den Notfallplan vom Notfallplan, und nicht alles lässt sich 1:1 kompensieren. Naidzinavicius hatte in der WM-Vorbereitung in einigen Testspielen die meisten Tore geworfen, das Team war eingespielt mit ihr. "Es gibt schon taktische Alternativen", sagte er, "aber die sind nicht alle so leicht zu übertragen." Für das Spiel gegen Südkorea hat er am Sonntagmorgen Alicia Stolle nachnominiert.

So oder so soll nun niemand davon ausgehen, dass das Ziel Halbfinale sofort korrigiert wurde. Was Biegler mit seiner Mannschaft verbindet, ist ja auch ein gewisser Trotz in schwierigen Situationen. "Wir wollen an dem festhalten, wofür wir 20 Monate lang gearbeitet haben", sagte der Trainer. Für diese WM war er geholt worden vom DHB, danach wird er sein Amt wieder abgeben und die Bundesliga-Männer des SC DHfK Leipzig übernehmen. "Wir lassen uns durch die Verletzung nicht entmutigen", meinte Biegler noch. Motivation in schwierigen Zeiten ist manchmal doch wichtiger als die Taktikanalyse.

© SZ vom 03.12.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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