Deutsches Tischtennis-Team:20 Jahre zu spät geboren

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Dimitrij Ovtcharov besiegt Zhang Jike (hinten) - und präsentiert seine Jubelpose. (Foto: REUTERS)

Noch nie war ein deutsches Tischtennis-Nationalteam so gut wie das heutige. Das Problem: Auch Chinas Auswahl gilt als die beste der Geschichte. Also verlieren die Deutschen wieder ein WM-Endspiel - obwohl Dimitrij Ovtcharov das beste Spiel seines Lebens zeigt.

Von Ulrich Hartmann, Tokio/München

Die Welt hat gezittert am Finaltag der Tischtennis-Mannschafts-Weltmeisterschaft in Tokio. Das haben auch die deutschen Spieler mitbekommen im 27. Stock ihres Hotels. Es muss eine seltsame Erfahrung für sie gewesen sein, dass plötzlich ihre Zimmer wackelten. Aber es ist nichts passiert, zum Glück. Das Erdbeben hatte eine Stärke von 6,0, örtliche Medien berichteten, es habe 17 Leichtverletzte gegeben. Und so konnten Dimitrij Ovtcharov, Timo Boll und Patrick Franziska am Nachmittag ihren Versuch unternehmen, ihre eigene kleine Welt zu erschüttern. Es gelang ihnen nicht. Dass die deutsche Mannschaft dabei nur 1:3 unterlag gegen die unerschütterlichen Chinesen, weil Ovtcharov den Olympiasieger Zhang Jike in drei Sätzen besiegte, war immerhin ein kleiner Trost dafür, dass Deutschland zum dritten Mal in Serie nach 2010 und 2012 ein WM-Finale gegen China verlor.

Die Tischtenniswelt bleibt also, wie sie ist. Insgesamt zu stark war dieses chinesische Team, das sich aus dem Weltmeister und Olympiasieger Zhang Jike sowie dem Weltranglistenersten Xu Xin und dem Weltranglistenzweiten Ma Long zusammensetzte. "Manchmal wünschte man sich, man wäre 20 Jahre früher geboren", sagte Boll nach der Niederlage gegen die vermutlich besten Tischtennis-Chinesen der Geschichte.

Tischtennis-Team-WM
:Ovcharov reizt die Chinesen

Deutschlands bester Tischtennisprofi feiert einen überragenden Sieg gegen Weltmeister Zhang Jike, trotzdem verteidigen die Chinesen ihren Titel bei der Team-WM. Tennisprofi Angelique Kerber gibt in Madrid wegen Rückenproblemen auf. Die Basketballer des FC Bayern verlieren gegen Alba Berlin.

Am Montag war in Japan Feiertag: Kodomo no Hi - Tag des Kindes. Die Tischtennis-WM im Yoyogi-Gymnasium zu Tokio dauerte deshalb einen Tag länger. An jenem Tag, an dem die Japaner ihren Kindern demonstrativ die Ehre erwiesen, gewannen die chinesischen Männer zum siebten Mal in Serie den Titel des Team-Weltmeisters.

"Ich bin nicht sicher, ob die Jungs dort überhaupt wissen, was eine Schule ist", hatte Ovtcharov vor der WM über die Unerbittlichkeit des chinesischen Sichtungssystems gesagt und den Verdacht geäußert, dass es in absehbarer Zeit womöglich nicht gelingen werde, die auf Erfolg gedrillten Chinesen zu besiegen.

Dieser Verdacht bestätigte sich am Montag, obwohl auch die deutsche Mannschaft vielleicht nie stärker war als jetzt. Zu groß ist und bleibt der Tischtennis-kulturelle Unterschied zwischen den beiden Welten. Nach ihrer bis dato letzten Niederlage im Jahr 2000 in Kuala Lumpur gegen Schweden sind die Chinesen nun seit 14 Jahren bei Weltmeisterschaften unbesiegt.

Im Finale in Tokio wäre für eine deutsche Sensation zunächst erforderlich gewesen, dass der Weltranglistenneunte Boll zum Auftakt Ma Long besiegt. Fünf Mal war ihm das in seiner Karriere bereits gelungen und auch diesmal hat Boll alle drei Sätze zwischenzeitlich angeführt: 6:4 den ersten, 5:1 den zweiten und 8:6 den dritten. Doch am Ende verlor er 6:11, 9:11, 9:11.

Dass auch das darauffolgende Duell zwischen dem Weltranglistenvierten Ovtcharov und dem fünftplatzierten Zhang Jike in drei Sätzen endete, hat niemanden überrascht - aber dass es der phänomenal aufspielende Deutsche war, der bloß 31 Minuten benötigte, um den Chinesen 13:11, 11:8, 11:6 als Schatten seiner selbst von der Platte zu fegen, grenzte an ein Wunder. Ovtcharov nannte seine Vorstellung im Anschluss "das beste Spiel meines Lebens".

Dieser Punkt gestattete dem deutschen Team nach der wenig überraschenden 0:3-Niederlage des Fuldaer Weltranglisten-37. Patrick Franziska gegen Xu Xin (5/2/8) immerhin noch ein viertes Einzel, in dem es Ovtcharov mit Ma Long aufnehmen durfte. Doch der 25-jährige Chinese spielte an diesem Tag in einer anderen Liga.

Der gleichaltrige Ovtcharov unterlag trotz eines Satzballs im ersten Durchgang glatt in drei Sätzen (10/5/2) und musste den dritten Punkt hergeben. "Wir haben nur eine Chance gegen China, wenn Timo und ich am selben Tag unsere beste Leistung abrufen können", sagte Ovtcharov, "aber das war diesmal nicht der Fall."

Die 50. deutsche WM-Medaille seit 1926, die Ovtcharov, Boll und Franziska am Abend in Tokio umgehängt bekamen, war also wieder keine goldene. Zum vierten Mal binnen zehn Jahren haben sie ein Weltmeisterschafts-Endspiel gegen China verloren. Beim 1:3 in Moskau 2010 hatte Boll sein Einzel gegen jenen Ma Long gewonnen, der am Montag in Tokio unbesiegbar auftrat. 2004 und 2010 hatte Deutschland ohne jeglichen Punkt verloren.

WM-Final-Niederlagen gegen China werden zum Running Gag, allerdings zu einem, über den im deutschen Lager schon lange niemand mehr lachen kann. 2004 hatten die Deutschen unter dem Bundestrainer Istvan Korpa verloren, 2010 unter Richard Prause, 2012 und am Montag unter Jörg Roßkopf. Kein Trainer hat die deutsche Sandwich-Position hinter China und vor dem Rest der Welt verbessern können.

In zwei Jahren ist wieder Mannschafts-Weltmeisterschaft. Dann im malaysischen Kuala Lumpur, jenem Ort, an dem die Chinesen (Kong Linghui, Liu Guozheng und der heutige Nationaltrainer Liu Guoliang) vor 14 Jahren letztmals ein WM-Spiel (mit 2:3 gegen die Schweden Jan-Ove Waldner, Jörgen Persson und Peter Karlsson) verloren haben.

Die deutschen Spieler werden jeden noch so kleinen statistischen Aberglauben benötigen, um vielleicht dort endlich ihr eigenes Wunder zu schaffen. Und so formulierte Timo Boll am Montag in Tokio die vielleicht wichtigste Botschaft nach der neuerlichen Niederlage: "Wir verlieren nicht den Mut."

© SZ vom 06.05.2014 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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