Deutscher Fußball-Bund:Schwärmen von Seeler

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DFB-Chef Reinhard Grindel, 54. (Foto: Michael Probst/AP)

Der frisch gewählte Fußball-Präsident Reinhard Grindel will einen "neuen DFB" aufbauen - aber es gibt Zweifel, ob er dafür der geeignete Mann ist.

Von Johannes Aumüller, Frankfurt

Rein formal läuft das Ganze am Ende wieder so, wie solche Tage in Sportverbänden nun mal ablaufen. Eine Tagung im Saal "Harmonie", nur ein Kandidat fürs verwaiste Präsidentenamt, eine offene Abstimmung und nahezu nordkoreanische Verhältnisse beim Wahlergebnis: 98,4 Prozent für den Bewerber - also ist an diesem Freitag um 13.04 Uhr der CDU-Bundestagsabgeordnete Reinhard Grindel, 54, zum zwölften Präsidenten in der Geschichte des Deutschen Fußball-Bundes gewählt. Er wolle "einen neuen DFB bauen", lautet sein Credo. Große Veränderungen sind beim Verband tatsächlich nötig in Anbetracht der Affäre um die WM 2006 und ihrer noch lange nicht ausgestandenen Folgen, um die sich Staatsanwaltschaften in diversen Ländern kümmern. Dazu kommen viele andere Baustellen: Der Abschluss eines neuen Ausrüstervertrages steht bevor, ebenso der Neubau der Verbandszentrale auf der Frankfurter Galopprennbahn, der Kampf um die Austragung der EM 2024 - und bei alldem geht der Konflikt zwischen Profi- und Amateurlager offen weiter. Es gibt viele in der Szene, die zweifeln, ob Reinhard Grindel tatsächlich geeignet ist, einen "neuen DFB" zu errichten. Und so mancher Skeptiker fühlt sich vom Ablauf des Wahltages in seiner Meinung durchaus bestätigt.

Theo Zwanziger war der DFB-Präsident mit dem gesellschaftspolitischen Anspruch. Wolfgang Niersbach war der kumpelige Fußballfan. Aber wer wird Reinhard Grindel? Das weiß noch niemand so recht.

Es sind jedenfalls, vorsichtig formuliert, schon inspirierendere Reden gehalten worden, wenn ein Funktionär sich für ein wichtiges Amt beworben hat. Die Anwesenden begrüßt Grindel ernsthaft mit "liebe Fußballkameradinnen und Fußballkameraden" - und dann begibt er sich auf einen risikolosen Rundlauf durch die DFB-Welt. Der reicht dann von seinem Plädoyer für notwendige Reformen wie der Bildung einer Ethikkommission oder der Publikation des jährlichen Finanzberichtes über die Bekräftigung des Wunsches, die EM 2024 nach Deutschland holen zu wollen, bis hin zum E-Learning-Programm für die C-Trainer-Lizenzausbildung. Aber eine große Vision, eine große Programmatik ist nicht herauszuhören - und viel Applaus gibt es auch nicht.

Stattdessen fällt seine Schwärmerei über sein im Saal sitzendes Idol Uwe Seeler so ausführlich aus, dass für einen Moment zu befürchten steht, Grindel könnte die Bühne verlassen, um noch ein Selfie mit Uns Uwe zu knipsen - denn das war damals technisch ja noch nicht möglich, als der kleine Reinhard den großen Uwe im Volkspark anhimmelte. Später sagt Grindel noch, wie viel ihm die Gratulation vom 1954er-Weltmeister Horst Eckel bedeute. Verweise auf die alten Helden gehen natürlich immer.

Womöglich kann es sich als Grindels Vorteil erweisen, dass ihn manche unterschätzen. Der CDU-Mann aus Rotenburg ist rasch aufgestiegen im Fußballfunktionärs-Betrieb und jetzt der große Profiteur aus den personellen Umstürzen der WM-Affäre; seine Ambitionen auf Vorstandsämter im Weltverband Fifa oder in der Europa-Union Uefa kann er kaum verbergen. Und aus allen seinen Lebensabschnitten - Grindel war Jurist, Journalist und Politiker, ehe er im DFB aufstieg - sind Geschichten zu hören, wie er machtbewusst und ehrgeizig seine Karriere vorantrieb. Der neue DFB-Chef ist von den Amateuren vorgeschlagen worden, es wird nun interessant sein, wie er es mit den Profis hält. Das angespannte Verhältnis zwischen den beiden Lagern zeigt sich in Frankfurt auf offener Bühne, da können alle noch so oft die "Einheit" beschwören und auf ein gemeinsames Eckpunktepapier für die DFB-Zukunft verweisen. Der oberste Amateur-Vertreter Rainer Koch gibt sich eher zurückhaltend, zitiert in seiner Rede gleich dreimal Liga-Boss Rauball, mit dem er zuletzt interimistisch den DFB führte. Rauball aber will erst gar nicht verbergen, dass er die "übliche Harmonie" eines Bundestages stören möchte. Er moniert, wie die Amateure, die bei der Wahl über die Mehrheit verfügen, vor ein paar Monaten Grindel zum Kandidaten ausriefen. Und er macht noch einmal deutlich, dass die Unterstützung der Liga für den neuen Chef zunächst nur bis November gelte - wenn der nächste ordentliche Bundestag ansteht. Stattdessen will er, dass sich künftig Amateure und Liga in einem gemeinsamen Gremium treffen, um über Personalvorschläge für wichtige Ämter zu reden. Die vier Gegenstimmen bei der Wahl kommen auch aus dem Profilager. Das sind alles kleine Warnungen. Und die WM 2006, das Thema, das den außerordentlichen Bundestag erst ausgelöst hat? Grindel spricht viel davon, dass es jetzt um Vertrauen und Integrität gehe. Aber auf die vielen, auch nach der Aufarbeitung durch die Kanzlei "Freshfields" bestehenden offenen Fragen geht er nicht ein. Ebenso fehlen Anmerkungen über pikante Zutaten des Skandals wie die anrüchigen 6,7 Millionen Euro oder die damals Verantwortlichen wie Franz Beckenbauer. Halt, einmal kommt er auf einen früheren Verantwortlichen zu sprechen, nämlich Amtsvorgänger Niersbach: Der saß im WM-OK, vertuschte im vorigen Sommer dubiose Vorgänge und muss nun ein Verfahren der Fifa-Ethiker über sich ergehen lassen. Grindels Worte zu Niersbach also: "Wir reduzieren dein Lebenswerk nicht auf wenige Wochen und eine Pressekonferenz. Wir sagen dir Dank für 28 Jahre."

Der Saal honoriert diese Einlassung jedenfalls mit dem längsten Applaus, den der neue DFB an diesem Tag jemandem spendet.

© SZ vom 16.04.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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