Deutschland besiegt die Türkei bei der EM:Ein wildes Endspiel

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Mit dem hart erkämpften 73:67 gegen die Türkei wahrt Deutschland seine Viertelfinal-Chance. Heiko Schaffartzik, der beste deutsche Guard, steuert dazu wichtige Punkte bei - und den frechsten Spruch.

Andreas Burkert, Vilnius

Seine Halsschlagader wächst auf die Größe einer rheinischen Blutwurst an, Dirk Bauermann erledigt seinen Job. Der Bundestrainer nimmt nach neun türkischen Punkten in Serie eine Auszeit. Es ist zunächst ein schauderhaftes Spiel, auch die deutschen Basketballer reihen Fehler an Fehler. Es ist nun doch an der Zeit, Heiko Schaffartzik zu bringen. Er betritt das Parkett, und er erledigt seinen Job, nach nur 19 Sekunden: Schaffartzik zieht wagemutig zum Korb, drin. Kurz vor der Pause springt er dann aus dem Dribbling zum Dreier ab, noch so eine Spezialität vom ihm. Wieder drin, auf der Bank springen sie auf und drehen durch, als sei es schon vollbracht. Er zwinkert ihnen mit dem Auge zu.

Auch Litauen muss gewinnen

Die Deutschen haben die dramatische Partie 73:67 (23:26) gewonnen. Sie steigerten sich, sie mussten unbedingt gewinnen, um mit einem zweiten Zwischenrunden-Erfolg am Sonntag gegen Litauen doch noch das Viertelfinale erreichen zu können. Auch die Gastgeber, die abends Frankreich 67:73 unterlagen, müssen siegen. "Das ist ein Endspiel", weiß Schaffartzik, "da sind wir Außenseiter gegen 12.000 Zuschauer. Aber wir brauchen keinen Schiss haben." Gegen die Türkei erzielte Dirk Nowitzki 19 Punkte, darunter vier entscheidende Freiwürfe, Chris Kaman kam auf 20 Punkte, Philipp Schwethelm (14) versenkte fünf von acht Würfen. "Unglaublich, mit 22", lobte Bauermann. Schaffartzik steuerte wieder zehn Zähler bei. Und den frechsten Spruch. Zur ersten Hälfte, die Nowitzki als "die wahrscheinlich schlechteste, die wir jemals hingelegt haben", bezeichnete, entgegnete er: "Wer athletischen Basketball sucht, sollte nicht Deutschland zuschauen."

Damit ist schon viel erzählt über den besten deutschen Guard, der in Litauen wieder mit seinem Mut auffällt, auch auf dem Feld: mit seiner Athletik und den Dreiern, Tempodribblings und dem Buzzerbeater, dem Notwurf kurz vor Ablauf der Zeit. Schaffartzik, das ist der Eindruck, tritt mit mehr Ruhe und Übersicht auf. Denn Fehler, das weiß er selbst, hat er schon genug gemacht.

Für den deutschen Basketball ist seine Entwicklung eine schöne Sache, denn spätestens nach Olympia 2012 würde Nowitzki, 33, abtreten. Schaffartzik, 27, ist künftig der Kopf des jungen Teams. Er fände es sinnvoll, ihn bei der Suche nach Bauermanns Nachfolger einzubeziehen: "Es wäre ja Verschwendung, wenn man das nicht machen würde."

Verschwendung ist ein interessantes Wort im Zusammenhang mit Schaffartzik. Experten ist er seit der EM 2009 ein Begriff, wo der Debütant in Abwesenheit Nowitzkis das deutsche Spiel prägte und im Schnitt 13 Punkte machte. Doch sein Image legt er erst jetzt ab, wegen des Interesses an Nowitzki. "Die Öffentlichkeit hat bisher ein anderes Bild von mir gehabt", sagt er. Das Bild langweilt ihn.

Mit 16 beginnt Schaffartzik in Lichterfelde, dem Farmteam von Alba Berlin. Sein Vater ist früher beim Vorgängerklub Charlottenburg Profi und Trainer gewesen. Den Sohn schickt Alba bald weg. Er gilt mit knapp 18 als Kinds- und Querkopf und kostet wohl auch die Jugend aus; vielleicht ist es eine Folge der Leukämie-Erkrankung, die er ein paar Jahre davor überstand. Bundesligist Gießen holt das Talent 2004, die A2-Auswahl interessiert sich, was unangenehme Folgen hat: Schaffartzik denkt nicht an den Kontrollpool - ein Dopingtest ist positiv, er hatte mit Kumpels gekifft. Gießen feuert ihn. Mit Nürnberg steigt er ab.

Schaffartzik geht zwischenzeitlich bis in die Regionalliga zurück. Aber er lernt dazu und setzt sich durch. 2010 in Braunschweig, als zweitbester deutscher BBL-Werfer, und nun im dritten Jahr im Nationalteam. Sogar die Berliner sprangen über ihren Schatten: Nach einem kurzen Engagement in Ankara holte ihn der spätere Finalist Alba vorigen Winter zurück.

In Litauen kommt Schaffartzik auf der Position zwei zum Zug, Bauermann hält am Münchner Kapitän Steffen Hamann (am Freitag acht Punkte) fest, trotz mancher Ballverluste. Er schätzt Hamanns Defensive und Energie. Gegen die Türkei fehlte Schaffartzik erstmals in der Starting Five, aus taktischen Gründen. Bauermanns Wertschätzung spiegelt die Statistik: Schaffartzik erhält bisher die meisten Minuten im deutschen Team, im Schnitt 30, sogar mehr als Nowitzki.

Weiter spektakuläre Würfe

Schaffartzik hat bei der EM gegen die besten Aufbauspieler ordentlich ausgesehen, gegen den Serben Milos Teodosic, gegen Spaniens José Calderon und Ricky Rubio, gegen Tony Parker. Wo steht er? "Ich bin nicht auf dem Level mit diesen Spielern", findet er. Dafür fehlen ihm wohl ein paar Zentimeter, er misst nur 183, und vor allem benötigt er regelmäßige Duelle auf dem Niveau der Besten, in der EuropaLeague. "Und für einen Point Guard ist Erfahrung das Größe."

Er kontrolliert sich, aber verbiegen wird sich Schaffartzik nicht. Er will weiter spektakuläre Würfe nehmen, "für mich waren sie eh nie wild". Und auch eine Meinung will er haben dürfen, wie neulich: Was er an Teodosic bewundere, wurde er von der internationalen Presse gefragt. Er entgegnete: "Ich entschuldige mich vorab für die Formulierung: dass er sich um einen Dreck schert." Schon gar nicht in einem Finale.

© SZ vom 10.09.2011 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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