Deutsches Biathlon-Team:Raus aus dem Trümmerhaufen

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Vanessa Hinz (rechts) übergibt an Franziska Preuß. (Foto: Getty Images)

In Sotschi liefen sie hinterher, nun gewinnt die deutsche Frauenstaffel den Biathlon-Weltcup in Hochfilzen. Auch die Männer überzeugen mit sehr guten Ergebnissen. Manch einer fühlt sich öffentlich rehabilitiert.

Von Joachim Mölter, Hochfilzen

Einmal noch durch den Tunnel und gleich danach rechts abgebogen, dann gehörte die Zielgeraden vor der vollbesetzten Tribüne im Hochfilzener Biathlon-Stadion allein Franziska Preuß. In der linken Hand die Skistöcke haltend, mit der rechten den Zuschauern zuwinkend glitt sie lächelnd dahin, bis sie im Ziel von ihren Staffelkolleginnen Luise Kummer, 21, Franziska Hildebrand, 27, und Vanessa Hinz, 22, in Empfang genommen wurde. "Es war schön, dass ich auch mal den Zieleinlauf genießen konnte", sagte Preuß, die erstmals als Schlussläuferin einer deutschen Frauen-Staffel im Einsatz war - und dabei gleich den ersten Weltcup-Sieg feiern durfte. "Wir können stolz auf uns sein", fand die 20-Jährige, "wir sind ja noch ein junges Team."

Nach den Olympischen Winterspielen hatte der Deutsche Skiverband (DSV) den Neuaufbau seiner Frauen-Abteilung im Biathlon ausgerufen, die in Sotschi ja einem Trümmerhaufen geglichen hatte: Erstmals hatte es keine Medaille gegeben, dafür den Dopingfall Sachenbacher-Stehle, Streit im Team und eine Diskussion über die Trainer. Den Niedergang verkörperte die erfolgsgewohnte Staffel, die abgeschlagen auf Platz elf landete. Franziska Preuß war damals die Startläuferin gewesen und gleich am ersten Anstieg gestürzt; sie hatte einen Stock verloren, musste am Schießstand erst mal ihr Gewehr vom Schnee säubern und brachte ihr Team damit hoffnungslos ins Hintertreffen. "Das Thema ist abgehakt", sagte sie am Samstag nach dem Staffel-Erfolg, "das ist Vergangenheit."

Die Zukunft der deutschen Biathletinnen sieht wieder rosiger aus, die Geschmähten von Sotschi rehabilitierten sich in Hochfilzen eindrucksvoll. "Es war ein richtig tolles Wochenende mit Resultaten, die keiner erwartet hat", bilanzierte Frauen-Cheftrainer Gerald Hönig. Bereits am Freitag im Sprint hatten sich Hildebrand (5.), Hinz (6.) und Preuß (10.) im Vorderfeld platziert, und im Zehn-Kilometer-Verfolgungsrennen am Sonntag fehlte auch nicht sonderlich viel zu einem Rang unter den ersten Drei, die auf das Siegerpodium dürfen.

Biathlon
:Schempp piesackt Fourcade bis zum Schluss

Fast hätte es mit dem dritten Weltcup-Sieg geklappt: Biathlet Simon Schempp landet in der Verfolgung in Hochfilzen auf Platz zwei. Skispringer Severin Freund gewinnt in Nischni Tagil. Deutschlands Handballerinnen scheitern bei der EM.

Franziska Preuß vergab ihre Chance erst mit dem letzten Schuss, der ihr noch eine Strafrunde bescherte. "Ich musste was riskieren", sagte sie, aber im Grunde sei sie zufrieden mit ihrem siebten Platz, 63 Sekunden hinter der Finnin Kaisa Mäkäräinen, der Doppelsiegerin dieses Wochenendes. Hildebrand wurde Achte, Hinz Vierzehnte, wie Preuß hatten auch sie sich insgesamt drei Schießfehler geleistet. "Das sind einfach zu viel, das wird einem nicht verziehen", sagte Hildebrand. Eine Strafrunde weniger hätte auch ihr zu Platz drei genügt.

Bundestrainer Hönig räumte ein, dass im Verfolgungsrennen der Staffelsieg vom Vortag eine Rolle gespielt haben mag: "Die Erwartungshaltung steigt natürlich auch bei den Athletinnen", sagte er, vermutlich hätten sie einfach zu viel gewollt. "Man erkennt einen Aufwärtstrend, aber ich warne vor zu viel Euphorie. Man soll nicht glauben, es geht jetzt jede Woche so weiter", sagte Hönig: "Wir haben die Stabilität noch nicht, die müssen wir uns erst über Erfahrung holen." Eine Erfahrung hat die hochtalentierte Jugend-Olympiasiegerin Preuß in Hochfilzen schon mal gemacht - dass sie läuferisch mit der Weltspitze mithalten kann: "Es hilft, beim Schießen ruhiger zu bleiben, wenn man weiß, man kann in der Loipe noch etwas rausholen."

Wie weit man es mit einem fehlerlosen Schießen bringen kann, demonstrierte ihr der Uhinger Simon Schempp, der am Wochenende zweimal Zweiter wurde, im Sprint hinter dem Norweger Johannes Thingnes Bø, in der Verfolgung hinter dem Franzosen Martin Fourcade. Aus Sicht der deutschen Männer war aber vor allem das Comeback von Andreas Birnbacher bemerkenswert. Der Schlechinger war nach dem Olympia-Winter ja auch schon abgeschrieben worden, in Hochfilzen meldete er sich mit Platz drei im Sprint und Rang sieben in der Verfolgung zurück.

"Ich war sehr überrascht, auf dem Podium zu stehen", sagte er nach dem Sprintrennen, das er im Gegensatz zur Verfolgung (zwei Strafrunden) fehlerlos beendet hatte. Birnbacher erinnerte dabei an drei Operationen, die er in den vergangenen 15 Monaten über sich ergehen lassen musste: wegen eines Innenbandrisses im Knie, dann am Sprunggelenk, zuletzt nach einem Schulterbruch. "Das wirft einen aus dem Trainingsalltag", sagte er und bedankte sich bei den Trainern, die ihm die Zeit gaben, wieder hineinzufinden und ihn trotz fehlender Leistungsnachweise ins Weltcup-Team beriefen.

Vor allem das Sprunggelenk habe ihm in der Olympia-Saison zu schaffen gemacht, erzählte Birnbacher: "Weil ich immer Schmerzen hatte, hat sich das aufs Stehendschießen ausgewirkt. Ich stand wacklig da." Die Olympia-Saison abbrechen wie es die Kollegin Miriam Gössner wegen mehrerer Wirbelbrüche tat, wollte er aber nicht. So erklärte er seine recht unbefriedigenden Ergebnisse.

Nach dem Wochenende in Hochfilzen fühlt sich nun auch Andreas Birnbacher öffentlich rehabilitiert. "Es hat ja kaum einer hören wollen: Aber ich habe schon im Herbst gemerkt, dass es wieder besser läuft", sagte er. Für die deutschen Biathleten läuft es generell besser als gedacht, aber auch Birnbacher mag deswegen nicht euphorisch werden: "Jedes Rennen ist nur eine Momentaufnahme", sagt er, "und jedes Rennen muss man sich neu erkämpfen."

© SZ vom 15.12.2014 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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